Die Berg- und Talfahrt eines Politikers
Franz Josef Pschierer wurde 2018 Minister und ist nun wieder einfacher Landtagsabgeordneter. Er schildert, wie er das Jahr erlebt hat
Herr Pschierer, Sie wurden im März vom Staatssekretär zum Minister befördert und haben Ihr Amt nach der Wahl an den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger abgeben müssen. Wenn Sie Ihr Jahr mit einem Wort zusammenfassen müssten, welches wäre das? Franz Josef Pschierer: Ein einziges Wort? Das ist schwierig ... stellen wir die Frage mal kurz zurück. Mir fällt sicher noch etwas ein. Was haben Sie 2018 erlebt?
Pschierer: Für mich war es ein sehr ereignisreiches Jahr, das meine ganze Kraft gefordert hat. Seit der Bildung des neuen Kabinetts durch Markus Söder war ich als Wirtschaftsminister und Wahlkämpfer doppelt gefordert. Glücklicherweise kannte ich das Ministerium und die Themen, weil ich schon seit 2008 Staatssekretär war. Die Berufung zum Minister hat mich natürlich sehr gefreut. Und ich hätte mir durchaus vorstellen können, das Amt länger auszuüben. (lacht) Es waren gute acht Monate mit vielen Möglichkeiten, Dinge voranzutreiben. Dann folgte jedoch die die Landtagswahl mit den bekannten Folgen. Insofern gibt es doch einen Ausdruck für dieses Jahr: eine Bergund Talfahrt. Ich freue mich über mein Stimmkreisergebnis, aber ich will nicht verhehlen: Wir hätten uns ein anderes Wahlergebnis gewünscht. Und nachdem die Freien Wähler unter anderem das Wirtschaftsministerium gewählt haben, stand meine Zukunft im Kabinett infrage. Insofern ging’s ganz nach oben und wieder nach unten. Wenn ich ein Bild wählen müsste, würde ich also sagen: Es war eine Berg- und Talfahrt – oder Achterbahn! Wie haben Sie erfahren, dass es mit dem Wirtschaftsministerium nichts wird? Pschierer: Dass das Ministerium an die Freien Wähler geht, habe ich durch einen Anruf von Markus Söder erfahren. Es wurden ja zuerst die Inhalte für die Koalition verhandelt, da war ich, was die Wirtschaftspolitik betrifft, noch beteiligt. Dann hat Markus Söder an einem Sonntagvormittag angerufen und gesagt: „Du, die Freien Wählen haben sich jetzt entschieden für Wirtschaft, Umwelt und Bildung. Tut mir leid. Ich kann dir auch nicht sagen, ob es eine andere Möglichkeit für dich gibt.“Das neue Kabinett wollte der Ministerpräsident jünger und weiblicher gestalten. Beides trifft auf mich nur bedingt oder gar nicht zu. (schmunzelt) Das hat er Ihnen am Telefon gesagt? Pschierer: Nein, das geschah persönlich. Am Sonntag, 4. November, habe ich erfahren: Das Wirtschaftsministerium ist weg. Diese Woche war eine spannende Woche, auf die wieder das Bild der Berg- und Talfahrt zutrifft. Am darauffolgenden Sonntag bin ich für Montag zu einem Termin bei Markus Söder gebeten worden. Ich bin unwissend in dieses Gespräch gegangen und auch sonst wusste niemand etwas. Im Endeffekt ja so wie bei Ihrer Ernennung zum Minister im März ... Pschierer: Genau! Da helfen nur Demut und Gelassenheit – auch wenn es schwerfällt. Und das Wissen, dass politische Mandate immer nur auf Zeit vergeben werden. Haben Sie einen Trick dafür? Pschierer: Ich habe mich am Vorabend mit meiner Frau unterhalten: Es gab nur zwei Möglichkeiten. Du bist dabei – oder du bist nicht mehr dabei. Man kann im Leben nicht alles planen, aber man sollte sich auf Situationen vorbereiten. Wenn es geklappt hätte, hätte ich mich gefreut. Ich bin jetzt aber danach auch nicht in ein tiefes Loch gefallen. Ich hatte das Glück, zehn Jahre Mitglied der Staatsregierung zu sein in zwei hoch interessanten Ministerien, dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium: große Ressorts mit wichtigen Aufgaben. Insofern kann ich dankbar zurückschauen. Sie haben jetzt hineingeschnuppert in das Leben als normaler Landtagsabgeordneter. Wie ist Ihr neuer Alltag? Pschierer: Ganz neu ist das für mich nicht. Aber Unterschiede gibt es
