Mindelheimer Zeitung

Der Kommandant strahlt

Raumfahrt In der kasachisch­en Steppe wird Alexander Gerst aus der Sojus-Kapsel gezogen. Er reckt die Faust nach oben, freut sich über Schnee und lächelt in Kameras. Auch die Wissenscha­ftler in Oberpfaffe­nhofen atmen auf. Warten auf „Astro-Alex“noch weiter

- VON MARKUS BÄR

Oberpfaffe­nhofen Alexander Gerst ist noch nicht ganz aus der Sojuskapse­l heraus, da strahlt er schon über das ganze Gesicht und reckt die Faust wie zum Sieg in die Luft. Die Strapazen der Landung, bei der die Kapsel von 28000 Stundenkil­ometern auf null abgebremst wurde – sie sind dem deutschen Astronaute­n nicht anzusehen. Ganz anders als seine Begleiter, der Russe Sergej Prokopjew und die US-Amerikaner­in Serena Auñón-Chancellor. Bleich und erledigt wirken die beiden, als hätten sie gerade eine schwere Operation hinter sich.

Es ist der Moment, in dem auch Dieter Sabath im Kontrollze­ntrum in Oberpfaffe­nhofen aufatmet. In den letzten Minuten hat der Projektlei­ter der bemannten Raumfahrt im Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt verfolgt, wie Gerst zur Erde zurückkehr­t. Er hat, wie seine anderen Kollegen, immer wieder auf den riesigen Bildschirm geblickt, der Bilder aus der kasachisch­en Steppe zeigt. Nur, so viel ist da gar nicht zu sehen. Denn 5000 Kilometer entfernt herrscht an diesem Morgen dichter Nebel.

Die Wissenscha­ftler in Oberpfaffe­nhofen bekommen lange nichts anderes zu Gesicht als einen Hubschraub­er, der über der weitläufig­en, verschneit­en Ebene kreist. „Gerst und seine Kollegen müssten bereits gelandet sein“, erklärt Sabath. Es ist 6.10 Uhr. Sabath, der in Kissing im Kreis Aichach-Friedberg lebt, macht das nichts aus. Er wirkt ausgeschla­fen, gut gelaunt. Und er ist optimistis­ch. Laut Plan sollte die Kapsel, die an einem Fallschirm hängt, bereits vor sieben Minuten auf der Erde ankommen. Gut möglich, dass es so auch ist. Aber man muss sie erst einmal finden.

Klar ist: Gegen 2.40 Uhr in der Früh wurde die Sojus von der internatio­nalen Raumstatio­n ISS abgekoppel­t – etwa 400 Kilometer über der Erdoberflä­che. Sie kreiste dann noch eine Weile in ähnlicher Höhe, bis sie, vereinfach­t gesagt, den richtigen Winkel hatte, um schlussend­lich Kurs auf die asiatische Steppe zu nehmen.

Die heiße Phase beginnt für die Raumfahrer dann 30 bis 40 Minuten vor der eigentlich­en Landung. Die Kapsel wird abgebremst und tritt in die Erdatmosph­äre ein. Durch den Widerstand der Lufthülle reduziert sich die hohe Geschwindi­gkeit der Landeeinhe­it, anfangs knapp acht Kilometer pro Sekunde, noch weiter. In der Kapsel entstehen Fliehkräft­e der vier- bis fünffachen Stärke der Erdschwerk­raft. Wer einmal Achterbahn gefahren ist, hat zumindest eine leichte Vorstellun­g davon, was die Frau und die beiden Männer aushalten müssen. Zugleich erhitzt sich der erdzugewan­dte Teil der Sojus-Kapsel auf etwa 2500 Grad.

Im Kontrollze­ntrum steigt die Spannung. Minutenlan­g tut sich nichts auf dem Bildschirm. Keine neuen Bilder aus Kasachstan, die via Houston nach Oberpfaffe­nhofen gelangen. „Wir haben noch keine Bestätigun­g der Landung“, sagt Sabath. Er scheint sich aber sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird. Alle blicken auf den Bildschirm. Dort sieht man inzwischen drei Hubschraub­er über der Steppe kreisen, mit einem Mal rast ein Konvoi Autos in Richtung Horizont. „Bei einer Landung muss man immer davon ausgehen, dass die Kapsel in einem Radius von 20 bis 30 Kilometern um den berechnete­n Ort herum auf dem Boden aufsetzt“, erläutert Sabaths Kollege Florian Sellmaier. Das liegt auch am Wind in den höheren Luftschich­ten, den man praktisch nicht vorausbere­chnen kann.

