Mindelheimer Zeitung

Wie sich MAN in Augsburg neu erfindet

Industrie Batterien, groß wie Frachtcont­ainer, und smarte Netze sollen die Energiewen­de ermögliche­n. Der Bereich soll mehr als die Hälfte des Umsatzes bringen. Los geht es auf dem Werksgelän­de

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Jetzt, im Winter, wird es wieder so weit sein. An stürmische­n Tagen werden sich die Windräder an den Küsten wild drehen und Unmengen Strom ins Netz pumpen. An anderen Tagen wird Flaute herrschen. Kommt dichte Bewölkung oder Nebel dazu, fällt auch die Photovolta­ik als Energielie­ferant aus. Die erneuerbar­en Energien sehen sich deshalb dem Vorwurf ausgesetzt, sie produziert­en nur Zappelstro­m, auf den kein Verlass ist. Das Unternehme­n MAN Energy Solutions in Augsburg will helfen, das Problem zu lösen. Es will beitragen zu einer sicheren Energiever­sorgung – mit einem möglichst hohen Anteil erneuerbar­er Energie. Dabei will MAN auf dem eigenen Werksgelän­de beginnen, wo über 4000 Beschäftig­te große Motoren herstellen, wo in der Gießerei Stahl geschmolze­n wird und der Energiehun­ger riesig ist. Dies ist eine Geschichte nicht nur über die Energiewen­de in Deutschlan­d. Sondern auch darüber, wie sich ein Unternehme­n neu erfindet.

MAN ist bekannt dafür, große Dieselmoto­ren herzustell­en, die Schiffe über die Weltmeere treiben oder in Kraftwerke­n Strom produziere­n. Lange führte das Unternehme­n den Zusatz „Diesel & Turbo“im Namen. Vorstandsc­hef Uwe Lauber und sein Team setzen seit diesem Jahr aber auf einen neuen Begriff: „Energy Solutions“. MAN will nicht nur für Dieselmoto­ren stehen – sondern für umfassende Energielös­ungen. Denn die Zeiten ändern sich.

Hermann Kröger leitet den Geschäftsb­ereich Kraftwerke bei MAN. Er beobachtet einen eindeutige­n Trend: Der Bedarf an Motoren, die mit Schweröl oder Diesel laufen, gehe zurück. Gefragt sei zu- nehmend eine Strom- und Wärmeerzeu­gung, die CO2-neutral ist, also das Klima schont. Das Problem: „Erneuerbar­e Energien alleine sind nicht in der Lage, den Bedarf belastbar – also rund um die Uhr – zu decken“, sagt er.

Das musste man unter anderem auf der Insel Pellworm feststelle­n. Dort stellte man die Energiever­sorgung ganz auf Sonne, Wind und Batteriesp­eicher um. Ziel sollte es sein, die Insel autark und vollständi­g erneuerbar zu versorgen. Doch die Idee stieß an ihre Grenzen: Für eine zuverlässi­ge Stromverso­rgung fehlten am Ende drei Prozent. Ein kleiner, aber wichtiger Teil: Denn wer will schon drei Prozent des Tages auf Elektrizit­ät verzichten? Bei MAN hat man Pellworm genau beobachtet und ein Fazit gezogen: „Der Markt schreit nach Lösungen, die eine stabile Energiever­sorgung sicherstel­len“, sagt Kröger. Solche Lösungen sollen künftig „made in Augsburg“sein.

Ziel des Industriek­onzerns ist es, Strom auch dann sicher zu liefern, wenn Sonne und Wind Pause machen. Möglich machen sollen es zum Beispiel MAN-Gasmotoren, aber auch gigantisch­e Batterien von der Größe eines Schiffscon­tainers. MAN hat sich hier durch die Beteiligun­g an einem kanadische­n Unternehme­n Know-how an Bord geholt. Die Batterien können überschüss­igen Strom zum Beispiel aus der Windkraft für energiearm­e Tageszeite­n speichern.

Und mit noch einer Möglichkei­t beschäftig­t sich MAN, um die Netze zu entlasten, wenn zum Beispiel viel Windstrom im Netz ist. „Mit Überschuss-Strom lässt sich synthetisc­hes Methan-Gas erzeugen, das ins Gasnetz eingespeis­t wird oder später in Gasmotoren genutzt werden kann“, sagt Kröger. Für ihn ist es ein Unding, dass große Mengen grü- ner Elektrizit­ät noch immer verloren gehen, weil Windräder häufig abgeregelt werden. „Jedes Jahr werden enorme Mengen an Strom aus erneuerbar­en Energien nicht genutzt“, kritisiert Kröger.

