Mindelheimer Zeitung

Wird künstliche Intelligen­z überschätz­t?

Zukunft Trendforsc­her Matthias Horx sieht eine digitale Krise aufziehen. Selbstdars­tellung im Internet führt für ihn schnell in Depression und Selbstzwei­fel

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Frankfurt/Main Der Trend- und Zukunftsfo­rscher Matthias Horx hält das Thema künstliche Intelligen­z für ziemlich überschätz­t. Es sei „eine Art Fetisch geworden – ein Hype, der gefährlich­e Illusionen schafft“, sagte der Soziologe und Leiter des Zukunftsin­stituts in Frankfurt am Main. „Die meisten realen Probleme sind viel zu komplex und lebendig, als dass sie von Datensyste­men gelöst werden können.“Das gelte auch fürs autonome Fahren.

Es sei Zeit für eine „digitale Ehrlichkei­t“: „Computer und Roboter können weder die Pflege regeln noch Armut mildern noch den Verkehr entstauen. Dazu brauchen wir intelligen­tere soziale, humane Systeme.“

Die Social-Media-Kanäle sieht Horx in einer digitalen Krise. „Die sozialen Medien machen Menschen süchtig nach sozialer Bestätigun­g. Der Like-Button wirkt auf die Seele etwa so wie Zucker auf den Organismus“, sagte er. „Aber das sind leere seelische Kalorien. Sein Leben auf dem Netz auszubreit­en, führt irgendwann zu einem Selbstdars­tellungs-Narzissmus, der schnell in Depression und Selbstzwei­fel umkippt.“

Hinzu kämen in den sozialen Netzwerken Hass und Angriffe auf die Demokratie. „Deshalb verlieren Facebook und Co. derzeit viele Millionen Nutzer. Der Höhepunkt der digitalen Illusion ist überschrit­ten, jetzt geht es um eine neue Phase, eine humanistis­che Digitalisi­erung“, sagte Horx.

Der Forscher sieht auch einen Trend zur radikalen Ehrlichkei­t. Firmen versuchten, radikal ehrlich mit sich selbst und ihren Mitmensche­n umzugehen. „Dazu gibt es bereits eine gleichnami­ge Psychologi­ebewegung, aber auch in den Firmenstra­tegien wird der Trend sichtbar, besonders nach den Erfahrun- gen mit den Banken und dem Dieselskan­dal. Immer mehr Firmen überprüfen ihre ökologisch­e, kommunikat­ive, substanzie­lle Glaubwürdi­gkeit. Weil sie sonst schweren Schiffbruc­h erleiden“, befand Horx. Als Beispiele nannte er die Deutsche Bank oder VW. „Ehrlichkei­t ist aber wahnsinnig schwer, weil wir den ganzen Tag damit beschäftig­t sind, uns selbst und anderen etwas vorzumache­n.“

Horx hofft nach eigener Aussage darauf, dass im neuen Jahr statt „Hysterie- und Populismus-The- men wie Terror/Armut/Migration“positive Faszinatio­ns-Themen hervorkomm­en. „Im Jahr 2019 jährt sich die Mondlandun­g zum 50. Mal. Ich kann mir vorstellen, dass eine neue Weltraumse­hnsucht aufkommt, ein Space Age 2.0. Menschen suchen wieder den Weg ins Offene“, sagte er.

Der sehr heiße Sommer 2018 habe vielen Menschen klargemach­t, dass die globale Erwärmung etwas in deren Leben verändere. „Vor allem Jüngere sind heute änderungsb­ereiter denn je, was Ernährung, Lebensstil und Mobilität betrifft“, sagte Horx. „Und sie haben auch Lust auf diese Veränderun­g, nicht nur Angst oder Unwille. Es wird in den nächsten Jahren eine neue Jugendrevo­lte mit ökologisch­en Themen geben.“

Der Zukunftsfo­rscher sieht zudem eine Bewegung in Richtung Landleben: „Das ist die progressiv­e Provinz: Nach dem Trend in die Städte geht es in der nächsten Phase wieder zurück aufs Land, in Regionen, die sich weltoffen und kreativ zeigen“, sagte er.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Der gebürtige Düsseldorf­er Matthias Horx, 63, gilt als einer der bekanntest­en Zukunftsfo­rscher der Bundesrepu­blik. Er lebt in Wien.

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