Eine Frau kämpft für Selbstbestimmung
Porträt Magdalena Federlin wurde schon Ende der 80er Jahre bekannt: Als Einzige akzeptierte sie im Memminger Abtreibungsprozess keine Strafe. Heute hat die dreifache Mutter ein anderes Anliegen
Aichach „Ich schäme mich für dieses Land“, sagt Magdalena Federlin und schimpft: „Was hier abläuft, ist Mittelalter.“Die 58-Jährige ist sichtlich aufgebracht. Grund: Die Diskussionen um Paragraf 219a, der sogenannte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt und nun etwas aufgeweicht wird. „Was für ein armseliges Katzund-Maus-Spiel“, sagt Federlin, verheiratet, Mutter von drei Söhnen und Kreis- sowie Stadträtin für die Grünen in Aichach-Friedberg. Ihrer Einschätzung nach brauchen Frauen, wenn sie ungewollt schwanger sind, schnell, niederschwellig und auch vor Ort Informationen und Beratung, damit sie genügend Zeit haben, sich zu entscheiden.
Der nun von der Großen Koalition beschlossene Kompromiss schafft gerade dies nach Ansicht von Federlin nicht. Er sieht vor, dass Ärzte und Kliniken zwar auf ihrer Webseite informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den gesetzlichen Voraussetzungen vornehmen. Für weitere Informationen müssen sie aber auf Behörden, Beratungsstellen und Ärztekammern verweisen. Für Magdalena Federlin eine untragbare Situation: „Wir leben doch in einer zivilisierten Gesellschaft, oder?“
Magdalena Federlin ist bekannt für ihre Haltung. Schon Ende der 80er Jahre machte sie bundesweit Schlagzeilen. Als einzige Frau akzeptierte sie im sogenannten Memminger Hexenprozess gegen den Frauenarzt Horst Theissen, der ambulant Schwangerschaftsabbrüche vornahm, keine Strafe. Schon damals nahm sie den Kampf durch alle Instanzen auf, machte sich stark für das Selbstbestimmungsrecht der Frau. In einem großen Bericht des
aus dem Jahr 1988 ist sie mit ihrem Sohn abgebildet und berichtet den Reportern von ihrer Lage: Trotz Kondom ist es passiert. Von ihrem damaligen Freund sitzen gelassen, versuchte sie sich als Alleinerziehende gerade eine Existenz mit einem Naturkostladen aufzubauen. „Ich hatte Schulden.“Ein zweites Kind war für sie undenkbar.
Extrem entwürdigend sei das damals für sie und die anderen Frauen gewesen. Sie seien gezwungen worden, offen ihre Notlage zu schildern. „Und noch heute stehen viele Frauen unter Rechtfertigungsdruck“, ärgert sich Federlin. Dabei mache es sich ganz sicher keine Frau leicht bei dem Schritt. „Ich denke heute noch dran“, sagt sie. „Das hört nie auf.“Dennoch müsse die Entscheidung, das Kind zu bekommen oder nicht, ausschließlich bei der Frau liegen: „Mutterschaft ist schließlich eine lebenslange Aufgabe.“
Für den Frauenarzt Horst Theissen hat Magdalena Federlin nur lobende Worte. Sehr respektvoll und nicht bevormundend hat sie ihn erlebt: „Er hat mit mir ein gutes Gespräch geführt, sich viel Zeit genommen – ein VollblutHumanist. Das war ein Arzt, wie man sich ihn wünscht.“Das Gericht sah das vor 25 Jahren anders: Theissen wurde wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche und Steuerhinterziehung verurteilt. Für Magdalena Federlin bis heute ein Unrecht. Noch schlimmer sei eigentlich nur, dass bis zum heutigen Tag das Thema nicht im Sinne der betroffenen Frauen geregelt ist, sagt sie.
Doch längst hat sie ein weiteres Thema gefunden, für das sie sich ebenso stark einsetzt: „Der Kampf gegen strukturelle Aussonderung aus Kindergärten und Schulen“, wie sie es ausdrückt. Magdalena Federlins jüngster Sohn Ferdinand hat das Downsyndrom. Er sei zum Besuch einer Förderschule gezwungen worden. Wobei Federlin nicht das Wort „Förderschule“wählt, sondern den früher üblichen Begriff „Sonderschule“, weil er ihrer Meinung nach besser passt. Sie wirft dem Staat „bewusste Aussonderung von sogenannten Behinderten“vor. Das geschehe in keinem anderen vergleichbaren Land so intensiv wie in Deutschland. Vor allem die Folgen für die Kinder und Jugendlichen, die in „separierten Schulgebäuden“un-
Gibt es eine „geförderte Aussonderungskultur“?
terrichtet werden, entsetzt sie: Schon bei ihrem Sohn habe sie erleben müssen, wie er aus seinem früheren Freundeskreis herausgerissen und auch im Sportverein keinen Platz mehr gefunden habe, „weil das Miteinander von behinderten und nicht behinderten Menschen noch lange nicht gelebt wird“.
Als Vorstandsmitglied in dem Verein „Inklusion Bayern e. V.“weiß sie von unzähligen Familien, wie schwer die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen heute noch ist. „Es ist einfach widersinnig, eine Umgebung zu schaffen, in der ausschließlich behinderte Menschen leben.“Daher fordert sie, alle finanziellen und personellen Ressourcen in den allgemeinen staatlichen Schulen zu bündeln. Ihrer Ansicht nach würden davon alle Heranwachsenden profitieren, da inklusive Unterrichtsmodelle, also Klassen, in denen Behinderte zusammen mit Nicht-Behinderten lernen, die bestmögliche Förderung aller bieten. Schließlich seien ja Pädagogen vor Ort, die auf den Leistungsstand des Einzelnen eingehen und so auch Hochbegabte besser unüberhaupt terstützen könnten. Nur in Einzelfällen würde sie dem Besuch „einer Sondereinrichtung“zustimmen, etwa wenn anderes der Gesundheitszustand nicht erlaubt.
Vor diesem Hintergrund wehrte sie sich auch vehement gegen den Neubau einer Förderschule in Friedberg bei Augsburg. Dieses Geld würde sie lieber in die therapeutische und pädagogische Unterstützung wohnortnaher Schulen stecken. Nur so könnten Kinder und Jugendliche gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention aufwachsen, die nichts anderes besagt, als dass ein gemeinsames Leben aller Menschen mit und ohne Behinderungen möglich sein muss.
Allerdings eckt sie als Kreis- und Stadträtin mit ihren Positionen immer wieder kräftig an. Vielen ist sie schlicht zu radikal. Wer Magdalena Federlin trifft, spürt sofort, wie sehr sie die Themen Inklusion und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch umtreiben, dass Kompromisse nicht ihre Sache sind. Damit macht sie sich nicht nur Freunde. Sie lässt aber nicht locker, kämpft für ihre Anliegen – zur Not gegen alle Widerstände. Schon ihre Eltern haben sie gelehrt, erzählt sie, eine klare Haltung zu haben, sich nicht anzupassen, wenn man von einer Sache überzeugt ist. Daran hält sie sich.