Angriff aus Amerika
Test Nach langem Hin und Her ist Teslas Model3 auf dem Weg über den Großen Teich – und setzt die deutschen Konkurrenten gehörig unter Strom. Wo das US-Car vorne liegen könnte und wo nicht, offenbart eine erste Ausfahrt
Die Normreichweite liegt bei 560 Kilometern
Jetzt wird es so langsam ernst in Europa – für die Elektromobilität im Allgemeinen und für Tesla-Chef Elon Musk wie für seine Konkurrenten im Besonderen. Denn nach schier endlosem Vorgeplänkel und wie immer bei Tesla ein bisschen später als geplant, ist jetzt endlich das Model3 auf dem Weg über den Atlantik, um das Akku-Auto auch in der Alten Welt zu einer alltäglichen Erscheinung zu machen.
Schließlich wollen die Amerikaner damit beweisen, dass man auch ohne großes Vermögen vernünftige Reichweiten erzielen und ohne Kompromisse elektrisch fahren kann. Das ist ein Versprechen, an dem sich Mr. Musk genauso messen lassen muss wie die Konkurrenz aus Europa, die so langsam aufgewacht ist und mit Autos wie dem VW ID Neo bald eine ganz ähnliche Position bezieht. Spannend wird es also allemal, wenn das Model3 in diesem Frühjahr in den Handel rollt.
Sieht man einmal von der Preisfrage ab, kommt das Model3 dem Ideal von einem elektrischen Alltagsauto ziemlich nahe. Nicht nur, weil der Viertürer mit dem Design eines glatt geschliffenen BMW Dreier GT bei 4,69 Metern Länge und 2,88 Metern Radstand vorn mehr Platz bietet als ein Fünfer und in seinen gleich zwei Kofferräumen hinten 340 und vorne 85 Liter Gepäck verschwinden. Sondern weil schon die günstigste Konfiguration mit einer Batteriekapazität von 75 kWh und zwei E-Motoren von zusammen 346 PS eine Normreichweite von 560 Kilometern und ein Spitzentempo von 233 km/h bietet.
Selbst wenn die Reichweiten vom Prüfstand in der Praxis natürlich nicht zu halten sind, kann man die Ladestandsanzeige geflissentlich ignorieren. Spätestens nach ein, zwei Stunden lässt die Nervosität nach und man merkt schnell, dass man lässig durch den Alltag kommt. fühlt sich das Model3 deutlich souveräner und stimmiger an als etwa das Model S, sodass man den Amerikanern durchaus eine gewisse Lernkurve für Aufbau und Abstimmung attestieren kann. Doch weder ist der elektrische Herausforderer so komfortabel wie ein Mercedes noch so handlich und bestimmt wie ein BMW und spätestens ab 160, 170 km/h wird das Rauschen des Windes fast so laut wie in einem Cabrio. Da ist also genau wie bei der Materialauswahl noch immer ein bisschen Luft nach oben. Immerhin ist die Verarbeitung mittlerweile auf Industriestandard angekommen.
Doch wahrscheinlich hat Elon Musk recht, wenn er die Aufmerksamkeit seiner Mannschaft auf andere Eigenschaften lenkt. Denn die Zeiten, in denen Fahrdynamik kaufentscheidend war, gehen unweigerlich zu Ende. Eher beeindruckt man heute mit einem großen Touchscreen und einer weitreichenden Digitalisierung – und da ist Tesla ganz vorn.
Man fühlt sich fast schon verloren im Model3, so leer ist das Cockpit. Hinter dem Lenkrad? Nichts! Auf dem Mitteltunnel? Nichts! Auf dem Armaturenbrett und in der Mittelkonsole? Nichts. Bis auf die Fensterheber in den Türen, die zwei Bedienhebel hinter und die zwei DrehDabei
walzen im Lenkrad gibt es im Tesla keinerlei haptischen Bedienelemente mehr. Alles, was es in diesem Auto zu bedienen gibt, macht man über den Touchscreen, der größer ist als die meisten Tablet-Computer und zugleich als Fenster in eine umfassende Infotainment-Welt fungiert. Das sieht klasse aus und funktioniert kinderleicht, geht aber manchmal, ein wenig über das Ziel hinaus. Denn es gibt gute Gründe, weshalb man das Handschuhfach seit über 100 Jahren mit einem Griff öffnet, die Lüfter von Hand einstellt und die Außenspiegel mit einem Schalter oder einem Hebel in der Tür justieren kann.
Was Tesla neben dem bedingungslosen Bekenntnis zur Elektromobilität noch ausmacht, das ist das Vertrauen in die Assistenzsysteme. Zwar können die Amerikaner wahrscheinlich auch nicht mehr als Mercedes oder BMW, schalten aber viel mehr frei als die konservativen Deutschen. Deshalb sucht sich das Model3 auch dort selbst seinen Weg, wo ein Siebener oder eine S-Klasse das Kommando an den Fahrer übergibt. Und wo die Autopiloten bei den Deutschen den Fahrer nach ein paar Sekunden Untätigkeit wieder in die Pflicht nehmen, kann man im Tesla die Hände minutenlang in den Schoß legen.