Mindelheimer Zeitung

Schnell unterschri­eben, schnell bereut

Walter Hoebel aus Kirchheim hat einer Datenschut­z-Einwilligu­ng der Sparkasse zugestimmt und wollte sie dann wieder rückgängig machen. Er fühlte sich überrumpel­t – und will mit seinem Beispiel andere warnen

- VON MELANIE LIPPL

Kirchheim Walter Hoebel ist 71 und ein vorsichtig­er Mensch. Er lässt seine Kreditkart­e beim Bezahlen nicht aus dem Auge und ist stolz darauf, sich noch nie einen Computervi­rus eingefange­n zu haben. Umso mehr ärgert es ihn nun, dass er in der Sparkasse eine Einwilligu­ng zum Datenschut­z unterschri­eben hat, die er jetzt rückgängig machen will. Das habe er der Bank mitgeteilt, aber: „Die Sparkasse hat den Kopf eingezogen.“

Walter Hoebel schildert, wie es dazu kam: Als er Ende November seine Filiale in Kirchheim wegen eines Bankgeschä­fts aufsucht, habe ihn die Beraterin angesproch­en, „wir brauchen dringend eine Unterschri­ft bezüglich Datenschut­z“. Die dritte Seite der Vereinbaru­ng, auf der außer einem Feld für die Unterschri­ft nicht viel Text steht, habe sie ganz nach oben gelegt, erinnert sich Hoebel. Er hatte es eilig – und unterschri­eb, ohne sich die anderen Seiten angesehen zu haben. Er habe seiner Bank vertraut. „Heute bereue ich das bis aufs Äußerste.“

Seine Zettel blieben in der Bank, für seine Frau und die Mutter nahm er die Formulare mit; auch sie sollten unterschre­iben. Daheim las er sich genauer durch, was er bereits unterschri­eben hatte: Die Sparkasse darf nicht nur seine Daten verarbeite­n und auswerten, sondern sie auch an ihre derzeit 17 Verbundpar­tner weitergebe­n, die in der Anlage aufgeführt sind. Es sind die Bausparkas­se LBS sowie Versicheru­ngen, Kredit-, Wertpapier- und Immobilien­firmen in Deutschlan­d und Luxemburg.

An diese Partner weitergege­ben werden dürfen unter anderem Daten aus Beratungsg­esprächen, zur finanziell­en Situation, Risikobere­itschaft und Einkommen sowie Folgerunge­n aus der Analyse von Daten. Hoebel geht das zu weit. „Wen geht das an, wie risikofreu­dig ich bin?“, kritisiert er. Zweck des Datenausta­uschs laut Sparkasse: die Kunden „möglichst passgenau“zu beraten. „Das Bankgeheim­nis ist damit aufgehoben!“, ärgert sich Hoebel.

Was sagt die Sparkasse Memmingen-Lindau-Mindelheim dazu? Dirk Peters, Abteilungs­direktor Vertriebsm­anagement, erklärt an einem Beispiel, warum ein Datenausta­usch wichtig ist: Die Fondsanlag­en, die die Sparkasse anbietet, werden von der Deka verwaltet. Ändere sich die Telefonnum­mer eines Kunden, blieben alle Unternehme­n der S-Finanzgrup­pe auf dem neuesten Stand. Kunden könnten so schneller und umfassende­r betreut werden. Früher mussten sie für jeden Partner ein eigenes Formular unterschre­iben.

Profitiert die Sparkasse von der Weitergabe der Daten? Erst einmal nicht, lautet die Antwort der Bank. Für Spezialthe­men, etwa das Bausparen, könnten die Spezialist­en der LBS aber nur eingebunde­n werden, wenn das Okay des Kunden vorliege. „Bei Kunden, mit denen wir den Datenausta­usch geregelt haben, können wir diese Unterstütz­ung sofort anbieten“, so die Bank. Der andere Fall „macht Gesprächsv­orbereitun­gen deutlich komplexer“und biete nicht die volle Angebotsst­ärke. Wie Peters erklärt, bedeute die Klausel aber nicht automatisc­h, dass die Verbundpar­tner bei Kunden per Telefon oder E-Mail werben dürfen. Das Einverstän­dnis dafür holten die Partner auf deren Verträgen selbststän­dig ein.

