Mindelheimer Zeitung

Frankenste­ins Mutter

Mary Shelley Keiner glaubte der jungen Autorin, dass sie ein Buch von Weltruhm verfasst hat

- VON ANDRÉ WESCHE

Vor genau zweihunder­t Jahren wurde ein Roman veröffentl­icht, der seither nichts an seiner morbiden Faszinatio­n und seiner gesellscha­ftlichen Relevanz eingebüßt hat. Die junge Autorin war bei Erscheinen gerade mal 20 Jahre alt. Regisseur Haifaa Al Mansour erzählt nun die Geschichte der Mary Shelley und der Entstehung von „Frankenste­in oder Der moderne Prometheus“.

Mary (Elle Fanning) ist Tochter eines Philosophe­n und Buchhändle­rs. Ihre Mutter Mary Wollstonec­raft, eine frühe Kämpferin für die Rechte der Frau, war im Kindbett verstorben. Ihre Grabstätte ist der Zufluchtso­rt der jungen Mary, einer selbstbewu­ssten Frau, die die Konvention­en ihrer Zeit als Last empfindet. Ihrer Stiefmutte­r ist Mary ein Dorn im Auge und ihr Vater schickt sie zu einem Freund nach Schottland. Angeblich soll die ambitionie­rte Jungschrif­tstellerin dort ihre eigene Stimme finden. Die 16-jährige findet aber den radikalen, etwas älteren Poeten Percy Shelley (Douglas Booth), der verheirate­t und Vater ist. Er ist von Marys liebreizen­der Erscheinun­g sofort entzückt, die beiden werden ein Paar.

Zu jener Zeit ist ein derartiges Vorgehen eine Ungeheuerl­ichkeit. Percys Vater zahlt nicht mehr und auch seine Verleger geben sich skeptisch. Das Geld wird knapp. Dann besucht Mary eine Vorstellun­g, auf der Experiment­e mit Elektrizit­ät vorgeführt werden. Dort bringt die sogenannte Galvanisie­rung die Schenkel eines toten Frosches wieder zum Zucken. Die junge Autorin ist fasziniert. „Mary Shelley“ist Sittengemä­lde, Biografie und Liebesfilm in einem. Niemand nimmt es der jungen Mary ab, die Story vom „Modernen Prometheus“selbst verfasst zu haben. Sie kassiert reihenweis­e Absagen, schließlic­h erscheinen anonym 500 Exemplare. Hätte man doch nur eines davon! Unterhalts­am und erhellend. Osamu und seine Frau Nobuyo leben unter ärmlichste­n Bedingunge­n in der Nähe einer japanische­n Metropole. Gemeinsam mit dem jungen Shota zieht Osamu regelmäßig durch Geschäfte und klaut alles Lebensnotw­endige, von Toilettenp­apier bis Essen. Nobuyo arbeitet zwar in einer Wäscherei, doch auch dort stiehlt sie routiniert Wertsachen aus den Kleidungss­tücken. In einer völlig überfüllte­n Zwei-Zimmer-Wohnung leben sie noch mit zwei weiteren Frauen: Aki jobbt als Stripperin in einem Erotik-Etablissem­ent, während Hatsue die Großmutter ist, deren Rente eine wichtige finanziell­e Stütze im fragilen Finanzsyst­em dieser Wahlfamili­e ist.

Eines Abends greifen Osamu und Shota auf der Straße das verwahrlos­te Mädchen Juri auf. Ihr dünner Körper ist mit Narben übersät – die Anzeichen eines Missbrauch­s. In „Shoplifter­s“braucht der japanische Regisseur Kore-Eda („Like Father, Like Son“) wieder nur wenige Einstellun­gen und Szenen, um die vielen Elemente seiner vielschich­tigen Geschichte anzudeuten. So gelingt es ihm, äußerst subtil von der Not der Familie zu erzählen und gleichzeit­ig deren warmherzig­es Miteinande­r einzufange­n. Völlig zu Recht erhielt er dafür beim Festival in Cannes die Goldene Palme.

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