„Es gibt einfach zu wenig Hebammen“
Interview Immer mehr Gesundheitsapps richten sich an Frauen. Eine Gründerin will jetzt mit dem Thema Schwangerschaft punkten
Frau Engelhardt, am 18. März bringt Ihr Unternehmen Keleya den ersten digitalen Geburtsvorbereitungskurs als App auf den Markt. Warum? Victoria Engelhardt: Gerade auf dem Land gibt es so viele Frauen, die keinen Zugang zu Geburtsvorbereitungskursen haben, weil es einfach zu wenige Hebammen gibt. Die Angebote, die es gibt, sind häufig schon ausgebucht. Manchmal ist der nächste Kurs zwei Stunden entfernt. Wir haben Videos und Podcasts, die man auch mal auf dem Weg zur Arbeit hören kann. Es gibt Checklisten, Artikel mit Hintergrundinformationen und Quiz-Formate, damit die werdenden Eltern das Gelernte festigen können.
Wollen Sie denn die Geburtshelferinnen überflüssig machen?
Engelhardt: Wir wollen niemals Hebammen ersetzen, das ist mir superwichtig. Das können wir auch gar nicht. Wir wollen eine Lösung schaffen, die zum einen den Frauen Hebammenwissen jederzeit zur Verfügung stellt. Wir können uns auch vorstellen, in Zukunft eine Plattform für Telehebammen zu werden. Geburtshelferinnen könnten darüber Frauen per Videotelefonie beraten, die irgendwo leben, wo gerade keine Hebamme verfügbar ist.
Wie kamen Sie auf die Idee für Keleya?
Engelhardt: Eine sehr gute Freundin von mir ist schwanger geworden, die erste im Freundeskreis. Das ist jetzt etwas mehr als zwei Jahre her. Sie war komplett überfordert: Was darf ich noch essen, darf ich überhaupt noch Sport machen?
Es gibt also viel zu viele Informationen auf dem Markt ...
Engelhardt: Ja, was fehlt ist eine wirklich vertrauenswürdige Quelle. Für viele ist das die Hebamme. Aber was ist, wenn man keine findet? Also war die Idee: Wir wollen die Plattform sein, die die Schwangere durch die ganzen neun Monate begleitet. Und ihr hilft, sich gut zu fühlen. Wir haben die App mit acht verschiedenen Experten entwickelt. Drei Hebammen, einer Ernährungswissenschaftlerin, einer Stillexpertin und einem Gynäkologen.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wohin möchten Sie mit Keleya? Engelhardt: Ich will, dass Frauen eines Tages dank Keleya weniger Frühgeburten und Kaiserschnitte haben. Das ist meine Vision. Wir wollen die App werden für das Thema digitale Gesundheit für Frauen in der Schwangerschaft. Wir sammeln und analysieren momentan die Daten, die wir von unseren Nutzerinnen bekommen. Vielleicht können wir den Frauen irgendwann sagen: Du könntest in dieses Risikocluster fallen, mach’ doch präventiv schon einmal etwas.
Wahrscheinlich gibt es für eine Frau nichts Persönlicheres und Intimeres als eine Schwangerschaft. Wie geht das mit der Datensammelei zusammen? Engelhardt: Für uns ist das Thema Datenschutz superwichtig. Wir haben zehn Mitarbeiter, darunter einen Datenschutzbeauftragten als externen Dienstleister. Wir sammeln die Informationen nicht, um, wie Google, personalisierte Werbung einzuspielen. Sondern, um unsere Empfehlungen zu verbessern.
Wie verdienen Sie mit der App Geld? Engelhardt: Wir haben ein Freemium-Modell wie andere Fitnessapps auch. Die Frauen bekommen kürzere Workouts und kleinere Rezepte kostenlos. Um auf alle Inhalte und den Schwangerschaftscoach zugreifen zu können, müssen sie bezahlen.
Rund um die Gesundheit von Frauen gibt es immer viele Tabus. Seit ein paar Jahren gibt es Gründerinnen wie Sie, die das ändern wollen. Wie hat diese Bewegung angefangen? Engelhardt: Es ging los mit der App Clue vor fünf Jahren, eine Art digitaler Menstruationskalender. Gründerin Ida Tin hat auch den Begriff Femtech geprägt: Technologien, die sich auf die Gesundheit von Frauen konzentrieren. Gerade in Berlin gab es dann eine ganze Welle von solchen Femtech-Start-ups. Investoren haben inzwischen kapiert, dass das ein großer Markt ist.
Verrückt, wenn man sich überlegt, dass die Hälfte der Menschen auf diesem Planeten Frauen sind ...
Engelhardt: Die Investoren sind ja fast alle Männer. Wenn ich denen den Symptomchecker in unserer App vorstelle und als Beispiel Durchfall nehme – das erleben wahnsinnig viele Frauen in der Schwangerschaft – dann fällt denen die Kinnlade runter. Unglaublich, wie pikiert die immer noch sind.
Nicht einmal jeder fünfte Gründer ist weiblich. Welche Erfahrungen macht man denn als Frau mit Investoren? Engelhardt: Diese sind durchmischt, würde ich sagen. Es kommt darauf an, auf wen man trifft. Wenn man als Frau mit einer Präsentation über ein Frauenthema kommt, dann nehmen die Investoren einen vielleicht nicht so ernst, wie einen Typen, der sich selbstbewusst auf die Brust trommelt. Ich glaube, dass Frauen nach wie vor einen Riesen-Nachteil haben, wenn sie um Investoren werben. Das belegen auch Statistiken.
Sie sind 29 Jahre alt, haben studiert, bei einer Unternehmensberatung gearbeitet und vor zwei Jahren Keleya gegründet. Sind Sie ein Workaholic? Engelhardt: Ich habe bei der Unternehmensberatung meinen Preis bezahlt, gesundheitlich. Einen Tag nach meiner Beförderung dort habe ich gekündigt und bin erst einmal auf Weltreise gegangen. Heute arbeite ich maximal 50 Stunden pro Woche.