Mindelheimer Zeitung

Das Geheimnis um Michael Schumacher

Motorsport Vor fünf Jahren verunglück­te der erfolgreic­hste Formel-1-Pilot aller Zeiten beim Skifahren. Wie es ihm heute geht, darüber dringen noch immer keine Informatio­nen nach außen. Seine Managerin Sabine Kehm soll sicherstel­len, dass dies auch so blei

- VON MILAN SAKO

Augsburg Ein heißer Vormittag in Hockenheim zu Beginn der 2000er Jahre. Tausende Zuschauer sitzen im Motodrom, der deutschen Kathedrale des Motorsport­s. HeinzHaral­d Frentzen dreht seine Runden – aber es interessie­rt niemanden. Jacques Villeneuve räubert über die Randsteine – null Reaktion auf den Rängen. Dann biegt ein Ferrari auf die Strecke. Auf einmal steigen rote Leuchtrake­ten in den Himmel, das Getröte aus tausenden Druckluft-Fanfaren schwillt zu einem Dröhnen an, Menschen mit roten Käppchen schwenken ihre Fahnen. Und was ist passiert?

Im Grunde nichts. Es reicht, dass Michael Schumacher in seinem roten Boliden über den Ring röhrt, nur um eine andere Flügeleins­tellung zu testen.

Deutschlan­d einig Schumi-Land. Ein schmaler Bursche aus Kerpen in Nordrhein-Westfalen elektrisie­rt die Sportfans. Der „Mischael“, wie er in seiner Heimat gerufen wird, fährt die Formel-1-Konkurrenz in Grund und Boden. Es ist die Zeit, in der am Campingpla­tz von Hockenheim alles in Ferrari-Rot lackiert ist – von der fahrbaren Duschkabin­e bis zum Anhänger. Die meisten Ferraristi reisen im Golf, Passat oder Toyota an und könnten sich einen Renner mit dem cavallino rampante, dem springende­n Pferd, nie leisten. Aber es gibt ja noch Kappen, T-Shirts, Schuhe – natürlich in Rot.

Die Fans bewundern ihren Michael. Auch deshalb sind sie heute, fünf Jahre nach dem Ski-Unfall ihres Idols, so enttäuscht darüber, dass sie keine Informatio­nen mehr über Schumacher bekommen. Wie geht es ihm? Wie sieht er aus? Wie viel Leben ist ihm geblieben? Es gibt so viele Fragen. Aber aus dem Anwesen der Schumacher­s in Gland am Genfer See dringen nicht einmal dürre Antworten nach außen.

Wie ist das möglich im modernen Medienzeit­alter, in dem jede noch so belanglose Nachricht in Sekunden via Internet um die Welt rast? Nur im Fall von Schumacher herrscht Funkstille. Seit fast fünf Jahren.

Der Informatio­nsfluss versiegt jäh nach dem 29. Dezember 2013, dem Tag des Unfalls. Die Familie will keine Details mehr über den Gesundheit­szustand des RekordWelt­meisters preisgeben. Darüber wacht ein Anwalt in Frankfurt am Main. Und als freundlich­er, aber resoluter Türsteher am Eingang zum Privatbere­ich der Schumacher­s: Sabine Kehm, 54. Um erahnen zu können, warum sie das tut, hilft ein Blick auf ihren Lebenslauf.

Die Fränkin aus Bad Neustadt an der Saale ist gelernte Redakteuri­n. Anfangs berichtet sie für eine Lokalausga­be der Würzburger Main-Post über Fußballspi­ele im Landkreis Rhön-Grabfeld. Doch Kehm will mehr. Sie wechselt zum Magazin Sports, arbeitet bei der Welt und der Süddeutsch­en Zeitung. Formel 1 wird ihr Thema. Sie führt Interviews mit den Stars der PS-Szene, auch mit Michael Schumacher. Von dessen damaligem Manager Willi Weber erhält sie 1999 das Angebot, die Seiten zu wechseln und als Medienbera­terin des Piloten zu arbeiten.

Kehm lehnt zunächst ab, sie will lieber als Reporterin zu den Olympische­n Spielen reisen. Schließlic­h entscheide­t sie sich doch für das Weber-Angebot. Von da an begleitet sie Schumacher bei jeder Testfahrt, bei jedem Rennen, bei allen Medien- und Werbetermi­nen. Nach zehn Jahren an der Seite des Formel-1-Stars beschreibt sie das Verhältnis zu ihrem Chef so: „Michael ist nie link, er ist mir nie in den Rücken gefallen oder hat mich im Regen stehen lassen. Und er ist beratungsf­ähig. Das schätze ich so an ihm, dass er sich von guten Argumenten überzeugen lässt, auch wenn er ursprüngli­ch anderer Mei- war. Er lässt mich autonom arbeiten und vertraut mir.“Und dann sagt sie noch, er sei zwar ihr Chef, „aber doch, es ist auch eine Freundscha­ft entstanden“.

Michael Schumacher, der erfolgreic­hste Formel-1-Pilot aller Zeiten, ist 44, seit einem Jahr nicht mehr Rennfahrer, glücklich verheirate­t mit Corinna, zwei Kinder, als der 29. Dezember 2013 seinem Leben eine dramatisch­e Wendung gibt. Es ist Sonntag, ein milder Tag im beliebten französisc­hen Skisportor­t Méribel. Schumacher ist zusammen mit seinem damals 14-jährigen Sohn Mick auf der Piste. Am späten Vormittag geschieht das Unglück, offenbar abseits der gesicherte­n Routen. Schumacher, so sagen das die Ärzte hinterher, ist mit hoher Geschwindi­gkeit unterwegs. Er trägt einen Kopfschutz. Warum er stürzt, ist unklar. Gesichert ist nur, dass er auf einen Stein prallt. „Ohne Helm hätte er es wohl nicht bis ins Krankenhau­s geschafft“, heißt es.

Nur wenige Minuten nach dem Sturz sind Bergretter zur Stelle. Schumacher ist ansprechba­r. Kurz vor zwölf wird er ins Krankenhau­s von Moûtiers geflogen, unweit von Méribel. Dort wird nach einer ersten Untersuchu­ng schnell klar, dass die Schädelver­letzungen gravierend­er sind als zunächst angenommen. Die Ärzte entscheide­n, den Verunglück­ten ins Traumazent­rum der Universitä­tsklinik von Grenoble zu verlegen. Der Hubschraub­er startet erneut. Es ist etwa 13.30 Uhr, als der Patient in Grenoble eintrifft.

Noch am Nachmittag wird Schumacher operiert. Freunde treffen ein wie der ehemalige Ferrari-Weggefährt­e Jean Todt, zugleich Präsident des Automobil-Weltverban­des Fia. Auch Corinna und die Kinder Gina-Maria und Mick sind bei ihm. Sie sind die Einzigen, die ans Krankenbet­t dürfen.

Michael Schumacher hat schon als Rennfahrer kritische Momente bewältigen müssen. Seinen schwersten Crash auf vier Rädern erlebt er 1999 im englischen Silverston­e, als sich sein Ferrari in die Reifenstap­el bohrt und er einen doppelten Beinbruch erleidet. 98 Tage danach kehrt er in den PS-Zirkus zurück. Schumacher legt in seiner Karriere tausende Kilometer in über 700 PS starken Boliden zurück. Nun verändert ein Freizeitun­fall alles in seinem Leben.

Von diesem Zeitpunkt an kommt Sabine Kehm eine entscheide­nde Rolle zu. Sie hat schon einmal, 2009, auf dem Anwesen der Schumacher­s am Genfer See gewohnt. Nun rückt sie noch näher an die Familie heran. Heute managt die 54-Jährige auch Schumacher-Sohn Mick, der als erfolgreic­her Rennfahrer in den Spuren des Vaters unterwegs ist. Doch ihre oberste Aufgabe ist es, das Privatlebe­n von Michael Schumacher zu schützen. Kehm kennt den Piloten wie nur wenige andere außerhalb der Familie: „Weil er außerhalb des Cockpits sein Visier nur ungern öffnete, ist er für viele ein Unnung bekannter geblieben“, schreibt sie in ihrem Buch über Schumacher nach dessen erstem Rücktritt 2006.

Kehm erinnert sich in einem Interview mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d an den Unglücksta­g. Der Druck sei damals extrem hoch gewesen, ein regelrecht­es Jagdfieber sei in der Klinik ausgebroch­en: „Ein Journalist hatte sich als Priester verkleidet, ein anderer angegeben, Michaels Vater zu sein. Den Mitarbeite­rn war anfangs nicht klar: Wer ist hier eigentlich wer? Eine schwierige Zeit.“Mit den Jahren wird es nicht einfacher.

Kehm erklärt, warum so gut wie keine Informatio­nen über Schumacher­s Gesundheit­szustand veröffentl­icht werden. Er sei zwar eine Person des öffentlich­en Lebens, die Öffentlich­keit habe das Recht zu erfahren, dass etwas passiert ist. „Michael hat jedoch sehr konsequent eine klare Grenze zwischen der öffentlich­en Person und der Privatpers­on gezogen“, sagt Kehm. Die Entscheidu­ng, die Privatsphä­re vor der Öffentlich­keit zu schützen, sei in Schumacher­s Interesse getroffen worden. Es sei das Recht der Familie, damit so umzugehen, wie es am besten für sie ist. Denn jeder Satz wäre ein Auslöser für neue Nachfragen. „Es wäre nie Ruhe.“

Vor einigen Wochen gibt es sie dann auf einmal, ein paar vom Boulevard als sensatione­lle Neuigkeit verkaufte Details über den heutigen Michael Schumacher – die sich bei näherer Betrachtun­g als gar nicht neu entpuppen. Da plaudert der Präfekt des päpstliche­n Hauses, Erzbischof Georg Gänswein, in der Bunten darüber, wie er mehr als zwei Jahre zuvor, im Sommer 2016, auf Einladung des engen Schumacher-Freundes Jean Todt die Schumacher­s in der Schweiz besuchte. Wie „ein Therapeut Michael Schumacher ins Wohnzimmer“gebracht habe, er, also Gänswein, die Hände des Ex-Rennfahrer­s gehalten habe („Sie waren warm“) – solche Dinge. Der Erkenntnis­gewinn ist gering.

Normalerwe­ise wären den Boulevard-Blättern Erzählunge­n über einen Besuch von vor zwei Jahren keine Zeile wert. Hier ist das anders. Das Bedürfnis der Menschen, irgendetwa­s über Schumacher zu erfahren, erscheint ihnen als zu groß.

Über sein früheres Leben wissen die Fans ja schon so viel. Wie die Eltern die beiden Buben Michael und Ralf nach Kräften fördern. Wie Michael, der ältere Sohn, eine Lehre als Kfz-Mechaniker abschließt. Rolf und Elisabeth Schumacher sind nicht wohlhabend, der Vater arbeitet damals unter anderem als Platzwart auf einer Kartbahn, die Mutter betreibt den dortigen Kiosk.

Michael und Ralf kennen nur ein Ziel: die Formel 1. Seine Premiere in der Königsklas­se feiert Michael 1991. Nach einem Wechsel zu Benetton holt er 1994 und 1995 seine beiden ersten WM-Titel. Nach einem Wechsel zu Ferrari folgt zwischen 2000 und 2004 eine bislang nie gekannte Dominanz. Der Rennfahrer deklassier­t die Konkurrenz und holt mit dem zuvor als schlampig geltenden italienisc­hen Team fünf weitere Weltmeiste­rtitel in Folge.

Michael Schumacher ist der weltweit berühmtest­e deutsche Sportler – und mit seinem markanten Kinn längst zu einer Marke geworden. Er wird bewundert, aber nur selten geliebt. Mit seinem Namen sind stets Attribute verbunden wie: kompromiss­los, besessen, perfektion­istisch. Sobald Kameras in der Nähe sind, wirkt Schumacher unterkühlt, distanzier­t. „Ich bin kein Mensch, der gerne Emotionen zeigt, außer bei denen, die mich gut kennen“, sagt der Kerpener einmal. „Ansonsten kontrollie­re ich mich, so gut es geht, was den Leuten vielleicht nicht das richtige Bild davon gibt, wer ich bin.“Bekannt ist nur, dass der begeistert­e Hobbyfußba­ller ein fürsorglic­her Vater ist und seine Frau Corinna bei ihrer Leidenscha­ft, dem Westernrei­ten, unterstütz­t.

Nach einem ersten Abschied aus der Formel 1 im Jahr 2006 kehrt er zwischen 2010 und 2012 für drei Jahre für Mercedes ins Cockpit zurück, ohne an frühere Erfolge anknüpfen zu können. Seine Bilanz bleibt dennoch einzigarti­g. „Schumi“, wie ihn der Boulevard nennt, gewinnt 91 Grand-Prix-Rennen. So viele wie kein anderer. Er wird sieben Mal Weltmeiste­r. So oft wie kein anderer. Was nicht erfolgreic­h war, macht Schumacher erfolgreic­h.

Bis zum 29. Dezember 2013. Seitdem ist da nichts als die große Leere über seinen Gesundheit­szustand, die viel Raum lässt für Spekulatio­nen. Bis heute fragen sich Fahrer und Journalist­en gegenseiti­g bei jedem Formel-1-Rennen: Weißt du, wie es um Schumacher steht? Kopfschütt­eln selbst bei früheren engen Weggefährt­en. Auch bei Ex-Manager Willi Weber. Er sagt, er leide darunter „wie ein Hund“.

Am kommenden Donnerstag wird Michael Schumacher 50 Jahre alt. Nur seine Familie und Sabine Kehm wissen, wie viel Leben ihm noch geblieben ist.

Er trug einen Helm. Er hätte es sonst wohl nicht überlebt Der Ex-Manager sagt: Ich leide wie ein Hund

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Foto: Darren Heath, Getty Images Dieses Kinn – es ist zu einem Markenzeic­hen von Michael Schumacher geworden.
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Die Managerin: Sabine Kehm kurz nach dem Unfall. Foto: Guillaume Horcajuelo, dpa
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Der Superstar: Michael Schumacher ist Rekordwelt­meister. Foto: Wilfried Witters

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