Karl, der Freche
Sorglos und beschwingt wie nie geht der Oberstdorfer Karl Geiger in den Auftakt der Vierschanzentournee. Nicht nur der 25-jährige Lokalmatador glaubt an den großen Sprung
Es ist ein Wort, das so viel Einsicht gewährt in die Verwandlung: „Awesome“. Ein Wort zur Verwandlung Karl Geigers. Jenes Wort, mit dem im Englischen ein Zustand als „genial“, „geil“, als „großartig“bezeichnet wird. Und Karl Geiger hätte das im Frühjahr 2018 wohl auch so ähnlich formuliert. Doch in diesem Winter, genauer nach dem ersten WeltcupSieg seiner Karriere in Engelberg, grinste der 25-jährige Skispringer „awesome“in die Kameras – seither schmückt die Sequenz des „neuen Geigers“jeden Beitrag zur Vierschanzentournee.
Denn wenn die neuntägige Tour am Samstag mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnt, geht der Lokalmatador erstmals als bester Deutscher an die Schattenbergschanze. Nun hat der Oberallgäuer mit dem Modewort „awesome“unmissverständlich klargemacht: „Hey Leute, heuer bin ich in Mode.“Und der Trend ist tatsächlich auf seiner Seite. „Es herrscht Vorfreude, kein Druck. Ich kann entspannt in die Tournee gehen, weil ich so gut springe wie nie“, sagt Geiger.
Das verdankt er „Karl, dem Arbeiter“. Denn die sportliche Entwicklung zeigt: Zum Jahresende scheint er jene Früchte zu ernten, die er versteckt in den Rückschlägen der sechs Tourneen gesät hat. Das belegt der Blick auf die steigenden Platzierungen an der Heimschanze: 51, 51, 38, 26, 27 und 17. Und das unterstreicht die Entwicklung in den Weltcup-Platzierungen, die Geiger – mit Ausnahme von 2015 – jährlich von Gesamtrang 41 bis Platz 14 gesteigert hat. „Mein ganzes Konstrukt wird jährlich besser. Es zeichnet sich bei den Trainings ab, wenn ich mich auch dort steigern kann. Das erhöht die Konstanz im Wettkampf“, sagt Geiger.
Das weiß er heute einzuschätzen, „Karl, der Reife“. Schon 2016 hatte Ex-Bundestrainer Peter Rohwein erkannt: „Karle ist im Kopf gereift. Er wirkt freier und weiß, was er zu tun hat.“Tatsächlich ist der wortkarge, meist zugeknöpfte Karl Geiger längst passé. „Ich setze nicht mehr immer auf Ergebnisse“, hat Geiger einst gesagt. „Der Schädel macht oft genug sein eigenes Ding. Es geht darum, die Bremse zu finden, wenn es mal nicht läuft. Das habe ich gelernt.“Eindrucksvoll.
Gerade Letzteres hat der Silbermedaillengewinner von Pyeongchang mit dem Team verinnerlicht – erst recht, wenn das Pendel in beide Extreme ausschlägt. „Ich weiß, wie launisch Skispringen sein kann. Und wie schnell es bergauf und bergab geht“, sagt der 25-Jährige: „Es freut mich extrem, wie es jetzt ist. Aber ich darf nie in einen Wettkampf gehen und es aufs Podest erzwingen wollen – dann wird es sicher nichts.“ Doch bei all den Zahlen, den Lerneffekten und den Komplimenten hat Geiger den Faktor X auf seiner Seite: die neue Unbekümmertheit. Und so könnte zu guter Letzt dieser „Karl, der Freche“zu jenem „Schattenspringer werden, der bei der Tournee alle verblüfft“, wie es DSV-Kollege Stephan Leyhe jüngst formuliert hat. „Er hat sich im Sommer Selbstvertrauen geholt und es war klar, dass er das Zeug dazu hat, aufs Podium zu kommen. Und wir freuen uns, dass wir wieder einen Weltcup-Sieger in unseren Reihen haben“, freute sich Bundestrainer Werner Schuster noch in Engelberg über den Premieren-Erfolg seines Schützlings.
Gefreut haben dürfte es beide, Schuster und Geiger, dass in den Tagen hernach nicht allzu viele Termine auf den Vierten der WeltcupGesamtwertung eingeprasselt sind. „Wir sind nach Engelberg entspannt nach Norwegen ins Trainingslager gefahren und haben ein paar Sprünge gemacht. Für Kopf und Geist war es gut“, sagt Geiger. Die Termine, die unweigerlich folgten, wie zum Beispiel am Abend vor Weihnachten in der TV-Sendung Blickpunkt Sport, meisterte die neue „deutsche Nummer eins“mit der echten Lockerheit, souverän im Spiel mit den Kameras – eben auf die smarte Art.
Zu guter Letzt hat der Oberstdorfer die nötige Kraft nach dem ersten Saisondrittel über die Feiertage im Familienidyll getankt – in seiner Wohnung in der Ferienwohn-Anlage der Eltern. „Ich bin ruhig. Und wenn ich mein Zeug mache, können sehr gute Platzierungen rauskommen. Ich weiß aber auch, dass ich nicht die Tournee durchrocken werde. Ich muss kleine Brötchen backen“, sagt Karl Geiger und ergänzt keck: „Aber ich fange damit an.“
Die Beziehung zwischen Sportlern und Journalisten ist oft nicht so eng, wie viele Fans sich das gemeinhin vorstellen. Es mag Leute geben, die glauben, dass der Reporter nach dem Sieg seines Lieblingsteams mit den Jungs oder Mädels durch die Kneipen zieht und ganz nah dran ist. Doch erstens wollen die Profis auch mal ihre Ruhe haben. Und zweitens gilt für uns der Leitspruch des verstorbenen TVRedakteurs Hanns Joachim Friedrichs: Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.
Nun, Michael Schumacher wirklich nahe gekommen sind nur wenige Menschen. Dazu war die Hysterie zu groß, die rund um den Kerpener herrschte. Außerdem ist das Wochenende eines Grand Prix in Deutschland, von denen es jahrelang zwei – in Hockenheim und am Nürburgring – gab, für den Piloten bis auf die Minute durchgetaktet. Hier PR-Termin mit einem Werbepartner, dort Team-Meeting. Dazwischen erlebte ich ihn in Medienrunden im Ferrari-Motorhome. Was hängen geblieben ist: Schumacher zeigte nie Arroganz in seinem Auftreten. Er hörte sich die Fragen genau an und antwortete präzise. Egal, ob es um technische oder um sportliche Details ging. Egal, ob der italienische Kollege von der Gazzetta dello Sport oder von der Rheinpfalz fragte. Nur in einem Punkt machte er zu: Sobald die Fragen auf die Privatsphäre zielten, wich Michael stets aus. Über das Glück mit Corinna verriet der Kerpener