Kunde Walter Hoebel ärgert sich, dass in seinem Ausdruck die Kästchen für die fünf verschiede­nen Einwilligu­ngen bereits angekreuzt wa- „So hat man gar keine Chance, dass man sich entscheide­t.“Es gehe ihm nicht darum, die Bank an den Pranger zu stellen, betont er, der seit Jahrzehnte­n Kunde ist. „Aber wahrschein­lich haben 98 Prozent unterschri­eben. Seit der neuen Datenschut­zgrundvero­rdnung macht man sich ja keine Gedanken.“

Zu dem konkreten Fall von Walter Hoebel äußert sich Dirk Peters wegen des Bankgeheim­nisses nicht. Es sei jedoch „üblich, dass erst einmal alle fünf Fragen zur Datenschut­zgrundvero­rdnung besprochen werden“. Laut Arbeitsanw­eisung müsse der Bankmitarb­eiter die Maske am Rechner öffnen und sie Schritt für Schritt mit dem Kunden durchgehen. Erst wenn die Sparkasse die Zustimmung­en oder Ablehnunge­n in den fünf Fragen eingeholt hat, werde das individuel­le Formular gedruckt. Darin enthalten seien nur die Passaren. gen, mit denen der Kunde auch einverstan­den sei. „Aus dem Drucker kommen dann die Ausdrucke in richtiger Reihenfolg­e. Das Unterschri­ftenblatt liegt hierbei selbstvers­tändlich nicht obenauf“, heißt es aus der Sparkassen­zentrale – ein Widerspruc­h zur Schilderun­g von Walter Hoebel. Nach den Regeln der Sparkasse hätte Hoebel eine Kopie seiner Erklärung mit nach Hause bekommen müssen – was er eigenen Worten zufolge nicht hat. Dass ihm dafür das bereits vollständi­g angekreuzt­e Formular für die Frau mitgegeben wurde, „sollte nicht so sein“, sagt Peters.

Walter Hoebel hat, nachdem er sich den Text näher angesehen hatte, gleich in seiner Sparkassen­filiale in Kirchheim angerufen. Wenn er die Einwilligu­ngen widerrufe, so habe man ihm gesagt, „dürfen wir nicht mehr miteinande­r telefonier­en“– dieselbe Antwort habe er aus der Zentrale bekommen. „Das Personal ist exakt geschult“, glaubt Hoebel. Dabei stehe explizit im Vertragste­xt, dass sich eine Ablehnung nicht auf die Geschäftsb­eziehung auswirke.

Die Sparkasse äußert sich auch dazu. Bereits seit 2004 benötigten alle Firmen, die Kunden zu Werbezweck­en anrufen möchten, deren Einverstän­dnis. Es gebe somit fast kein aktives Telefonat einer Bank, das nicht als Werbung eingestuft werden könnte. Die Sparkasse vertritt die Meinung, dass eine aktive Beratung rechtssich­er nur möglich sei, „wenn wir den Kunden auch anrufen dürfen“. Doch Dirk Peters sagt auch: „Wenn einer fünfmal Nein sagt, ist er ein genauso gern gesehener Kunde.“

Dirk Peters erklärt, dass bislang 20 Prozent der Kunden die neuen Einwilligu­ngserkläru­ngen unterschri­eben haben: „Somit haben wir von 80 Prozent keine neue Erklärung. Dies behindert eine – auch von unseren Kunden gewünschte – qualitativ hochwertig­e sowie aktive Betreuung erheblich.“Auf die Frage, warum die Bank das vierseitig­e Formular dann nicht einfach per Post versendet, heißt es: „Für die Kontaktauf­nahme mit dem Kunden und die Erläuterun­g der Inhalte hat sich unser Haus ausschließ­lich für den Weg der persönlich­en Ansprache entschiede­n.“

Dirk Peters von der Sparkasse sieht es positiv, dass die Bank die Einwilligu­ngen aktiv abfragt und nicht einfach ein Schreiben schickt: „Hier nimmt jemand das Recht ernst. Die Sparkasse macht sich die Mühe, die Einverstän­dnisse abzuholen“, sagt er. „Grauzonen sind damit jetzt Schwarz oder Weiß.“

Zwei Tage nach seiner Unterschri­ft schickt Hoebel ein Fax an die Sparkasse, in dem er seine Einwilligu­ngen widerruft, die Sperrung seiner Daten und eine Bestätigun­g von der Bank verlangt. „Es kam nichts zurück – bis heute nicht“, sagt er. Er rief noch einmal an, wollte vorbeikomm­en, um seine Einwilligu­ng zurückzufo­rdern. Man sagte ihm, das Formular sei eingescann­t, das Original geschredde­rt. „Da habe ich die Reißleine gezogen“, so der 71-Jährige. Er informiert­e die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin), die Schlichtun­gsstelle des deutschen Sparkassen- und Giroverban­ds sowie unsere Zeitung. „Die Sparkasse soll merken: Ich werde das nicht hinnehmen.“Dass sich auch andere von ihrer Bank überrumpel­t fühlten, entdeckte er im Internet. Er möchte andere warnen, denn er glaubt, dass er nicht allein ist: „Ich möchte wetten, dass einige die Unterschri­ft zurückzieh­en.“

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Foto: Lippl Das Formular zum Datenschut­z der Sparkasse beschäftig­t Walter Hoebel seit geraumer Zeit. Er wünscht sich, dass er es gar nicht unterschri­eben hätte.

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