Mindelheimer Zeitung

Von Deutschen und Ampeln

- VON LENA BRANDNER klartext@mindelheim­er-zeitung.de

Mein Deutschsei­n wurde mir zuletzt vor Augen geführt, als ich in England an einer roten Fußgängera­mpel stand. Die Einheimisc­hen vergewisse­rten sich mit einem Blick nach rechts und links, um nicht unmittelba­r von einem heranrausc­henden Auto überfahren zu werden. Sobald dieses Risiko ausgeschlo­ssen werden konnte, schritten sie der anderen Straßensei­te entgegen – das rotleuchte­nde, gefahrverh­eißende Männchen ignorieren­d. Ich wurde zurückgela­ssen. Dabei heißt es doch: „Rot stehen, Grün gehen.“

Diese gereimten Sprichwört­er sind sprachlich­e Mahnmale, die den Deutschen immer an seinen tiefsten Wesenskern erinnern sollen: Ordnungsli­ebe, Regelhörig­keit und („Fünf Minuten vor der Zeit ist des Deutschen“-) Pünktlichk­eit. Sie geben Handlungss­icherheit und stärken das Wir-Gefühl in Abgrenzung zu allen Ampel-Ignoranten. Für den Deutschen würde die Nicht-Würdigung einer roten Ampel auch die Nicht-Würdigung dieser Essenz der deutschen Kultur und Identität bedeuten. Mit dem Innehalten an einer roten Ampel gedenkt der Deutsche im Ausland dem vaterlandg­egebenen Verhaltens­kodex.

Diese Akkuratess­e macht den Deutschen im interkultu­rellen Austausch ein wenig unbeholfen. Er bemüht sich ja, andere Kulturen wertzuschä­tzen und zu tolerieren – wenn diese Kulturen bloß nicht so anders wären! Es wäre halt alles gleich viel leichter, wenn „die“nicht immer so laut reden und mit den Händen rumfuchtel­n würden und wenn man dort deutsche Hygienesta­ndards antreffen würde.

Die roten Fußgängera­mpeln habe ich dann irgendwann doch ignoriert. Man muss sich ja schließlic­h anpassen.

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Foto: dpa Wann stehen, wann gehen? Andere Kulturen, andere Sitten.

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