Als Deutschland im Schnee versank
Wetter Vor 40 Jahren legte extreme Kälte das Land lahm. Menschen und Tiere erfroren, Dörfer waren abgeschnitten, die Schäden gingen in die Millionen. Doch der Winter hatte auch Gutes
Die Katastrophe hat sich kurz nach Weihnachten ereignet: Vor 40 Jahren, am 28. Dezember 1978, änderte sich das milde Wetter in Deutschland schlagartig. Eisige, trockene Luft aus Skandinavien und feuchte Warmluft aus dem Rheinland trafen über der Ostsee aufeinander – „eine sehr ungewöhnliche, seltene Wetterlage“, sagt der Meteorologe und Klimaforscher Tobias Bayer vom Geomar HelmholtzZentrum für Ozeanforschung in Kiel. Die Folgen für Deutschland waren dramatisch.
„Für große Teile Europas leitete die Wetterlage zum Jahreswechsel 1978/79 einen langen, kalten und schneereichen Winter ein“, erinnert der Deutsche Wetterdienst. Mit 67 Tagen geschlossener Schneedecke sei der Winter vor 40 Jahren nur mit dem Nachkriegs-Hungerwinter 1946/47 vergleichbar gewesen. Die Kälte und insbesondere der viele Schnee waren vor allem in Nordund Ostdeutschland heftig, wie der Wetterdienst berichtet. Der Straßenund Eisenbahnverkehr kam Erliegen. Rund 150 Ortschaften waren von der Außenwelt abgeschnitten. „In der Bundesrepublik starben in der Kälte 17 Menschen. Zahllose Rinder, Schweine und Hühner verendeten. Die Schäden überstiegen 140 Millionen D-Mark. In der damaligen DDR starben mindestens fünf Menschen.“Oft wird vermutet, dass es in Wirklichkeit noch mehr waren. Mit am stärksten betroffen war Deutschlands nördlichstes Bundesland: In SchleswigHolstein waren damals rund 80 Ortschaften ohne Strom. Hubschrauber der Bundeswehr warfen Futtersäcke über Bauernhöfen ab, brachten Windeln für Babys, Medikamente, Lebensmittel. Hochschwangere und Dialyse-Patienten wurden in Krankenhäuser geflogen.
„Wir konnten aus der Luft Straßen oder Grundstücke gar nicht genau erkennen, weil alles schnee- bedeckt war“, erinnert sich Dieter Roeder. Der 70-Jährige steuerte damals einen Transport-Helikopter. „Die Schneekatastrophe hat sich in das kollektive Gedächtnis der Schleswig-Holsteiner eingebrannt“, sagt Miriam J. Hoffmann. Die Leiterin des Kreismuseums Itzehoe ist selber ein „Schnee-Baby“. Ihre Eltern kämpften sich damals mit ihrem VW-Käfer und viel Glück über zugeschneite Straßen von Neumünster nach Kiel durch, wo ihre Mutter entband.
Jetzt zeigt Hoffmann im Kreismuseum eine Ausstellung über die Schneekatastrophe. „Jeder hat seine eigene, ganz persönliche Erinnerung daran“, sagt Hoffmann. Und diese Erinnerungen seien oft auch geprägt von positiven Erfahrungen. „Der soziale Zusammenhalt war sehr groß, die Menschen haben sich gegenseitig geholfen – das wissen wir von vielen Zeitzeugen.“
Als „ein einziges großes Abenteuer“empfand der damals zwölfjährige Dirk Billerbeck in Glücksburg bei Flensburg diese Zeit. „Wir Kinzum der hatten schulfrei, wir haben im Schnee gebuddelt, gespielt und Höhlen gebaut“, sagt Billerbeck. „Über eine hohe Schneewehe bin ich aufs Dach eines Hauses gegangen und an anderer Stelle in den Schnee gesprungen.“
Zu Hause habe man eine Tiefkühltruhe mit genug Vorräten gehabt, der Strom sei nur einmal kurz nachts ausgefallen. „Meinen Kindern würde ich auch solche Erfahrungen wünschen“, sagt Billerbeck. Allerdings sieht er gleich Probleme im Vergleich zu damals: „Wir haben keine Tiefkühltruhe und keine eigene Heizung im Haus, sondern Fernwärme – wenn da der Strom ausfällt ...“
Museumsleiterin Hoffmann hatte in ihrer Ausstellung eine siebte Schulklasse aus Heide. Die Schüler, erzählt sie, meinten spontan: „So etwas wollen wir auch mal erleben!“Die ganze Geschichte der Schneekatastrophe hatten sie dabei aber sicherlich nicht im Kopf.
Matthias Hoenig und
Gregor Tholl, dpa
Hubschrauber brachten Windeln und Lebensmittel