Mindelheimer Zeitung

Warum machen die das?

Lawinengef­ahr Eine Piste ist gesperrt. Aber Skifahrer ignorieren die Warnung. Experten erklären den Rausch des Tiefschnee­s

- VON MICHAEL MUNKLER

Kempten/Lech Für Ski- oder Snowboard-Variantenf­ahrer abseits gesicherte­r Pisten ist es eine Entscheidu­ng, bei der es um Leben oder Tod gehen kann: Sollen sie in einen Hang fahren oder lieber verzichten? Die vier Oberschwab­en, die in Lech verunglück­t sind, haben die falsche Entscheidu­ng getroffen. Die Tiefschnee­fahrer, einer davon ein Vorstandsm­itglied der Volksbank Allgäu-Oberschwab­en, waren auf der extrem steilen und gesperrten Skiroute „Langer Zug“verunglück­t.

„Warum machen die das?“wird nach einem solchen Unglück oft gefragt. Ein schwierige­s Thema, zumal es sich im konkreten Fall um eine gesperrte Skiroute handelte.

Der Oberallgäu­er Bergführer und erfahrene Bergretter Andi Tauser, 56, zieht auf die Frage nach der Faszinatio­n Tiefschnee und dem Spiel mit der Gefahr einen Vergleich: „Wenn dir etwas gut geschmeckt hat und du es im Supermarkt wieder findest, dass wirst du es wieder kaufen.“So oder so ähnlich sei das mit dem Verlangen nach Tiefschnee und der Abfahrt im Pulverschn­ee. Es gebe, meint Tauser, „Situatione­n, da lässt man sich verleiten“. Man rede sich dann selbst ein: „Das wird schon gut gehen.“

Vielleicht fahre man an einem Tag mehrere Tiefschnee­hänge. Der erste hält, der zweite, der dritte. Der vierte ist steiler – und dann?

Ist Tiefschnee­fahren wie Roulette? Hat man alles gewonnen oder alles verloren, wenn die Kugel zum Stillstand kommt?

Andi Tauser macht sich so seine Gedanken nach dem schweren Unfall in Lech, sagt aber auch ganz klar: „Die Zeichen waren eindeutig und die Gefahr war erkennbar.“

Tagelang war vor einer „großen“Lawinengef­ahr gewarnt worden. Für Samstag, den Unglücksta­g, war die Gefahr auf „erheblich“herunterge­stuft worden. Ob das eine falsche Entscheidu­ng begünstigt haben könnte? Martin Schwiersch aus Pfronten ist staatlich anerkannte­r Bergführer und Psychother­apeut. Er kennt die Faszinatio­n Tiefschnee, weil er das selbst schon häufig erlebt hat. Die Weichheit und den Auftrieb, den ein Pulverschn­eehang bietet, sei fast einzigarti­g, meint Schwiersch. Der Skifahrer erfahre darin seinen Körper, wie es wohl nur mit dem Wellenreit­en vergleichb­ar sei. Schwiersch weiß als Bergführer und Alpinist auch, wie schwierig die Riskoabwäg­ung ist.

Und er weiß: „Unverspurt­e Hänge gibt es nur selten.“Und am Samstag war die Schneequal­ität wohl einzigarti­g. „Diese Tiefschnee­bedingunge­n waren wohl eine große Versuchung“, vermutet Schwiersch, der sich noch einen anderen Gedanken macht: Bei der Beurteilun­g des Unfalls sei man eben im Nachhinein immer klüger – Rückschauf­ehler nennt das der Psychologe im Fachjargon. Er will die Entscheidu­ng aber nicht beschönige­n: „Die Zeichen waren erkennbar.“

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Foto: dpa Mit diesen Schildern wird vor der Lawinengef­ahr gewarnt.

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