„Nachts gingen die Ratten auf uns spazieren“
Schicksal Die Erlebnisse in russischer Kriegsgefangenschaft bewegen den 93-jährigen Josef Fröhlich aus Oberegg noch heute
Oberegg 25 Wörter waren es, die Josef Fröhlich als junger Bursche am Ende des Zweiten Weltkrieges in russischer Gefangenschaft an seine Lieben auf einer Postkarte schreiben durfte. 25 Worte, die nicht ausdrücken durften, wie es ihm wirklich ergeht und welches Leiden er erdulden muss. Mit dem Gewehr im Nacken schrieb er eben das, was erlaubt war. „Sonst kam die Karte nicht an“, erzählt der 93-Jährige in seiner gemütlichen Stube in Oberegg. Denn nach dem formalen Ende des Krieges am 8. Mai 1945 waren Gewalt und Angst noch lange nicht vorbei und für viele Männer begann ein jahrelanges Martyrium in Gefangenschaft. Fünf Jahre erlebte Josef Fröhlich die unmenschlichen Belastungen als Kriegsgefangener. Im Alter von nur 17 Jahren wurde Josef Fröhlich einberufen und eineinhalb Jahre war sein Leben als Soldat geprägt. Neben Arbeitsdienst, Waffenführung und Panzerunterweisung schaffte Josef Fröhlich die Eignungsprüfung zum Piloten, bis er kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges verwundet wurde. Ein Durchschuss seines Ellenbogens sowie zahlreiche Granatsplitter in Arm und Bein brachten ein jähes Ende als Rekrut an der Ostfront und die leidvolle Tortur in der Roten Armee begann.
Ein überfüllter Lazarettzug brachte ihn nach Prag. Fünf Tage harrten die Verletzten aus, bis sie ausgehungert und verdreckt ankamen. Kurz vor Kriegsende, am 5. Mai 1945, wurde das Lazarett von schwer bewaffneten Tschechen besetzt und die Rote Armee nahm ihn als Kriegsgefangenen mit. Ein einwöchiger Hungermarsch schloss sich an, den viele nicht überlebten. „Wir mussten ohne Pause laufen, haben kaum Essen bekommen und falls jemand 30 Meter von der Kolonne entfernt war, wurde er einfach erschossen“, berichtet Josef Fröhlich. „Ich habe so viele Tote erleben müssen, das ist auch noch heute unvorstellbar.“Einmal stand er mit zwei Kameraden zusammen, als es plötzlich einen Knall gab und die beiden Gefährten zu Boden fielen und tot waren. „Ich stand in der Mitte und mir hat’s nichts getan. Wir mussten all das Leid ertragen und hatten keine Zeit zum Trauern. Es blieb uns leider nichts anderes übrig“, erzählt er heute und sein Blick lässt nur erahnen, was er in seinem Leben alles durchmachen musste.
Als die Gefangenen in Deutschbrod, einer Stadt in Tschechien, ankamen, wurden sie nackt von russischen Ärztinnen begutachtet und mit großen Zahlen auf der Brust markiert, ob sie belastbar und arbeitstauglich waren. Etwa drei Wochen dauerte die Fahrt im Güterzugwaggon, in dem bis zu 60 Männer eingepfercht saßen. „Wir waren Knie an Knie und wenn sich einer umdrehen wollte, dann mussten sich alle drehen, so eng war es dort“, berichtet der 93-Jährige. „Die Umstände waren unzumutbar, denn wir bekamen kaum Essen und Trinken.“Wenn der Zug einen kurzen Stopp in einem Bahnhof einlegte, wurde nur ein kleiner Spalt des Waggons geöffnet und mit einem Wasserschlauch hineingespritzt. „Wir versuchten so viel Wasser wie möglich auf unsere Kleidung zu bekommen, damit wir danach daran das Wasser mit dem Mund raussaugen konnten.“Als Klo diente ein Loch in der Mitte des Waggons und die Gefangenen wechselten täglich den Platz, damit jeder einmal in der Nähe des Klos ausharren musste. Als das Reisemartyrium vorbei war, arbeitete Josef Fröhlich in einem Steinbruch. Die Verpflegung war nicht besser und pro Tag gab es etwas warmes Wasser und 100 Gramm Brot. Mit viel Glück auch einmal Kartoffeln und Zuckerrüben.
