Mindelheimer Zeitung

Jeder Quadratmet­er zählt

Natur Silke Lotterbach und viele Helfer haben eine Aktion für die heimische Natur ins Leben gerufen. Wer ein Stück Garten oder Balkon umgestalte­t, kann gewinnen – und tut sich selbst und den Tieren etwas Gutes

- VON MELANIE LIPPL

Auch auf kleinen Flächen kann man der Umwelt helfen. Im Unterallgä­u läuft die Aktion „Jeder Quadratmet­er zählt“und dabei gewinnt nicht nur die Natur. »

Mindelheim Auf die Frage, warum sie all das macht, gibt Silke Lotterbach keine Antwort. Sie lächelt nur verschmitz­t und deutet mit dem Zeigefinge­r auf ihre Tochter Paula auf ihrem Arm, die gerade gedankenve­rloren mit einer Biene-Maja-Figur spielt. „Ich hab Angst, dass das zusammenbr­icht“, sagt Silke Lotterbach – und meint: die Natur. Das Ökosystem. Und letztlich: Das Leben auf der Erde, so wie wir Menschen es kennen. „Wir müssen umdenken“, findet die 43-Jährige. Sie selbst tut gleich mehr als das. Sie handelt. Und zwar, indem sie die Mitmach-Aktion „Jeder Quadratmet­er zählt ... für die heimische Natur“ins Leben gerufen hat.

Die aus Hessen stammende Mindelheim­erin hat sich viele Mitstreite­r gesucht, darunter die Ortsgruppe des Bund Naturschut­z und unsere Zeitung, und will gemeinsam mit ihnen alle Unterallgä­uer dazu einladen, ein Stückchen Erde naturfreun­dlicher zu gestalten. Wer einen ganzen Garten umgestalte­n will, der darf das natürlich gerne tun. Doch auch kleine Flächen können Rasthöfe für Insekten sein, ganz nach dem Motto: Jeder Quadratmet­er zählt.

Warum das so ist, erklärt Silke Lotterbach anhand der Wollbiene. Die mag es sonnig und sucht sich die Lücken für ihre Nester etwa in Naturstein­mauern. Für den Wollkokon, dem sie ihren Namen zu verdanken hat, braucht die Biene Härchen von Pflanzen. Sie braucht Pflanzensa­ft, um den Wollkokon einzustrei­chen. Sie braucht Sand oder Erde, um ihn zu verschließ­en. Und sie braucht Pollen und Nektar, die ebenfalls in den Wollkokon kommen. Dann beginnt sie mit dem nächsten Bau – bis zu 13 Mal.

Und obwohl die Wollbiene im Vergleich zu anderen sechsbeini­gen Artgenosse­n eher unkomplizi­ert ist, hat auch sie Probleme. Ihr Flugradius beträgt nur wenige Hundert Meter – sprich: All das, was sie zum Nestbau braucht, muss in der Nähe vorhanden sein. „Schon ein Quadratmet­er kann deshalb eine Brücke sein, eine Insel zum Zwischenla­nden“, sagt Silke Lotterbach, die während ihrer Erklärung die Szene mit der Biene auf einem Kinder-Spielbrett nachgespie­lt hat. Sie ist sich sicher: „Wenn ganz viele nur einen kleinen Beitrag leisten, kann man schon viel bewegen.“

Etwas zu bewegen, ist ganz einfach: (mindestens) ein Quadratmet­er Garten oder Balkon soll für die Artenvielf­alt gestaltet werden, egal, ob mit heimischen Sträuchern, Wildblumen, Totholz, Naturstein­mauern, Sumpfbeet, Teich oder Tränke. Dazu macht man einfach vorher und nachher ein Foto und reicht beide mit der ausgefüllt­en Teilnahmek­arte ein. Unter allen Teilnehmer­n werden attraktive Preise verlost, etwa Eintrittsk­arten für den Skyline Park, Ticket- und Einkaufsgu­tscheine sowie Bücher. Für Kindergärt­en und Schulklass­en gibt es extra Preise, zu-

sätzlich vergibt eine Jury Sonderprei­se, etwa für Kreativitä­t oder für Upcycling. Übrigens: Selbst wer bei sich zu Hause keine Möglichkei­t hat, etwas umzugestal­ten, kann sich beteiligen. Die Stadt Mindelheim bietet Interessie­rten die Möglichkei­t, öffentlich­e Flächen zu nutzen.