durchaus: Der Tag als Mitglied einer Staatsregierung ist noch viel stärker durchgetaktet, ein enorm schneller Rhythmus, ein Stück weit von außen bestimmt. Die Terminfülle geht manchmal tatsächlich an die Grenze der Belastbarkeit. Und im Wirtschaftsministerium kommen noch sehr viele Auslandsreisen dazu. Gibt es einen Unterschied zwischen Staatssekretären und Ministern? Pschierer: Der Wechsel bringt mehr Verantwortung, die Terminfülle ist ähnlich. Was mich nun freut ist, dass ich als einfacher Abgeordneter wieder mehr Zeit habe, den Stimmkreis zu betreuen. Als Minister hatte ich dagegen einen besseren Zugang zu Informationen und einen umfangreichen Apparat, zu dem mit allen nachgeordneten Dienststellen über 500 höchst qualifizierte Mitarbeiter gehörten. Das ist etwas, das man anfangs schon vermisst. Wer unterstützt Sie heute? Pschierer: Ich habe einen wissenschaftlichen Mitarbeiter und eine Sekretärin im Stimmkreisbüro. In München gibt es die Landtagsbeauftragten, bei denen man sich Informationen holen kann, aber es geht halt ein bisschen umständlicher. Die sind für alle zuständig?
Pschierer: Ja, das heißt: Da ist man nicht mehr die Nummer eins. Es funktioniert auch, aber es ist schon ein Unterschied, weil in den Staatsministerien einfach exzellente Mitarbeiter arbeiten. Für meine Tätigkeit als Abgeordneter habe ich mich entschieden, in den Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst zu gehen – bewusst nicht in den Wirtschaftsausschuss. Ich wollte nicht eine Art Gegen-Minister spielen, sondern habe mir ein Feld ge-
sucht, mit dem ich auch vorher schon zu tun hatte. Ich werde im Ausschuss zum Beispiel die schwäbischen Hochschulen betreuen. Und Sie sind jetzt bei der CSU-Mittelstandsunion aktiv ...
Pschierer: Ich bin dort seit Kurzem Landesvorsitzender. Das war auch der Wunsch vieler in der Partei, nachdem das Wirtschaftsministerium jetzt bei den Freien Wählern ist, dass man das Feld Wirtschaftspolitik entsprechend hoch gewichtet. Und es gibt viel zu tun: Denn die Mittelständler leiden nicht nur unter hohen Steuern, sondern auch ganz stark unter der Bürokratie. Die Mittelstandsunion ist das zweite wesentliche Element für mich. Und die anderen? Pschierer: Das Landtagsmandat, der Ausschuss, die Mittelstandsunion und als viertes: Ich bin nach wie vor mit Freude und Leidenschaft Präsident des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes. An Aufgaben und Arbeit mangelt es also nicht. Aber es ist ein neuer Rhythmus. Umgewöhnen muss man sich auch in ganz banalen Dingen ... Zum Beispiel? Pschierer: Ich bin – das darf man gar nicht laut sagen – vor zwei Wochen zum ersten Mal nach zehn Jahren wieder U-Bahn in München gefahren. Wie kommen Sie jetzt nach München? Pschierer: Ich fahre häufig mit dem Zug. Ich habe die letzten zehn Jahre einen großen Teil meines Lebens im Dienstwagen verbracht. Wir hatten viele Tage mit 1000 Kilometern. Das ist ein Wahnsinn. Da wird der Dienstwagen zum Büro ...
Pschierer: Ja, er ist Büro, zum Teil auch Kleiderschrank. Also ein völlig anderes Leben! Wie geht es Ihnen mit der Veränderung? Sie wirken nicht unzufrieden. Pschierer: Die ersten zwei, drei Wochen waren schon ungewohnt. Was war die größte Umstellung?