Immer wieder kam der Oberegger in andere Lager und der Zustand besserte sich nicht. „Nachts gingen die Ratten auf uns spazieren und wir waren voller Läuse“, erinnert er sich. Bei einer Körpergröße von 1,66 Meter wog er nur noch 42 Kilogramm. Die Winter waren unbarmherzig. Neben der Schneemasse waren Temperaturen bis Minus 35 Grad keine Seltenheit. „Wir hatten täglich etwa drei bis vier Tote und viele Erfrierungen an Füßen, Händen und Gesichtern.“Eine medizinische Versorgung gab es nicht und Krankheiten wie Fleckfieber machten den Gefangenen das Leben noch schwerer. Die Toten wurden zwei Tage in einem Erdbunker gelagert, bis sie von den Arbeitern begraben werden durften. „Da wir primitives Werkzeug hatten und der Boden aufgrund der eisigen Kälte gefroren war, konnten wir die Leichen nur notdürftig bedecken. Am nächsten Tag waren sie meistens nicht mehr da, da die Wölfe sie in den Wald verschleppt hatten. Würde ich alle schlechten Arbeitsbedingungen und Zustände erzählen, könnte ich ein Buch füllen“, sagt der rüstige Rentner.
Zehn Stunden am Tag mussten die Gefangenen die Steine hämmern und danach zu Schotter schlagen. Josef Fröhlich war beim Sprengkommando dabei. Die Löcher für die Sprengkörper musste er mit der Hand meißeln. Die viele Arbeit nahm Josef Fröhlich fast sein Augenlicht und zur Behandlung seines Leidens wurde er in ein anderes Lazarett verfrachtet. Als er sich dort einigermaßen von den Strapazen erholt hatte, kam er in sein früheres Lager zurück.
Es dauerte nicht lange und die Häftlinge wanderten an den Fluss Wolga und in Zelten schlugen sie ihr neues Heim auf. „Die Zustände besserten sich allmählich und Wasser aus der Wolga und Brennholz hatten wir genug.“Damit niemand fliehen konnte, mussten die Gefangenen den Stacheldrahtzaun selbst um ihre Zelte bauen und die Arbeit im Steinbruch ging in gewohnter Weise weiter.
Unter einer Mückenplage litten die Insassen und auch Josef Fröhlich infizierte sich mit Malaria. Dies könnte im Nachhinein aber als glücklicher Umstand gewertet werden, denn damit endete die siebenjährige
Sein Ellenbogen war verletzt und er hatte Granatsplitter im Arm
Im Gefangenenlager infizierte er sich mit Malaria
Tortur und Anfang 1950 kam er mit 24 Jahren zurück nach Rappen. „Ich habe nach den sieben Jahren die Welt nicht mehr gekannt“, erzählt er heute. Alles sei anders und fremd gewesen.
Josef Fröhlich übernahm die Landwirtschaft seiner Eltern und auf der Landwirtschaftsschule lernte er auch seine Frau Maria kennen und lieben. Bis 1996 bewirtschafteten sie den Hof in Rappen. Die Postkarten mit den 25 Wörtern hat er noch immer feinsäuberlich aufbewahrt und die Erinnerungen an die schlimmen Erlebnisse werden ihn wohl bis an sein Lebensende begleiten.
Für alle Jüngeren hat er eine klare Botschaft: Es darf nie wieder zu einem Krieg kommen. Dafür müssen sich alle einsetzen. Er und seine Generation haben erleben müssen, wie viel Leid Krieg nach sich zieht. Gewinner gibt es da keine.