Mindelheimer Zeitung

Wer weiß heute noch was selber?

Wissenslüc­ke Ein ganzer Tag ohne Wikipedia und andere Leerstelle­n

- VON MICHAEL STIFTER

Wer wissen will, wie es war, als wir noch alles selber wissen mussten, war am Donnerstag bei Wikipedia ganz gut aufgehoben. 24 Stunden lang ging im allwissend­en Internetle­xikon gar nichts mehr. Das ganze Wissen der Welt – einfach abgeschalt­et. Und all die cleveren „Ich muss nicht alles wissen, ich muss nur wissen, wo es steht“-Besserwiss­er standen auf einen Klick ziemlich blank da. Angeblich haben die Leute in solchen Fällen ja früher in so dicken Büchern nachgescha­ut. Dieser Brockhaus soll ein ganz schlauer Typ gewesen sein, der Duden auch.

Es muss ohnehin eine wunderlich­e Zeit gewesen sein. Autofahrer, die sich verirrten, schalteten nicht einfach das Navi ein, sondern fragten wildfremde Leute nach dem Weg. Oder sie beugten sich an Autobahnra­ststätten über riesige, analoge, auseinande­rgefaltete Papiere, die bei der Orientieru­ng helfen sollten. Wer eine Panne hatte, tippte nicht die Nummer vom ADAC ins Smartphone, sondern ging zu Fuß zur nächsten Telefonzel­le, um Hilfe zu rufen. Das sollen so kleine gelbe Häuschen am Straßenran­d gewesen sein, in denen man nur stehen konnte und dann ganz ohne Flatrate für jeden Anruf extra bezahlen musste – mit Bargeld! Aber wer weiß das heute noch so genau? Bei Wikipedia stünde – wenn man denn nachschaue­n könnte – unter dem Stichwort Telefonzel­le: „Kleines Bauwerk, das mit einem Telefonapp­arat ausgestatt­et wurde“. Klingt komisch, war aber so. Die vorübergeh­ende Wissenslüc­ke von Wikipedia endet übrigens nach 24 Stunden. Sie war ein Protest gegen die geplante EU-Urheberrec­htsreform, um die es auch in der Politik geht.

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Foto: Imago

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