Mindelheimer Zeitung

Großes Schachturn­ier in Bad Wörishofen

Schach Zum 35. Mal findet in Bad Wörishofen zurzeit das Internatio­nale Schachturn­ier statt. Hermann Hipp ist seit dem ersten Turnier Stammgast. Eine Partie wird er wohl nie vergessen

- VON MAX KRAMER

Bad Wörishofen Ein Hauch von Spitzenspo­rt weht dieser Tage durch die Kneippstad­t: Im Kurhaus tummeln sich seit vergangene­m Freitag knapp 400 Schachspie­ler aus aller Welt, um sich beim 35. ChessOrg Schachfest­ival in insgesamt neun Runden miteinande­r zu messen. Ein neunjährig­er Bub sitzt dort genauso am Brett wie der Großmeiste­r aus Osteuropa – oder Hermann Hipp.

Der 57-Jährige ist das einzige echte Urgestein des internatio­nalen Turniers, außer ihm hat kein Spieler alle 35 Ausgaben erlebt. „Es hätten ruhig mehr durchhalte­n können“, sagt Hipp und lacht. „Aber das muss man erst einmal durchhalte­n, so ein Turnier ist Anstrengun­g pur.“Der Marktoberd­orfer tritt in der qualitativ stärksten Klasse des Turniers, dem Open, an.

Vergleicht er die Turniere von 1985 und heute, stellt Hipp vielerlei Unterschie­de fest: „Damals waren sehr viele Leute aus der Umgebung dabei, das Turnier war insgesamt aber natürlich dünner besetzt. Das kann man mit der Dimension von heute nicht mehr vergleiche­n.“Auch das Niveau habe sich ständig verändert: „Am Anfang war es nicht so brutal stark, dann gab es zwischendu­rch nur Leute aus der Weltrangli­ste.“Inzwischen sei das Niveau an der Spitze wieder gesunken: „Das bedeutends­te Turnier in Europa, wie früher gesagt wurde, ist es heute leider nicht mehr.“

Auch die Bedenkzeit beim Turnier ist reduziert worden – standen früher noch zweieinhal­b Stunden für 40 Züge zur Verfügung, sind es bei der diesjährig­en Ausgabe nur noch eine Stunde und vierzig Minuten. Pro Zug gibt es dreißig Sekunden zusätzlich. „Das ist für Leute wie mich, die nicht ganz so stark sind, schon ein Einschnitt. Der durchtrain­ierte Großmeiste­r ist da einfach besser dran“, so Hipp, der mit einem Elo-Wert von 2009 zu den besten Spielern im Allgäu zählt. Und das, obwohl er kaum noch trainiert. Sein letztes Turnier war 2018 – in Bad Wörishofen.

Der besondere Reiz des Turniers liegt für Hipp in den Räumlichke­iten: „Die Atmosphäre ist es wahrschein­lich, dass manche Leute wiederkomm­en – und ich auch. Das hat etwas, deshalb komme ich auch un-

dem Jahr ab und zu vorbei.“Im Lauf der Jahre hat er sich ein spezielles Ritual angeeignet: „Um das durchzuste­hen, gehe ich nach der Anmeldung immer zum Bäcker und hole mir da Kalorienbo­mben. Pro Partie gibt es dann ein, zwei Pralinen, manchmal auch Bananen.“Für die Energiezuf­uhr sorgen außerdem Energy Drinks – und ausnahmswe­ise Kaffee, „normalerwe­ise ist das Gift für mich.“

Hilfsmitte­l, die notwendig sind. Die stundenlan­ge Konzentrat­ion geht den Spielern an die Substanz – Routinier Hipp weiß davon nur allzu gut zu berichten: „Nach sechs, sieben Runden tut es nicht da oben weh“, sagt der Allgäuer und deutet auf seinen Kopf, „sondern in den Armen. Man bekommt Muskelkate­r, das zehrt einen aus, das ist unglaublic­h.“Beim ChessOrg in Bad

Wörishofen habe er trotz seiner kalorienre­ichen Ernährung einmal über fünf Kilo in neun Tagen abgenommen.

Aufregung vor einem Turnier kommt bei Hipp, der in Marktoberd­orf als Kaufmann selbststän­dig ist, nicht auf. „Das ist nicht mehr so wie beim ersten Kuss. Es passiert ja auch nichts: Ich verliere kein Geld, sondern ein Spiel – auch wenn das manchmal ziemlich schrecklic­h ist.“Der Alltag hole ihn nach den einzelnen Runden schnell wieder ein. „Zuhause öffnet man die Post, füttert die Tiere. Erst am nächsten Tag bin ich dann wieder geistig in Wörishofen.“

Eine Partie ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Vor rund 25 Jahren, über elf Stunden – „gegen einen echten Psychopate­n, muss ich sagen. Er hat immer meine Uhr geter

drückt, als ich aufgestand­en bin. Als ob ich es vergessen hätte. Dann hat er sich aufgeführt, rumgebrüll­t und wollte das Brett umwerfen.“In der Aufregung habe er einen Bauern verloren und elf Stunden kämpfen müssen. Das Spiel endete letztlich mit einem Remis. Auch das eine spezielle Erfahrung in diesem speziellen Turnier, bei dem Hipp manchmal sogar mit Fieber spielte. „Die meisten von ganz früher sind nicht mehr da, viele gestorben. Ich aber werde hier meine insgesamt 315. Schachrund­e spielen, das schaffen manche in ihrem ganzen Leben nicht“, sagt er und fügt an: „Eigentlich Wahnsinn.“

OFünfte Runde Die nächste Spielrunde beim Schachfest­ival findet am heutigen Montag, ab 14 Uhr, im Kurhaus in Bad Wörishofen statt.

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 ?? Foto: Max Kramer ?? Hermann Hipp ist der einzige Schachspie­ler, der in der 35-jährigen Geschichte des Schachfest­ivals in Bad Wörishofen immer dabei war. Der 57-jährige Marktoberd­orfer wird heuer seine 315. Schachrund­e absolviere­n.
Foto: Max Kramer Hermann Hipp ist der einzige Schachspie­ler, der in der 35-jährigen Geschichte des Schachfest­ivals in Bad Wörishofen immer dabei war. Der 57-jährige Marktoberd­orfer wird heuer seine 315. Schachrund­e absolviere­n.

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