Offenbar sind die Einsatzkrä­fte fündig geworden. Gegen 6.30 Uhr bekommen die Wissenscha­ftler in Oberpfaffe­nhofen die ersten Bilder von der Kapsel zu sehen. Sie zeigen zahlreiche Helfer, die sich an ihr zu schaffen machen. Männer, die den völlig erschöpft wirkenden Russen Sergej Prokopjew aus der Kapsel hieven, ihn ein paar Meter weiter tragen und in einer Art Sessel absetzen. In diesen Momenten fordern die 197 Tage im All ihren Tribut. Trotz Trainings sind die Muskeln die Schwerkraf­t der Erde nicht mehr gewöhnt. Weil man befürchtet, dass bei den Raumfahrer­n das Blut in die Beine sackt und eine Ohnmacht droht, werden sie mit großer Vorsicht getragen. Auch die Amerikaner­in Serena Auñón-Chancellor wirkt ziemlich erledigt.

ist Alexander Gerst an der Reihe, der die letzten drei Monate Kommandant der ISS war – als erster Deutscher. Als ihn die Helfer aus der Kapsel ziehen, sieht er deutlich fitter aus als seine Kollegen, souverän. Seine Glatze hat er für diesen Moment sauber rasiert, der Bart ist akkurat gestutzt. Triumphier­end reckt er die Faust in die Höhe.

Auch er wird erst einmal in einen Sessel gesetzt, der neben der Kapsel in der Steppe steht. Weil der Wind eisig ist, setzt man ihm eine Mütze auf. Das erste Reporterte­am kommt zum Interview, der 42-Jährige lächelt in die Kamera, trotz all der Anstrengun­gen, die hinter ihm liegen. „Heute lief es sehr viel einfacher als beim letzten Mal“, sagt er und spielt auf seinen ersten Einsatz auf der ISS im Jahr 2014 an. Wie es sich anfühlt, wieder hier zu sein? „Zum ersten Mal wieder der Geruch von Schnee und Erde – das ist ein unglaublic­hes Gefühl, wenn man das ein halbes Jahr nicht gehabt hat.“Wunderbar einfache Sätze von einem promoviert­en Geophysike­r, von einem Mann, der insgesamt 363 Tage im All verbracht hat.

„So ist er“, meint Dieter Sabath, der Gerst mehrfach getroffen hat – auch in Oberpfaffe­nhofen. Der Astronaut aus dem württember­gischen Künzelsau gilt als unkomplizi­ert. Mit dem Bodenperso­nal in Oberpfaffe­nhofen hatte er in den vergangene­n Monaten jede Woche zu tun. Denn die Europäisch­e Raumfahrta­gentur Esa hat das Wissenscha­ftslabor „Columbus“zur ISS beigesteue­rt. Darin werden zahlreiche Experiment­e vorgenomme­n – über Jahre hinweg. Das muss koordinier­t werden. Und das ist die Aufgabe, die Oberpfaffe­nhofen zu leisten hat. 24 Stunden am Tag, in drei Schichten, arbeiten die Mitarbeite­r hier.

„Es ist sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten“, sagt Sabath. Und nicht nur das. „Astro-Alex“, wie sich der 42-Jährige bei Twitter nennt, hat wie kaum einer vor ihm die Menschen für Raumfahrt begeistert. Über Twitter-Botschafte­n und Fotos ließ er die Welt an seinem Abenteuer teilhaben. Er schickt Fotos, wie er dem russischen Kosmonaute­n die Haare schneidet, Selfies, wie die Crew kostümiert Halloween auf der ISS feiert, vor allem aber beeindruck­ende Blicke auf die Erde. Und Bilder, die zeigen, wie zerbrechli­ch dieser Planet ist. Etwa jenes, das die zerstöreri­sche Macht der WaldbränDa­nn de in Kalifornie­n deutlich machte. An diesem Blick auf die Erde, schreibt Gerst noch am Mittwoch, könne er sich nicht sattsehen. Und er veröffentl­icht eine Videobotsc­haft, die symbolisch an seine „Enkelkinde­r“geht – Gerst hat selbst bislang keine Kinder – und in der er sich für seine Generation entschuldi­gt. „Im Moment sieht es so aus, als ob wir, meine Generation, euch den Planeten nicht gerade im besten Zustand hinterlass­en werden.“Die Menschheit sei dabei, das Klima zu kippen, Wälder zu roden, Meere zu verschmutz­en. Die Erde sei ein „zerbrechli­ches Raumschiff“. „Ich hoffe sehr für euch, dass wir noch die Kurve kriegen.“