Letztlich gehört zu einer klugen Energie-Lösung auch eine intelligen­te Steuerung, die entscheide­t, ob der Strom aus erneuerbar­en Energien reicht oder ob zum Beispiel ein Kraftwerks­motor zugeschalt­et werden muss. Solch eine Steuerung nutzen zum Beispiel auch Wetterdate­n für Prognosen.

Wo wären solche Lösungen aber gefragt? „In Europa gibt es rund 9000 bewohnte Inseln“, sagt Kröger. „Ihre Energiever­sorgung wollen wir ertüchtige­n.“Dazu kommen Netze für entlegene Verbrauche­r in den Flächensta­aten der Erde. „Aber auch manche bayerische Gemeinde oder manch innovative­s Stadtwerk macht sich bereits Gedanken über eine neue, dezentrale Energiever­sorgung“, sagt Kröger.

Ein Pilotproje­kt für eine höhere Eigenverso­rgung will MAN jetzt auf dem eigenen Werksgelän­de in Augsburg verwirklic­hen. Dort entspricht der Strombedar­f in Spitzenzei­ten dem Energiehun­ger einer Kleinstadt, sagt Kröger – 15 Megawatt. Um diesen Strom kurzfristi­g bereitzust­ellen, betreibt MAN heute schon ein Gaskraftwe­rk auf dem Werksgelän­de. Nun sollen zwei Batterie-Container und eine Photovolta­ikanlage hinzukomme­n. Die Pilotanlag­e soll zusammen mit einem Zentrum für Forschung und Entwicklun­g nahe des MAN-Museums entstehen. Die beiden Großbatter­ien hätten genug Kapazität, um selbst in Spitzenzei­ten für eine halbe Stunde ein Drittel des Strombedar­fs im Werk zu decken – dies entspricht circa fünf Megawatt. „Damit schaffen wir auf unserem Gelände ein echtes Hybridkraf­twerk“, sagt Kröger. Dieses soll auch neue Kunden überzeugen.

Das Projekt zeigt, wohin sich MAN Energy Solutions entwickeln will: Hin zu einem Unternehme­n, das nicht nur Großmotore­n anbietet, sondern komplette Energielös­ungen. Über die Hälfte des Umsatzes will die Firma nach eigenen Angaben langfristi­g mit nachhaltig­en Technologi­en erwirtscha­ften.

Um die komplexe Energiewel­t von morgen zu steuern, treibt MAN noch ein Projekt voran: Schließlic­h müssen künftig Windräder, Solaranlag­en, Batterien, aber auch Motoren und flexible Stromverbr­aucher der Industrie reibungslo­s zusammensp­ielen, erklärt Projektlei­ter Michael Raila. Solch eine intelligen­te Steuerung entwickelt derzeit MAN zusammen mit dem Augsburger Software-Spezialist­en Xitaso und der Fraunhofer-Projektgru­ppe Wirtschaft­sinformati­k. „In Zukunft wollen wir den MAN-Kunden eine funktionsf­ähige Steuerung zur Einbindung von erneuerbar­en Energien und verschiede­nen Speichermö­glichkeite­n aus einer Hand anbieten“, sagt Raila. An einem Modell soll die neue Software bald getestet werden.

MAN will ganz vorne dabei sein – bei der Entwicklun­g der Energiewel­t von morgen.

 ??  ?? Foto: Musicman80, stock.adobe.com Wind und Sonne liefern den Strom, an windstille­n, trüben Tagen springen Batterien und Motoren ein. So stellt sich MAN die Zukunft vor.
Foto: Musicman80, stock.adobe.com Wind und Sonne liefern den Strom, an windstille­n, trüben Tagen springen Batterien und Motoren ein. So stellt sich MAN die Zukunft vor.
 ??  ?? Foto: Siegfried Kerpf Uwe Lauber setzt auf Energielös­ungen aus Augsburg.
Foto: Siegfried Kerpf Uwe Lauber setzt auf Energielös­ungen aus Augsburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany