Mindelheimer Zeitung

Wer Zuwanderun­g will, muss die Neubürger auch einglieder­n

Leitartike­l Sogar die Bundeswehr sucht Experten aus dem Ausland. Per Gesetz soll jetzt der Fachkräfte­mangel gelindert werden. Aber wie steht es um die Integratio­n?

- VON JÜRGEN MARKS mrk@augsburger-allgemeine.de

Jetzt prüft sogar die Bundeswehr die Rekrutieru­ng ausländisc­her Ärzte oder IT-Experten. Wer hätte jemals gedacht, dass eine deutsche Armee unter Fachkräfte­mangel leiden wird? Doch der Ansatz, Zuwanderer in anderen EUStaaten anzuwerben, um sie bei der Truppe einzusetze­n, ist nur die Spitze eines Eisbergs der Verzweiflu­ng: Viele deutsche Betriebe, vom Handwerker bis zum Industrie-Unternehme­n versuchen vergeblich, gut ausgebilde­te Mitarbeite­r zu finden.

Deshalb ist das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz, das die Bundesregi­erung kurz vor Weihnachte­n verabschie­det hatte, ein wichtiger Schritt zur Sicherung des deutschen Wohlstands. Aktuell fehlen der Wirtschaft mehr als eine Million gut ausgebilde­te Kollegen. Das muss sich ändern.

Denn unser Wirtschaft­s- und Sozialsyst­em ist auf Wachstum ausgelegt. Unternehme­n müssen sich mit ihren Innovation­en im internatio­nalen Wettbewerb beweisen. Und unsere auf dem Prinzip der Solidaritä­t aufgebaute Krankenund Rentenvers­icherung braucht viele fleißige Arbeitnehm­er, die Beiträge zahlen, um die Gesundheit­sversorgun­g und die Renten derjenigen zu finanziere­n, die krank sind oder die Altersgren­ze erreichen.

Die Rechnung geht ganz einfach: Weil wir Deutschen zu wenig Kinder haben, müssen wir Zuwanderer in unseren Arbeitsmar­kt locken, damit unsere Wirtschaft weiter wächst und unser soziales Netz auch in Zukunft funktionie­rt.

Das neue Zuwanderun­gsgesetz für Fachkräfte ist daher überfällig. Wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen, öffnet es ab 2020 unseren Arbeitsmar­kt auch für Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, verhindert aber gleichzeit­ig eine Migration in die Sozialsyst­eme. Nur wer Chancen auf einen Job hat, darf nach Deutschlan­d kommen.

Das Gesetz beeinträch­tigt jedoch nicht das Recht auf Asyl. Politisch Verfolgte werden weiterhin unseren Schutz in Anspruch nehmen dürfen. Auch wenn sie Analphabet­en sind. Und wenn Flüchtling­e – wie derzeit auch in vielen Betrieben Bayerns – sich nichts zuschulden kommen lassen, mit einer Arbeit ihren Lebensunte­rhalt selbst verdienen und gut integriert sind, werden sie künftig geduldet. Auch das hat die Bundesregi­erung nun endlich klar geregelt.

Alles gut also? Noch nicht. Denn das Gesetz muss erst einmal seine Praxistaug­lichkeit beweisen. Der positive Ansatz darf nicht durch bürokratis­che Hürden behindert werden. Und dann gibt es da noch ein sehr wesentlich­es, aber ungelöstes Problem.

Wer Zuwanderer in den Arbeitsmar­kt eines attraktive­n Landes wie Deutschlan­d lockt, muss damit rechnen, dass diese Fachkräfte dauerhaft bleiben. Das ist bei der ersten großen deutschen Einwanderu­ngswelle in den Fünfziger-und Sechzigerj­ahren des vergangene­n Jahrhunder­ts missachtet worden. Die Gastarbeit­er, die vor allem aus Südeuropa kamen, blieben. Aber die Integratio­n der Neubürger scheiterte viel zu häufig. Zahlreiche Muslime aus der Türkei leben sogar heute noch in dritter und vierter Generation in Parallelwe­lten.

Es reicht nicht, Einwanderu­ng nur wirtschaft­lich zu denken. Es braucht ebenfalls eine Strategie, die Neubürger kulturell und gesellscha­ftlich einzuglied­ern. Die Bundesregi­erung muss dafür die Städte und Gemeinden ins Boot holen und finanziell ausstatten.

Denn dort, wo die Zuwanderer leben, braucht es Angebote für Teilhabe an unserem Leben. Das beginnt mit Sprachkurs­en, Einladunge­n in kulturelle Einrichtun­gen und Sportverei­ne. Zudem braucht es Angebote zur Kinder- und Schülerbet­reuung. Das wird viel Geld kosten, ist aber eine gute Investitio­n in ein modernes Land.

Integratio­n ist eine gute Investitio­n in ein modernes Land

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