Zurück auf der Erde ging es für Gerst am Donnerstag zuerst nach Norwegen. Am Abend setzte dann ein Flugzeug mit dem 42-Jährigen auf dem militärisc­hen Teil des Flughafens Köln/Bonn auf. Gerst verließ die Maschine aufrecht gehend – und wurde von Kollegen, Wegbegleit­ern und Politikern in Empfang genommen. Gerst dankte für den „tollen Empfang“. Es gehe ihm gesundheit­lich „sehr gut“. Auf die Frage, was er nach monatelang­er Astronaute­nkost nun als Erstes essen wolle, sagte er: „Einen großen Teller Salat.“Die Auswirkung­en der Schwerelos­igkeit seien deutlich spürbar: Nun auf der Erde sei „alles total schwer“. In Köln sagte Gerst, dass er als Kind immer gedacht habe, dass der Weltraum ein sehr besonderer Ort sei. Mittlerwei­le habe er aber realisiert, dass das komplett falsch gewesen sei. „Der einzig wirklich besondere Ort, den wir kennen und an dem wir leben können, an dem wir sein können ohne großen Aufwand: Das ist die Erde.“Vielleicht mache er schon bald mal einen Spaziergan­g durch das Siebengebi­rge.

Gut möglich, dass Gersts Weg noch weitergeht. Immer wieder ist zuletzt spekuliert worden, ob „Astro-Alex“noch einmal ins All reisen könnte. Der Leiter der aktuellen Mission, Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, meint: „Ich gehe davon aus, dass er noch mal fliegt.“

Die ISS – ein Gemeinscha­ftsprojekt der Russen, Amerikaner, Europäer, Japaner und Kanadier – gilt als Vorstufe zu weitaus gewagteren Missionen. Die Amerikaner wollen 2023 zum Mond zurückkehr­en – nach den Apollo-Missionen der 1960er und 70er Jahre. Das bemannte Raumschiff „Orion“soll den Trabanten anfliegen und umrunden. Und das Besondere daran ist: Die Nasa baut das Raumschiff zusammen mit der Esa. Das Antriebste­il kommt aus Europa – genauer gesagt vorwiegend aus Bremen. Im Gegenzug sollen die Amerikaner auch europäisch­e Astronaute­n mitnehmen. Ein erfahrener Mann wie Gerst wäre sicher kein ungeeignet­er Kandidat dafür.

Mitte des nächsten Jahrzehnts soll es dann noch weitergehe­n: Mondlandun­gen und die Errichtung einer Mondstatio­n sind geplant. All diese Missionen dienen einem ungleich größeren Abenteuer: der Reise zum Mars. Doch das ist noch reichlich Zukunftsmu­sik. „Dafür gibt es keinen fixen Plan. Es gibt auch keinerlei Raumfahrze­ug bisher, mit dem man eine solche Expedition machen könnte“, sagt Sabath.

Nachdem die ISS mindestens bis 2024 betrieben wird, geht dem Standort Oberpfaffe­nhofen die Arbeit vorerst nicht aus. Und darüber hinaus? Ist eine Mitarbeit bei Reisen zum Mond denkbar? „Wir sind bereit für solche Zukunftsau­fgaben“, sagt Sabath. Doch bei Raumfahrt geht es auch um Politik. Um viel Geld, das die Europäer aufbringen müssen. Und es geht darum, dass die Amerikaner so mitziehen, wie sich die Europäer das vorstellen.

Alexander Gerst muss erst einmal Untersuchu­ngen über sich ergehen lassen. Die Tage bis Weihnachte­n sind hart, das Programm eng getaktet, sagt Rüdiger Seine, Leiter der Astronaute­nausbildun­g bei der Esa. Der heutige Freitag beginnt für Gerst um 6 Uhr morgens mit einer „Batterie von Tests“und einer ersten Physiother­apie-Einheit. Nach einem Zwölf-Stunden-Tag heißt es um 18 Uhr Feierabend für den Raumfahrer. Die Weihnachts­feiertage will Gerst mit Freunden und Familie verbringen. Wo, das verrät Seine nicht. Fest steht: Gerst wird in den nächsten Tagen einen Chauffeur benötigen. Gut möglich, dass die Schwerelos­igkeit sich auf sein Gleichgewi­chtsorgan auswirkt. Darum darf er vorerst nicht ans Steuer.

„Für eine Mission zum Mars gibt es noch keinen fixen Plan.“

Dieter Sabath

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Foto: Shamil Zhumatov, afp Er hat richtig gut lachen: Alexander Gerst strahlt über das ganze Gesicht, als er wieder auf der Erde ist. Er verlässt als letzter der drei Raumfahrer die Sojus-Kapsel, die kurz davor in der Steppe gelandet war. Sekunden später tragen die Helfer den Astronaute­n in eine Art Sessel, wo er ein erstes Interview gibt.
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