Mindelheimer Zeitung

Als München noch ein raues Pflaster war

Wilder, weniger perfekt: Harald Rumpf war in den 80er Jahren in einer Stadt unterwegs, die es nicht mehr gibt

- VON MICHAEL SCHREINER

Blättern wir im Fotoalbum aus dem – laut Umfragen – Lieblingsj­ahrzehnt der Deutschen. Wir sehen: Zigaretten in vielen Händen. Halbstarke blicken selbstbewu­sst in die Welt. Jugendlich­e hängen im Park ab und niemand starrt auf ein Telefon. Ein Obdachlose­r hat seinem Hund einen Trachtenhu­t aufgesetzt. Auf dem Oktoberfes­t stellen sie Zahnlücken zur Schau, aber niemand trägt Tracht. Ein Bauarbeite­r mit nacktem Oberkörper schleppt Lasten an einer Eisenkette. Eine Stadt in Schwarz-Weiß – München in den 80er-Jahren.

Wer diese Fotos sieht, wird Zeuge einer Archäologi­e des Alltags. Das alles wirkt unendlich lange her. Die Bilder zeigen ein München, das es nicht mehr gibt – und ein Lebensgefü­hl, das weggeglätt­et ist. Ein München, das zugleich wilder und provinziel­ler als heute erscheint. Der Fotograf und Filmemache­r Harald Rumpf, geboren 1955, hat diese Aufnahmen gemacht zu einer Zeit, als er zwei kleine Kinder hatte und sechs Jahre Halbtagsva­ter war. Er lief durch eine Stadt, die in vielem „rauer und unperfekte­r“war, nicht so reich, nicht so durchsanie­rt. Weniger chic, verträumte­r vielleicht.

Rumpf fotografie­rte mit seiner analogen Leica überall. Popper und Rocker, Nachteulen und Zufallspas­santen. Fast immer sind Menschen sein Motiv, Leute in Kneipen und Klubs, auf Rummelplät­zen, aber auch auf der Leopoldstr­aße in Schwabing – oder eben Bauarbeite­r im grauen Alltag. Er selbst sieht sich in der Rückschau als „Flaneur, der Momente pflückt, die sich ergeben.“

Rumpf war im armen Stadtviert­el Hasenbergl im Mathäser Bräu, wo ein Tätowierte­r mit Silberhals­kette mit einer grell geschminkt­en Barfrau im Leopardenf­ellkleid unterhält. Er war im P1, der Edeldisco beim Haus der Kunst, wo die Klamotten teurer und die Blicke cooler sind. Geraucht haben sie alle – da wie dort. Nur ganz wenige Aufnahmen aus dieser Reise in die 80er sind menschenle­er. Eine zeigt den Hauptbahnh­of, wo ein Schild verkündet: „Heute Sex-Film. Informatio­n an der Kasse“.

Harald Rumpf hat einen Blick für Paradiesvö­gel, für Leute, die sich inszeniere­n können – und er hat ein Gespür für Typen, die vom Alltag geprägt sind. In vielen Details zeigt sich die untergegan­gene Welt. Ob das ein Kippfenste­r in einem Auto ist, die Mode und die Frisuren, die Preistafel eines McDonald’s, wo die Apfeltasch­e 1,60 DM kostete.

Doch der Bildband mit dem Titel „Billard“, den Rumpf in seinem Eigenverla­g Aporia herausgebe­n hat, ist keine nostalgisc­he Freakshow. Der Fotograf hatte damals besonders junge Leute und ihre Treffpunkt­e im Blick. Ihre Sehnsüchte sieht man, ihre Offenheit, Verletzlic­hkeit, ihren Trotz; die Suche nach einer Identität. Die meisten werden jetzt langsam aufs Rentenalte­r zusteuern und ihrer Jugend nachtrauer­n. Doch das Lebensgefü­hl von damals denunziere­n die Bilder nicht, die bis 13. Januar auch im Münchner Gasteig in einer Ausstellun­g zu sehen sind.

Eher wehmütig blickt der Betrachter von heute auf eine Stadt, in der es leichter war, seinen Platz zu finden. Andrian Kreye schreibt in seinem Vorwort zu Rumpfs Album, die Bilder verwandelt­en das Alltäglich­e in einen historisch­en Moment und verklärten auch die Tristesse zum Sehnsuchts­ort. Kreye sieht einen „amerikanis­chen Blick“auf München, in der Tradition der Strasich ßenfotogra­fie der USA. „Seine Bilder bestimmt ein harsches Licht, wie man es in der Prärie findet“.

Goldene Jahre seien die 80er gewesen in München. In den Klubs „tobte ein noch immer unschuldig­er Hedonismus“. So „muffig“dieses untergegan­gene München manchmal wirkt – „die Nischen und Abgründe, die Harald Rumpf mit seiner Kamera erforschte, haben die Stadtobere­n längst geschliffe­n“, stellt Andrian Kreye fest.

Und wir sehen diesen dicklichen Buben mit den Speckröllc­hen über der Shorts auf dem Rennrad, wie er, eine Hand in die Hüfte stützt, direkt in die Kamera blickt – durch eine Taucherbri­lle. Eine jener Münchner Zufallsbeg­egnungen, die das Auge des Menschenfr­eundes Rumpf für die Ewigkeit festgehalt­en hat.

 ??  ?? Wir sind Popper und sehr locker: Jugendlich­e auf der Leopoldstr­aße in Schwabing. Haare schön, Stimmung gut. Fotos: Harald Rumpf
Wir sind Popper und sehr locker: Jugendlich­e auf der Leopoldstr­aße in Schwabing. Haare schön, Stimmung gut. Fotos: Harald Rumpf
 ??  ?? Drei Autos und ihre Insassen: Die 80er Jahre kamen ohne SUVs aus. Allein die Scheiben der alten Autos lösen Seufzer aus. Früher war alles besser? Manchmal schon …
Drei Autos und ihre Insassen: Die 80er Jahre kamen ohne SUVs aus. Allein die Scheiben der alten Autos lösen Seufzer aus. Früher war alles besser? Manchmal schon …
 ??  ?? Haltung ist wichtig und der Sommer gigantisch: Es gibt Tage, da behält man die Taucherbri­lle auf, braucht sonst aber nicht viel auf dem Leib.
Haltung ist wichtig und der Sommer gigantisch: Es gibt Tage, da behält man die Taucherbri­lle auf, braucht sonst aber nicht viel auf dem Leib.
 ??  ?? Es ist nicht egal, wie man sich kleidet: Cooles Paar im P1.
Es ist nicht egal, wie man sich kleidet: Cooles Paar im P1.
 ??  ?? Tätowierte­r spricht mit Leopardin: Szene im Mathäser Bräu im Hasenbergl.
Tätowierte­r spricht mit Leopardin: Szene im Mathäser Bräu im Hasenbergl.
 ??  ?? Träume im Grünen: Junge „Kiss“-Fans im Luitpoldpa­rk.
Träume im Grünen: Junge „Kiss“-Fans im Luitpoldpa­rk.

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