Pschierer: Ganz ehrlich: Biorhythmisch hatte ich zu Beginn ein echtes Problem! Ich bin extrem früh aufgewacht, weil der Körper einfach so eingestellt war. Wir waren ja häufig fünf oder sechs Tage unterwegs, sind um sechs Uhr los und nachts um elf, halb zwölf heimgekommen. Am Anfang war schon die körperliche Umstellung gar nicht so einfach, weg von diesem Rhythmus mit wenig Schlaf, viel Stress, den Auslandsterminen. Dieses permanente SichEinstellen auf neue Situationen. Da entsteht, wenn dieser Stress, die ständige Hektik weg ist, eine gewisse Leere. Aber inzwischen fühle ich mich wieder im Einklang: Ich habe erstens einen neuen Takt und zweitens bin ich dabei, wieder Dinge zu lernen, die für mich organisiert worden sind. Ganz banale Sachen: So lagen, wenn der Dienstwagen morgens vor der Tür stand, die Zeitungen des Tages und ein fertiger Pressespiegel schon drin. Jetzt muss ich es für mich wieder selbst organisieren. Das ist am Anfang ungewohnt, aber es macht auch Spaß. Ist es nicht auch schöner, wenn man nicht mehr fremdbestimmt ist? Denn den Takt geben ja andere vor. Pschierer: In diesen Spitzenämtern sind zehn Jahre wahrscheinlich eine gute Zeit – bevor man womöglich nicht mehr in der Lage ist, die Freiräume, die man zurück gewinnt, auch zu nutzen. Man wird auch die
Hektik wieder los. Diese Hektik, der Stress führt ja teilweise auch dazu, dass Sie anderen Menschen gegenüber unsensibel auftreten, sodass diese denken: „Was ist denn mit dem los, diesem Typen? Spinnt der jetzt oder wie geht der mit mir um?“Das passiert nicht aus Ablehnung oder gar Arroganz, sondern weil der Nächste schon wieder irgendwo gewartet hat. Sie sind als Minister permanent verfügbar, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Das fordert einen massiv. Hatten Sie eigentlich ein Zimmer in München? Pschierer: Ja, ich habe ein Apartment und werde es auch behalten. Ich werde sicherlich mehr zu Hause sein, aber ich habe die letzten Jahre natürlich viel Zeit in München verbracht. Es war auch das Leben in zwei Welten. Und ich möchte beides nicht missen – auch die Landeshauptstadt nicht. Aber ich bin Unterallgäuer, ich brauche Bodenhaftung. Ich muss mir jetzt auch keinen neuen Bekanntenkreis aufbauen. Wie haben denn Ihre Freunde und Bekannten reagiert? Pschierer: Positiv. (lacht) Mit ehrlichem Bedauern, aber verbunden mit der Freude und dem Kommentar: „Dann hast ja jetzt wieder mehr Zeit für uns.“Hier habe ich Freunde, Familie, Vereine. Karten-, Stammtisch-, Tennisrunde. Man hat versucht, die Bindung zu halten. Das war häufig schwierig. Da danke ich all jenen, die mich jetzt wieder ein Stück weit aufgefangen haben. Was planen Sie fürs nächste Jahr nach dieser Berg- und Talfahrt 2018? Pschierer: Ich habe früher viel gelesen. In den letzten zehn Jahren aber fast nur Fachliteratur, Vermerke und Akten. Wieder die Möglichkeit zu haben, ein gutes Buch zu lesen, darauf freue ich mich. Was lesen Sie gern? Pschierer: Biografien historischer Persönlichkeiten. Ich habe schon seit Langem eine Biografie über Bismarck. Er ist einer der Menschen, die mich faszinieren. Und natürlich als Musiker auch Biografien über Komponisten, etwa Mozart oder Beethoven. Was ich mir auch ganz fest vorgenommen habe: Ich werde ab 1. Januar den aktiven Kampf gegen die Bewegungsarmut eines Politikers aufnehmen. Das wird damit beginnen, dass ich öfters laufen gehe. Ich werde keine Risikosportarten machen, aber eines der großen Handicaps von Politikern ist tatsächlich, dass man zu wenig geht. Ich habe mal einen Schrittzähler getestet. Das war ernsthaft schockierend! Und Ihre politischen Pläne?
Pschierer: Da will ich dem Thema Mittelstandspolitik große Bedeutung beimessen. Wir leben in Bayern nicht von den großen Konzernen, sondern von hunderttausenden kleinen und mittleren Betrieben in Handwerk, Handel, Dienstleistung, Tourismus und Landwirtschaft. Ich schätze alle Politikbereiche, aber persönlich war ich nie etwas anderes als Wirtschafts- und Finanzpolitiker. Da gilt für mich der alte Satz von Ludwig-Erhardt: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Ziel der Politik muss es sein, Menschen Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten, am besten vor Ort. Ich will keine weiter zunehmende Pendlergesellschaft. Und ich will jungen Menschen helfen, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. In einer wirtschaftlich starken Region werden das immer weniger ... Pschierer: Die Gründerdynamik hat etwas nachgelassen in den letzten Jahren, weil es – gottseidank – gut bezahlte Jobs in der Wirtschaft gab. Wie kann man junge Menschen davon überzeugen, sich dennoch zu trauen? Pschierer: Wir müssen unsere Einstellung zum Scheitern ändern. Denn das gehört zum Gründen oft dazu. Man darf nicht jemanden, der ein Risiko eingeht und scheitert, bis
in die Ewigkeit in die Schublade des Versagers stecken. Da sind uns andere Länder voraus. Scheitern gehört zum Leben! Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben. Wir müssen Gründern helfen, die bürokratischen Hürden zu nehmen, und ihnen Möglichkeiten geben, eine Geschäftsidee zu finanzieren. Dazu gibt es einen Wachstumsfond, den wir im Ministerium aufgelegt haben. Und ich habe weitere Steckenpferde: Ich habe mich sehr stark engagiert für die Bereiche Tourismus und für Luft- und Raumfahrt. Wie haben Sie Ihr Amt samt den Projekten an Hubert Aiwanger übergeben? Pschierer: Es hat bereits eine offizielle Amtsübergabe stattgefunden – gemeinsam mit den Mitarbeitern des Ministeriums. Dort habe ich symbolisch den Schlüssel übergeben und ein Abschiedsgeschenk des Hauses bekommen. Nämlich? Pschierer: Moment ... (verlässt das Büro und kommt eine Minute später mit einer etwa einen Meter großen silberfarbenen Figur des Zigarre rauchenden Ludwig Erhard zurück) Ich bin ein alter Ludwig-Erhard-Fan, Vater der sozialen Marktwirtschaft! Hubert Aiwanger und ich hatten allerdings schon Tage zuvor ein intensives Gespräch über die Aufgaben und Herausforderungen als Wirtschaftsminister. Nur Sie beide oder sitzt da ein ganzer Stab an Mitarbeitern dabei? Pschierer: Nein, das war ein ganz persönliches Gespräch. Ich habe über die Personalstruktur des Hauses informiert, über laufende und geplante Vorhaben, kritische Punkte. Das war, behaupte ich, ein guter Übergang. Wir pflegen auch jetzt einen vertrauensvollen Kontakt. Aiwanger ist ja auch jemand, der den Mittelstand im Blick hat. Pschierer: Wir haben in unserem Gespräch durchaus Gemeinsamkeiten entdeckt. Natürlich setzt er andere Akzente. Aber im Grundsatz macht er – bislang zumindest – einen guten Job. Wo haben Sie selbst als Minister einen guten Job gemacht?
Pschierer: Ich habe die Technologieförderung des Freistaates Bayern neu aufgestellt für die Zukunftsthemen. Künstliche Intelligenz und 3-D-Druck für den Mittelstand verfügbar zu machen, war mir wichtig und ist mir auch gelungen. Das Zweite, was für mich bleibt, ist die Stärkung der Außenwirtschaftsförderung sowie der Ansiedlungspolitik. Wir haben 26 Auslandsniederlassungen. Ich habe sie erweitert und verstärkt, habe Repräsentanzen in China, Korea und Israel eröffnet. Und ich habe ein Mobilfunkpakt auf die Beine gestellt, der die weißen Flecken im Freistaat deutlich reduzieren wird – auch mithilfe eines Förderprogramms. Eine meiner ersten Amtshandlungen war außerdem die Schaffung einer eigenen Tourismusabteilung im Ministerium. Und ich konnte sieben Digitale Gründerzentren eröffnen. Das klingt jetzt vielleicht anmaßend, aber für die Kürze der Zeit konnte ich schon eigene Akzente setzen. Insgesamt blicke ich sehr dankbar und zufrieden zurück, weil ich im Wirtschaftsministerium vieles positiv gestalten konnte – als Staatssekretär und als Minister. War’s das jetzt für Sie an der Spitze der bayerischen Politik? Pschierer: Da treffe ich keine Vorhersagen. Fragen Sie mich einfach in zwei Jahren, wenn es wieder um die nächste Wahl geht. Vielleicht ist dann meine Erfahrung gefragt. Grundsätzlich waren diese zehn Jahre die spannendsten, intensivsten und ereignisreichsten Jahre in meinem beruflichen Leben. Der Wechsel von Ministerpräsidenten, der Regierungswechsel, alle Höhen und Tiefen – einfach enorm spannend! In der Nähe dabei zu sein, habe ich als Privileg empfunden, und dafür bin ich ungeheuer dankbar. Interview: Melanie Lippl