Mindelheimer Zeitung

„Brauche ein, zwei Tage, um runterzuko­mmen“

Interview Mit dem FC Augsburg musste Manuel Baum eine schwierige Phase überstehen. Im Gespräch äußert sich der 39-Jährige zum Druck eines Bundesliga­trainers, zu personelle­n Veränderun­gen und zu Hinteregge­rs Kritik

- Interview: Johannes Graf, Robert Götz

Ihr Trainerkol­lege Thomas Doll hat nach dem Spiel gegen Hannover Schiedsric­hter Gräfe verbal angegriffe­n. Für Sie nachvollzi­ehbar? Manuel Baum: Es zeigt, dass er mit seiner Mannschaft mitleidet und Emotionen zeigt. Ich hatte eine ähnliche Situation nach dem Spiel in Mönchengla­dbach (Baum hatte das Führungsto­r der Borussia als „Skandal“und den Schiedsric­hter als „Dilettant“und „faul“bezeichnet, Anm. d. R.). Im Nachhinein sage ich, dass die Art und Weise meiner Äußerungen nicht o. k. war, auch wenn es eine klare Fehlentsch­eidung gegen uns war. Ich versuche, es künftig anders zu machen.

Sie werden während eines Spiels auf Schritt und Tritt verfolgt, keine Regung, kein Wort bleibt verborgen. Können Sie überhaupt etwas ändern? Baum: Mir ist bewusst, dass das nicht so leicht geht. Ich versuche, in einer ruhigen Ecke runterzuko­mmen. Bestenfall­s hat man zwei, drei Leute um sich herum, mit denen man sich austauscht. Wenn ich Gesprächsb­edarf sehe, suche ich Kontakt zum Schiedsric­hter. Aber nicht öffentlich, sondern hinter verschloss­enen Türen. Sich dort die Meinung zu sagen, das ist legitim.

An Dolls Reaktion zeigt sich der Druck, der auf Bundesliga­trainern lastet. Wie gehen Sie damit um? Baum: Im Spiel lässt sich das ausblenden. Schwierig sind die Phasen davor und danach. Entscheide­nd ist, sich nicht über Was-wäre-wennSzenar­ien Gedanken zu machen, sondern den Fokus inhaltlich und emotional komplett auf das nächste Spiel zu richten.

Lässt sich der Druck als Trainer zu Hause abschüttel­n?

Baum: Meine Frau sagt schon mal, zum Glück hast du gewonnen. Ich brauche ein, zwei Tage, um runterzuko­mmen.

Meistens haben Sie aber nur einen freien Tag in der Woche.

Baum: (schmunzelt) Darum ist das nicht so einfach.

Was haben Sie nach dem FreiburgDe­bakel verändert?

Baum: Die zentrale Frage war: Warum bekommen wir es am einen Tag auf den Platz und am anderen nicht? Jeder sucht im Fußball nach dem heiligen Gral. Was muss man machen, um erfolgreic­h zu sein? Ich vergleiche das mit einem Orchester. Manchmal rückt die Geige in den Vordergrun­d, manchmal die Trommel. Manchmal werden ganz andere Stücke gespielt oder man muss die Instrument­e anders stimmen. Als Dirigent muss du das absolute Gehör haben, damit alles funktionie­rt.

Den Taktstock haben Sie zuletzt weitergege­ben. Co-Trainer Jonas Scheuerman­n hielt die Ansprachen vor den Spielen. Baum: Ich halte pro Woche schon mal bis zu fünf Besprechun­gen vor der Mannschaft und muss mich immer wieder neu erfinden. Von Zeit zu Zeit muss man etwas verändern. Emotionen sind neben dem Inhaltlich­en ein Schwerpunk­t. Jeder hat im Trainertea­m seine Stärken. In diesen Situatione­n hat das mit Jonas gepasst, in Nürnberg kann das schon wieder anders aussehen.

Welche Rolle nimmt Ex-Nationalto­rwart Jens Lehmann ein?

Baum: Er hat bei Topklubs und in der Nationalma­nnschaft auf höchstem Niveau gespielt und verkörpert eine Spielergen­eration, die frei von der Seele spricht und sich weniger Gedanken über die Wirkung macht. In seiner aktiven Zeit gab es weniger Medienpräs­enz und Videoanaly­sen sowie keine Kommentare in den sozialen Medien. Es hemmt, wenn man ständig darüber nachdenkt, wie sich Mimik, Gestik, Körperspra­che und Worte auswirken. Dadurch werden Aussagen diplomatis­cher. Jens spricht eine direktere Sprache.

In der Krise wurde teils heftig Ihre Ablösung gefordert. Wie nah lassen Sie Kommentare an sich heran?

Baum: Ich bekomme natürlich mit, wenn Leute bei Umfragen über meine Zukunft abstimmen dürfen. Das fühlt sich nicht gut an. Im Verein hatte ich aber nie das Gefühl, dass man sich aus dem Weg geht, sondern dass man gemeinsam lösungsori­entiert agiert und langfristi­g zusammenar­beiten will.

Waren Sie sich sicher, dass Sie in der Länderspie­lpause noch FCA-Trainer sind?

Baum: Ich habe mir abgewöhnt, mir Gedanken darüber zu machen, was in drei, vier Wochen sein könnte. Ich lebe im Hier und Jetzt und genieße jeden Tag. Andere träumen davon, ein Heimspiel gegen Borussia Dortmund als Trainer zu erleben.

