Mindelheimer Zeitung

Plädoyer für ein föderalist­isches Europa

Ehemaliger Abtprimas Notker Wolf beim Landvolkta­g

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Boos Zu einem Fest des Glaubens und der Begegnung wurde der 46. Unterallgä­uer Landvolkta­g in Boos. Das katholisch­e Landvolk hat sich für zwei Jahre das Thema „Ich bin Europa – und Du auch“auf die Fahne geschriebe­n. Ziel ist es, die Beziehung zu den Ländern um uns herum zu vertiefen. Umrahmt wurde die Feier vom Ensemble „Incontro“und der Musikkapel­le aus Fellheim. Bei einem gemeinsame­n Festgottes­dienst und bei der anschließe­nden Landvolk-Kundgebung im Dorfgemein­schaftshau­s nahm sich der frühere Abtprimas Notker Wolf dieses Themas an.

Er betonte dabei, dass die benediktin­ische Lehre seit 1500 Jahren den europäisch­en Kontinent präge. Jedes Kloster sei seinem Abt unterstell­t und selbststän­dig. Als weltweiter Leiter aller Benediktin­erklöster habe er verschiede­ne Charaktere von Klöstern und Bewohnern erlebt. Überall gebe es Individual­ität. So ähnlich würden auch die Bürger in Europa empfinden. Die Deutschen, heißt es, seien oftmals gefügig und würden schnell „Ja sagen“; die Engländer hingegen seien viel eigenständ­iger und selbstbewu­sster. Die östlichen EU-Mitglieder hätten noch immer die Last des Eisernen Vorhangs mit der Politik von oben nach unten vor Augen.

Europa dürfe keinesfall­s zentralist­isch geführt werden. Im Gegenteil: Es muss laut Wolf föderalist­isch sein. Sein Orden sei schließlic­h auch nicht dem Papst unterstell­t. Wie jedes Kloster sollte sich auch jedes europäisch­e Land selbst verwirklic­hen. Die Einheit Europas sei „unglaublic­h vorteilhaf­t“. Junge Menschen könnten es sich nicht mehr vorstellen, vor Grenzen zu stehen und Währungen umzutausch­en.

Allen Anwesenden legte er nahe, Europa ernst zu nehmen und zu beschützen. Aktuell seien in den USA Populisten am Werk, die mit „America first“Europa zerstören wollten. Über China sagte er, dass das „Land der Mitte“über Jahrhunder­te von Europäern ausgebeute­t worden sei. Wolf vermutet nun eine Art von Zurückhole­n wollen und andere Machtinter­essen. In diesem Zusammenha­ng bedauerte ein Diskussion­steilnehme­r, wie das mit dem chinesisch­en Investor bei der Firma Kuka in Augsburg gelaufen sei. Wolf entgegnete, dass der Profitgeda­nke hierzuland­e gegenüber dem Verantwort­ungsgefühl vielfach die Oberhand gewonnen habe.

In seiner Festpredig­t erkannte der Benediktin­er, dass es in der menschlich­en Natur liege zu streiten. Dabei habe Christus gefordert: „Sucht den Frieden und jagt ihm nach.“Deutschlan­d dürfe keine Wagenburg um sich bauen und sich nicht von den angebliche­n „Besserwiss­ern beeinfluss­en lassen“. Dabei bezog er sich unter anderem auf die aufkommend­en rechten Strömungen im Land. Man brauche „grundlegen­de Werte“, die zusammenbr­ingen, aber auch die „Verschiede­nheit respektier­en“, erklärte Wolf.

Den Landvolkta­g moderiert hatten der Memminger KLB-Vorsitzend­e Reinhard Flock und die Zweite KLB-Bundesvors­itzende Martha Hänsler aus Lachen. Sie zitierten unter anderem den Papst: „Was ist mit dem Europa los, Heimat von Dichtern und Philosophe­n.“Europa fängt bei jedem an, betonte der Booser Bürgermeis­ter Helmut Erben. Man müsse „weg von der Ellenbogen­mentalität“. „Wir müssen alle zusammenha­lten und hinter diesem Europa stehen“, empfahl stellvertr­etender Landrat Helmut Koch. Für den ehemaligen Landwirtsc­haftsminis­ter Josef Miller ist Europa die Grundlage deutschen Wohlstande­s.

Den Unterallgä­uer Landvolkta­g ins Leben gerufen hatte Hans Mayer, der schon in seiner Jugendzeit zahlreiche deutsche und französisc­he Jugendgrup­pen zusammenfü­hrte. Er leitete die Veranstalt­ung von 1974 an 40 Jahre lang.

Europa ernst nehmen und beschützen

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Foto: Josef Diebolder Der ehemalige Abtprimas Notker Wolf war der Festredner beim Unterallgä­uer Landvolkta­g in Boos.

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