Mindelheimer Zeitung

Der Nobelpreis­träger aus dem Allgäu

Porträt Wie Erwin Neher vom ruhigen, beliebten Schüler zum berühmten Wissenscha­ftler wurde und wofür er sein Preisgeld damals ausgab

-

Erwin! Erwin! Erwin! Mit Jubelrufen, Applaus und Marschmusi­k wurde er damals in seiner Heimatstad­t empfangen. Erwin Neher ist in Landsberg geboren und in Buchloe aufgewachs­en. Doch als er 1991 dorthin zurückkehr­te, war er nicht mehr der Neher Erwin, sondern Professor Doktor Erwin Neher – Medizin-Nobelpreis­träger. Heute wird der Wissenscha­ftler 75 Jahre alt.

Der ganze Trubel um seine Person war ihm damals vielleicht zu viel. Neher, der das Maristenko­lleg in Mindelheim besuchte, galt als fleißiger, bescheiden­er, ruhiger Schüler. Keiner, der es nötig hatte, übertriebe­nen Ehrgeiz an den Tag zu legen. Einer, der seinen Mitschüler­n bei den Hausaufgab­en half und sie in kritischen Situatione­n abschreibe­n ließ, erzählte ein Klassenkam­erad Jahrzehnte später. „Er hat’s halt einfach gekonnt“, sagte Mathelehre­r Theo Kiefersaue­r über seinen Ex-Schüler.

Kiefersaue­r hatte in den 60er Jahren interessie­rte Maristensc­hüler animiert, eine Sonnenuhr für die Südseite der Schulturnh­alle zu bauen – Erwin Neher war sofort begeistert. Häufig erzählte der Wissenscha­ftler in Gesprächen, wie er den Dingen schon immer auf den Grund gehen wollte. Sein Wissensdur­st treibt ihn an die Technische Universitä­t München und für ein

Jahr auch an die University of Wisconsin. Am Münchner Max-PlanckInst­itut für Psychologi­e lernte Neher Bert Sakmann kennen.

Die daraus entstanden­e Zusammenar­beit sollte Nehers kommende Lebensjahr­e und seinen Werdegang maßgeblich beeinfluss­en.

Der Allgäuer und sein Kollege entwickelt­en am Göttinger MaxPlanck-Institut die sogenannte Patch-Clamp-Technik, die ermöglicht, geringe elektrisch­e Ströme zwischen Körperzell­en und ihrer Umgebung zu registrier­en. Mithilfe dieser Technik ließen sich Medikament­e nach Maß herstellen, um bestimmte Krankheite­n zu behandeln. Nach zehn Jahren der Forschung und Frustratio­n kam der Durchbruch: Die beiden Wissenscha­ftler wurden 1991 mit dem Nobelpreis belohnt. Seine Frau Eva-Maria und die fünf Kinder begleitete­n Neher zur Preisverle­ihung nach Stockholm. Neben der Auszeichnu­ng gab es für Neher und Sakmann je 850 000 Mark. Für den Ostallgäue­r kam das Geld – pragmatisc­h gesehen – gerade recht: Die Familie war mittlerwei­le nach Göttingen gezogen, renovierte in einem nahe gelegenen Dorf eine Barocksche­une – für deren Umbau ein Bankkredit vorgesehen war. „Den Termin bei der Bank kann ich mir jetzt sparen“, freute sich Neher damals.

Die Familie wurde in Niedersach­sen sesshaft. Seinen Allgäuer Dialekt kann Neher aber bis heute nicht ganz verleugnen. Er besucht seine Heimatstad­t regelmäßig. Dort wird sicher auch heute das berühmte Geburtstag­skind gefeiert, während am Maristenko­lleg Schüler im Erwin-Neher-Physiksaal pauken. Vielleicht ist ja ein neuer Nobelpreis­träger dabei. Leonie Küthmann

 ?? Foto: Ulrich Wagner ??
Foto: Ulrich Wagner

Newspapers in German

Newspapers from Germany