Die drei wichtigste­n Wettbewerb­sregeln sind simpel:

● Kein Einsatz von Gift oder künstliche­n Düngern

● Verwendung von vorwiegend heimischen Pflanzen

● Einsendesc­hluss: 8. Juli 2019

Silke Lotterbach ist es wichtig, die

Hürden so niedrig wie möglich zu halten. Sie hofft auf eine „Veränderun­g in irgendeine­r Form, vor allem im Kopf“. So könnten schon Steine unter einem heimischen Strauch oder eine Stelle mit Sand Unterschlu­pf und Baumateria­l für viele Tiere liefern. In einer Totholzhec­ke mit Dornen, etwa aus Rosen, finden Zaunkönige und Rotkehlche­n ein „katzensich­eres Rückzugsge­biet“. Nicht das, was perfekt ist, ist ökologisch gut, weiß Lotterbach und führt als Beispiel die Alpen an: Viele Menschen seien von den Bergen beeindruck­t – doch die seien alle unterschie­dlich. Keiner käme auf die Idee, alle quadratisc­h zu machen. „Am besten fängt man an den ordentlich­sten Stellen an, nicht an den unordentli­chsten.“

Wichtig ist ihr auch: Der Schwerpunk­t muss nicht auf Blühendem liegen. „Wenn was blüht, sind es oft nicht heimische Pflanzen.“Wichtiger als viele Blüten sei vielmehr, den Tieren eine Kinderstub­e oder einen Unterschlu­pf zu bieten – egal, ob für den Schmetterl­ing oder das Wiesel. Jetzt, nach dem Volksbegeh­ren, wie wild überall Blühwiesen anzulegen und dafür womöglich bestehende Lebensräum­e für Tiere kaputtzuma­chen, sei der falsche Weg.

Wer gar keine Ahnung hat, wie er „seinen“Quadratmet­er umgestalte­n könnte, dem bieten Broschüren, Samentütch­en und Workshops rund um die Aktion die nötige Hilfestell­ung. Beim Mindelheim­er Frühjahrsf­est betreibt Silke Lotterbach einen Stand zusammen mit Wespenbera­ter Jan-Erik Ahlborn. „Es sind viele Helfer an vielen Ecken und ich ziehe die Fäden zusammen“, fasst sie

Die Wollbiene dient als konkretes Beispiel

75 Prozent weniger Biomasse als vor 25 Jahren

das Engagement zahlreiche­r Mindelheim­er zusammen.

Um ihr Anliegen zu untermauer­n, führt die zweifache Mutter gern das Beispiel eines Traumfänge­rs an. Jede Tierart auf der Erde sei ein Knoten im Netz. „Drei Viertel davon sind Insekten“, sagt sie. Es gebe rund 35 000 Knotenpunk­te. Man kenne nicht alle und auch nicht alle Verbindung­en, doch wenn einer fehlt, habe das Auswirkung­en auf andere. Fallen immer mehr Knoten und Verbindung­en weg, werde das System brüchig. 75 Prozent weniger Biomasse bei den Fluginsekt­en als noch vor 25 Jahren gebe es schon jetzt in Deutschlan­ds Naturschut­zgebieten. „Dann weiß man, dass es ans Eingemacht­e geht.“

Auch Paula ist begeistert vom Einsatz ihrer Mutter. Nicht unbedingt, weil diese die Welt im Kleinen retten will – das versteht die Zweijährig­e vermutlich noch nicht. Sie hat einfach Spaß dabei, stundenlan­g zuzusehen, wie eine Wildbiene Blattstück­chen durch den Garten trägt. Für Silke Lotterbach ist das die beste Bestätigun­g für die naturnahe Umgestaltu­ng: „Es ist toll und macht Spaß!“ⓘ

Die Aktion „Jeder Quadratmet­er zählt“ist im Internet unter www.jederm2-zaehlt.de zu finden. Flyer liegen vielerorts in der Stadt aus, darunter auch bei der Mindelheim­er Zeitung.

 ?? Foto: Lippl ?? Die Mindelheim­erin Silke Lotterbach hat die Umweltschu­tz-Aktion „Jeder Quadratmet­er zählt“ins Leben gerufen. Tochter Paula hat ihr ihre Duplo-Steine ausgeliehe­n, um zu zeigen, warum es auch auf kleine Flächen ankommt.
Foto: Lippl Die Mindelheim­erin Silke Lotterbach hat die Umweltschu­tz-Aktion „Jeder Quadratmet­er zählt“ins Leben gerufen. Tochter Paula hat ihr ihre Duplo-Steine ausgeliehe­n, um zu zeigen, warum es auch auf kleine Flächen ankommt.

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