Nationalelf droht Durststrecke
Am Tag, nachdem der Bundestrainer den Umbau der Nationalelf mit der Abrissbirne eingeleitet und sich das Land an der Aussicht auf den Neubau berauscht hat, dürfte Ernüchterung eingekehrt sein. So richtig der Schritt war, der Auswahl ein neues Gesicht mit einer anderen Ausrichtung zu verleihen, so enttäuscht wird jeder sein, der sich auf die Suche nach den Nachfolgern für Hummels, Boateng und Müller macht. Mag das Trio der Ausgebooteten seinen Zenit überschritten haben – die drei haben in der Blüte ihrer Karriere der Nationalelf eine Hochphase beschert. Drei Frühentwickler, die mit 21 Stützen der Nationalelf waren. Wer es schon vergessen hat: Der unorthodoxe Müller hat bei der WM 2010 in Südafrika mit fünf Toren und drei Vorlagen den Goldenen Schuh abgeräumt. Die drei dokumentierten exemplarisch, dass die meisten, die später Außergewöhnliches erreichen, bereits jung herausragend waren.
Wo aber sind die Frühreifen der Gegenwart, die Talente, die Lücken schließen, die 21-Jährigen, auf die sich das Land freuen darf? Natürlich, es gibt Leroy Sané. Den unberechenbaren Wirbelwind, den Löw zur WM zu Hause gelassen hat, weil er es nicht riskieren wollte, einen Reifeverzögerten in sein durchgetaktetes Ensemble einzubauen. Sané hat in England sozial aufgeholt und ist inzwischen die größte deutsche Hoffnung auf spektakulären Fußball. Auch Serge Gnabry und Timo Werner versprechen das Außergewöhnliche. Alle sind zwar schon älter als 21, aber noch jung genug, um es wie Müller auf hundert Länderspiele zu bringen. An Sané, Gnabry und Werner lässt sich allerdings auch das erste Problem der nahen Zukunft festmachen. Was, wenn die Hochgeschwindigkeitsstürmer keinen Weg durchs Zentrum finden? Wo ist der junge Müller, der vielseitige Klose oder der wuchtige Gomez, der die Flankenläufe und Pirouetten humorlos abschließt? Wo ist die massive Variante zum leichtfüßigen Tempospiel? Wo ist der Lewandowski mit deutschem Pass? Und wer verteidigt neben Süle? Rüdiger, der Hasardeur? Oder Ginter, der Zuverlässige, aber Mittelmäßige? Und außen? Schultz oder Hector? Macht keinen Unterschied. Kimmich? Sicher. Ist aber besser im Mittelfeld aufgehoben.
Wo also finden sich die Neuen? Erst einmal nicht in den Nachwuchsteams des DFB. U17 und U19 haben zuletzt enttäuscht. Sie sind Trends hinterhergelaufen, die sich überholt haben. Der Ballbesitzfußball, der spielende Mittelstürmer. Statt an den Grundlagen zu arbeiten: Beidfüßigkeit, Tempodribbling, Zweikampfverhalten. Was passiert, wenn hochveranlagte Dortmunder keine Varianten für ihr vorher erfolgreiches Spiel besitzen, ist derzeit zu besichtigen. Es geht bergab.