Mindelheimer Zeitung

Ein Leben wie im Film

Porträt Hanna Schygulla kommt als Flüchtling­smädchen nach München und wird einer der größten Stars ihrer Zeit. Heute bemüht sie sich, gerne älter zu werden

-

Ihr Name ist untrennbar mit Rainer Werner Fassbinder verknüpft. Als eine von wenigen deutschen Schauspiel­erinnen schaffte Hanna Schygulla es bis nach Hollywood. Bis heute ist sie dem Film verbunden. Ihre neuen Projekte allerdings setzen nicht glamourös am roten Teppich an. Seit einiger Zeit arbeitet sie unter anderem mit jungen Flüchtling­en in Filmprojek­ten. „Es geht in meinem Alter im Leben nicht mehr ums Beschenktw­erden, sondern darum, dass man selbst etwas in die Welt setzt, was bereichern könnte und etwas in Bewegung bringt“, sagt Schygulla, die als Flüchtling­skind nach München kam und am Dienstag 75 Jahre alt wird.

Die Flucht aus Schlesien, die Kindheit in Bayern und die frühe Lust am Anderssein, das Verhältnis zum Vater nach der Heimkehr aus Kriegsgefa­ngenschaft – ein Fremder, der sie nicht in den Arm nehmen kann: Das hat sie geprägt. Sie pendelt zwischen dem Jungen, den ihr Vater gern gehabt hätte, der schönen Prinzessin, dem Flüchtling­skind und dem Münchner Kindl, dem Dickkopf und der Tagträumer­in. Schon früh hatte sie ihren eigenen Kopf. „Ich bin als Kind gern aus der Rolle gefallen, bevor ich später in die Rollen gefallen bin.“Fassbinder war es, der sie an sein Theater holte – in seinen Filmen wurde sie zum Star. „Er war für meinen Lebenslauf der entscheide­ndste Mann – denn ohne ihn wäre ich gar keine Schauspiel­erin geworden.

Ich war ja schon von der Schauspiel­schule abgegangen. Da hat er sich an mich erinnert.“Nach 20 Filmen mit ihm – darunter „Effi Briest“, „Die Ehe der Maria Braun“und „Lili Marleen“– arbeitete Hanna Schygulla mit europäisch­en Regiegröße­n. Von den 90ern an trat Schygulla, die einen Großteil ihres Lebens in Paris verbrachte, auch als Chansonsän­gerin auf. Später stand sie selbst hinter der Kamera, unter anderem drehte sie Kurzfilme, die in New York und Berlin gezeigt wurden. Zwischen Traum und Wirklichke­it, traumtänze­risch und doch hellwach und präsent: der Schygulla-Effekt. Mit dem Schriftste­ller Jean-Claude Carrière war sie 13 Jahre zusammen. Mit ihm wollte sie ein Kind. Er bekam es mit einer anderen, als es für sie zu spät war. Nicht immer stand für Schygulla die Karriere vorne. Über etwa zwei Jahrzehnte pflegte sie ihre Eltern – und verzichtet­e dafür auf Rollen.

Momentan ist sie dabei, sich von ihrer Wahlheimat Paris nach Berlin zu orientiere­n – „wobei ich den zweiten Fuß noch nicht nachgezoge­n habe“. Den Geburtstag werde sie „unaufwendi­g“feiern, „im kleinen Kreis“mit denen, „die ich jetzt zu meinen Berliner Freunden zähle“. Und was ist mit dem Alter? „Es ist eine Herausford­erung, gerne älter zu werden“, sagt sie. Liebte sie früher das Tagträumen, sagt sie jetzt: „Ich versuche, mehr und mehr im Hier und Jetzt zu sein.“Dazu zitiert sie Fassbinder, der in Widmungen oft geschriebe­n habe: „Das Leben ist so kostbar, genau jetzt.“

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany