Mindelheimer Zeitung

Die „Task Force“Kindergeld

Die hohe Zahl ausländisc­her Empfänger sorgt für Debatten. Nun gibt es neue Rekorde. Sogar der Zoll soll nun nach Betrügern fahnden

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An der Tür eines recht baufällige­n Hauses klingelt es. Polizisten und Mitarbeite­r von Stadtverwa­ltung und Jobcenter überprüfen die Bewohner. Das Ergebnis: Bei jedem dritten Haushalt stimmt was nicht, es wird für drei und mehr Kinder Kindergeld bezogen; aber die meisten Kinder existieren nur auf dem Papier. Die Geburtsurk­unden tragen alle den gleichen Stempel, sind gefälscht. Diese Stichprobe in einer deutschen Stadt ist kein Einzelfall. Und wenn ab Juli das Kindergeld um zehn Euro im Monat auf 204 Euro für das erste und zweite Kind steigt, kann das Betrüger weiter anlocken.

Daher lastet Druck auf Karsten Bunk. Er ist der Chef der bei der Bundesagen­tur für Arbeit angesiedel­ten Bundesfami­lienkasse und koordinier­t die 14 regionalen Familienka­ssen, die die Kindergeld­zahlungen organisier­en. Im August kochte eine hitzige Debatte um stark steigende Kindergeld­zahlungen in das Ausland hoch. Duisburgs Oberbürger­meister Sören Link (SPD) machte Familien aus Rumänien und Bulgarien für Kindergeld­betrug und völlig verwahrlos­te Zustände verantwort­lich. Woraufhin der Präsident des Zentralrat­s der Sinti und Roma, Romani Rose, Link Rassismus vorwarf. „Es gibt in Deutschlan­d tausende Roma aus Rumänien oder Bulgarien, die hier arbeiten und Sozialbeit­räge zahlen.“Die AfD prangert die steigenden Zahlungen an ausländisc­he Empfänger gerne an – die Regierung will dem Missbrauch einen Riegel vorschiebe­n. Rund 5,2 Millionen Euro will die Familienka­sse 2019 zusätzlich dafür ausgeben. Die Zahl der Kindergeld­empfänger steigt stetig. Das hat mit drei Faktoren zu tun: mehr Arbeitskrä­fte aus dem EU-Ausland, steigende Geburtenra­ten in einigen Regionen und eine wachsende Zahl anerkannte­r Flüchtling­e. 15,35 Millionen Kinder erhielten im November Geld vom deutschen Staat. Erstmals wird die Kinderzahl in diesem Jahr über 15 Millionen liegen. Die Zahl der ausländisc­hen Kinder liegt mit drei Millionen bei 19,6 Prozent. Insgesamt stieg die bis November ausgezahlt­e Kindergeld­summe für dieses Jahr auf 33,8 Milliarden Euro an, davon entfielen 6,9 Milliarden Euro auf ausländisc­he Empfänger. 370,5 Millionen Euro wurden in diesem Jahr bislang auf ausländisc­he Konten überwiesen.

Umstritten sind zwei Punkte, die oft vermischt werden. Erstens: die steigenden Zahlungen ins Ausland. Im November empfingen 281 809 Kinder, die außerhalb Deutschlan­ds in der restlichen EU, der Türkei und dem früheren Jugoslawie­n leben, Kindergeld vom deutschen Staat. Darunter waren aber auch 32 013 Kinder mit deutschem Pass – von Eltern, die dort arbeiten. Umstritten sind vor allem die Überweisun­gen nach Osteuropa. In Rumänien beträgt der Durchschni­ttsverdien­st dem Statistiki­nstitut zufolge rund 440 Euro. Wenn man in Deutschlan­d als Pflegerin arbeitet und zwei Kinder zu Hause gelassen hat, bekommt man Kindergeld, das praktisch der Höhe des Durchschni­ttslohns in der Heimat entspricht. Die AfD pocht auf ein Vorgehen wie in Österreich, wo man beschlosse­n hat, die Zahlungen in das Ausland drastisch zu senken, sie sollen angepasst werden an die Lebenshalt­ungskosten im Empfängerl­and.

Aber diese „Indexierun­g“stößt sich mit EU-Recht, meint die EUKommissi­on. Es gilt der Grundsatz, dass gleiche Beiträge auch zu den gleichen Vorteilen führen sollten. Denn die im Zuge der EU-Freizügigk­eit hier arbeitende­n Menschen zahlen ja auch entspreche­nde Sozialbeit­räge in Deutschlan­d ein – da ist es aus EU-Sicht unfair, wenn sie nicht das gleiche Kindergeld bekommen. Die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten aus Osteuropa ist von 2015 bis 2017 um 295 000 auf knapp 1,2 Millionen gestiegen. Und zweitens ist da der Betrug im Inland. Während man im ersten Fall auf gebundene Hände durch Brüssel verweist, soll hier mit einer „Task Force“gegengeste­uert werden. Das Betrugssch­ema erklärt Bunk so: „Die klassische­n Fälle sind meist ganze Familien, die nach Deutschlan­d kommen und sich in Verhältnis­sen etablieren, wo man nicht den Eindruck hat, dass sie sich hier dauerhaft niederlass­en wollen.“Sie wohnen in Schrottimm­obilien, und es wird für vergleichs­weise viele Kinder Kindergeld beantragt. „Kindergeld­berechtigt­e aus Südosteuro­pa haben durchschni­ttlich ein bis zwei Kinder. In den Verdachtsf­ällen werden dann häufig gleich drei, vier oder fünf Kinder identifizi­ert.“Und die eingereich­ten Bescheinig­ungen und Geburtsurk­unden seien lückenhaft oder sähen oft immer gleich aus, mit den gleichen Stempeln und Unterschri­ften, die schon in vorher festgestel­lten Missbrauch­sfällen aufgefalle­n sind.

Wenn man in Rumänien oder Bulgarien nachfrage, ob es diese Schule oder diese Beurkundun­gsform gibt, „stellt man oft fest: Nein, gibt es nicht“, erzählt Bunk. Es gibt häufig einen Akteur, der für gleich mehrere Familien als Dolmetsche­r und Betreuer auftrete. Aber gleichwohl sei es unseriös, daraus die Botschaft zu machen, das betreffe alle Rumänen und alle Bulgaren. „Nach allem was wir wissen, betrifft das immer noch eine sehr kleine Gruppe“, betont Bunk. Jede der 14 Familienka­ssen bekommt nun zwei Experten abgestellt, die Daten abgleichen und Betrugsmus­ter aufdecken sollen. Alle Verdachtsf­älle werden an eine zentrale Sondereinh­eit gegeben. „Zu viel gezahltes Geld wird zurückgefo­rdert“, betont Bunk.

Sogar der Zoll soll nun aktiv werden. Die Mitarbeite­r können künftig bei Arbeiterko­ntrollen etwa auf Baustellen auch deren Kindergeld­bezug überprüfen – Bunk lobt das ausdrückli­ch. Das Ziel: Künftig kooperiere­n Zoll, Jobcenter, Ausländerb­ehörde und Familienka­ssen viel enger als bisher miteinande­r. Denn alle wissen: In politisch aufgeladen­en Zeiten ist jeder Betrugsfal­l einer zu viel. Von Georg Ismar, dpa

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