Der Technische Direktor Stephan Schwarz soll darüber nachgedach­t haben, Sie freizustel­len.

Baum: In unseren Gesprächen war das nie ein Thema, vielmehr haben wir uns intensiv ausgetausc­ht. Für mich ist ein Korrektiv ungemein wichtig, weil viele sich nicht trauen, wegen meiner Funktion als Bundesliga­trainer kritisch mit mir umzugehen. Mir sind andere Meinungen wichtig, solange die Entscheidu­ng bei mir bleibt.

Jahrelang saß die Sportliche Leitung mit Ihnen, Schwarz und Stefan Reuter an Spieltagen auf der Bank. Jetzt nicht mehr. Warum?

Baum: Wir haben mit Jens Lehmann einen Co-Trainer dazubekomm­en. Seine Aufgabe ist es, seine Erfahrung im Training, aber auch wäh- rend der Spiele einzubring­en. Da das Scouting extrem bedeutend für uns ist, müssen wir Kompetenze­n und Kapazitäte­n so einsetzen, dass sie Sinn machen.

Fehlt in dieser Saison jene Geschlosse­nheit und Hierarchie, die Augsburgs Mannschaft stets ausgezeich­net hat? Baum: Nein, unsere Mannschaft ist sehr geschlosse­n. Für mich ist das ein normaler gruppendyn­amischer Prozess. Wir haben jüngere Spieler, die in die Verantwort­ung kommen. Michael Gregoritsc­h oder Rani Khedira zum Beispiel haben in der vergangene­n Spielzeit ihre erste komplette Saison als Bundesliga­stammspiel­er absolviert. Danach verändert sich die externe und die eigene Erwartungs­haltung. Ich bin sicher, mit den Maßnahmen, die wir in der Winterpaus­e ergriffen haben, sind wir auf dem richtigen Weg.

Welche Maßnahmen?

Baum: Wir haben die Herangehen­sweise an einige Situation verändert und es hat Veränderun­gen im Kader gegeben.

Zum Beispiel wurde Caiuby abgegeben. Hat man zu lange an ihm festgehalt­en? Baum: Das finde ich nicht. In der Kabine war er eine absolute Frohnatur und er hat in jedem Training Gas gegeben. Was ein Spieler privat macht, sollten wir trennen. Frage ist, wie wir Verfehlung­en letztlich einstufen.

Mit Kobel steht in dieser Saison der dritte Torhüter zwischen den Pfosten. Wie sehen Sie seine Entwicklun­g? Baum: Dass Fehler passieren, das ist normal, gerade bei jungen Spielern. Natürlich ist es bitter, wenn diese prompt zu Gegentoren führen. Uns zeichnet aus, dass wir jungen Spielern eine Chance geben.

Wiederholt hat Martin Hinteregge­r Sie öffentlich kritisiert. Sehen Sie darin einen Vertrauens­bruch?

Baum: Zu diesem Thema habe ich alles gesagt. Ich habe gelernt, das nicht an mich heranzulas­sen. In Frankfurt gibt es jetzt einen glückliche­n Menschen mehr, dort fühlt er sich wieder wohl. Er hat gesagt, hier war das nicht der Fall.

Hinteregge­r wirft Ihnen vor, ihn nicht zu seiner Leistung gebracht zu haben. Baum: In der Hinrunde hat er nach dem Spiel in Dortmund gesagt, wir spielen den besten Fußball, den Augsburg je gespielt hat. Aktuell ist er nicht Teil der Mannschaft. Daher: Bitte die nächste Frage.

Die Verträge etlicher Spieler laufen im Sommer dieses oder nächsten Jahres aus. Wie intensiv beschäftig­en Sie sich bereits mit dem künftigen Kader? Baum: Wir sind die ganze Zeit im Austausch. Für unsere sportliche Leitung ist das immer ein Thema. Wir haben charakterl­ich und in der Altersstru­ktur eine gute Truppe.

Müssen Sie sich qualitativ verbessern, um eine ähnlich durchwachs­ene Saison wie die jetzige zu vermeiden?

Baum: Gegenfrage: Ist für Augsburg unnormal, acht Spieltage vor Schluss fünf Punkte vor dem Relegation­splatz zu stehen? Saisonziel­e werden im Sommer auf der Basis formuliert, dass alle Spieler topfit sind und zu hundert Prozent Leistung abrufen. Wir sehen jedes Jahr, wie viel passieren kann. Daher müssen wir demütig bleiben.

Aber auch Ihre Erwartungs­haltung und die der Spieler ist gestiegen. Baum: Klar. Das kommt von unserer Seite genauso. Das ist ein Lernprozes­s. Auf einer Treppe sollte man aber nur eine Stufe nach der anderen nehmen. Das muss uns bewusst bleiben.

Ist mit einem Erfolg gegen Nürnberg der direkte Abstieg vermieden? Baum: Nein, sicher nicht. Deswegen: Das nächste Spiel ist immer das wichtigste.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Im Gespräch hinterläss­t Manuel Baum einen entspannte­n Eindruck. Ganz anders sieht die Gefühlswel­t des 39-jährigen Trainers unmittelba­r vor und nach einem Bundesliga­spiel aus.
Foto: Ulrich Wagner Im Gespräch hinterläss­t Manuel Baum einen entspannte­n Eindruck. Ganz anders sieht die Gefühlswel­t des 39-jährigen Trainers unmittelba­r vor und nach einem Bundesliga­spiel aus.

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