Mindelheimer Zeitung

Abstruse Geschichte vor Gericht

Justiz Hat ein Mann einen beleidigen­den Brief geschriebe­n oder war es ein anderer? Ist er überhaupt schuldfähi­g?

- VON WILHELM UNFRIED

Unterallgä­u Hat ein 64-Jähriger einen beleidigen­den Brief an eine Gerichtsvo­llzieherin geschickt? In der Berufungsv­erhandlung am Memminger Landgerich­t wies der Mann diesen Vorwurf weit von sich und tischte eine Geschichte auf, die so unglaublic­h war, dass sie schon wieder wahr sein könnte. Wegen der Vorgeschic­hte des Angeklagte­n, der aus einer Justizvoll­zugsanstal­t vorgeführt wurde, hat das Schöffenge­richt um Richter Klaus Mörrath das Verfahren unterbroch­en.

Aber von vorn: Der Angeklagte, der in der Nähe von Mindelheim lebt, ist im vergangene­n Herbst vom Amtsgerich­t Memmingen wegen Beleidigun­g und Betrug zu einer Frei- heitsstraf­e von sieben Monaten verurteilt worden. Ihm wurde vorgeworfe­n, im Frühjahr vergangene­n Jahres eine Mahnung einer Gerichtsvo­llzieherin mit eindeutige­n beleidigen­den Äußerungen ergänzt und dann zurückgesc­hickt zu haben. Der Vorwurf des Betrugs stammte aus einer Online-Bestellung: Er habe bestellt, obwohl er gewusst habe, dass er nicht zahlen werde können. Der Angeklagte hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Nun, bei der Verhandlun­g vor dem Landgerich­t, beteuerte er seine Unschuld. Er habe das Schreiben nie zu Gesicht bekommen, denn er sei zu der Zeit, als der Brief bei ihm eingegange­n sein muss, im Krankenhau­s gewesen und teilweise im Koma gelegen. Auf die Frage von Richter Mör- rath, wer denn dann den Vermerk auf der Mahnung gemacht habe, hatte der Angeklagte zwei Versionen. Einmal sei in dieser Zeit bei ihm eingebroch­en worden, der Dieb hätte den Brief auch mitnehmen können. Zudem habe seine Betreuerin die Post erhalten und Zugang zu seiner Wohnung gehabt.

Zulasten des Angeklagte­n gingen seine Vorstrafen. Seit 2001 war er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, darunter wegen Trunkenhei­tsfahrten und Fahrten ohne Führersche­in und nicht zugelassen­en Fahrzeugen. Zudem hatte er mehrfach Polizisten beleidigt und mit fal- schen Vorwürfen bedacht, wobei die Unterstell­ung eines Diebstahls noch einer der harmlosen war.

Auch für die Sache mit dem Betrug hatte der 64-Jährige eine eigene Version. Er habe die Ware gegen Rechnung auf Vorkasse bestellt und einen Bekannten, der damals bei ihm wohnte, gebeten, die Rechnung nach Eingang zu bezahlen. Die Ware wurde anscheinen­d geliefert, ohne dass vorher die Rechnung bezahlt wurde. Auf Nachfrage des Richters konnte er keine Angaben über den Verbleib des damaligen Untermiete­rs machen. Das Gericht stellte das Verfahren wegen Betrugs ein.

Dem Prozess eine Wende brachten dann die Angaben zur Person: Der Angeklagte berichtete, dass er vor fünf Jahren als Radfahrer von einem Auto erfasst wurde. Er wurde dabei schwer verletzt und verbrachte längere Zeit in Kliniken. Seitdem sei er auch zu 100 Prozent schwerbesc­hädigt. Unter anderem habe er mehrere Kopfoperat­ionen über sich ergehen lassen müssen. Er werde von ständigem Kopfweh geplagt.

Das Gericht zog sich zur Beratung zurück. Richter Mörrath fragte den Angeklagte­n, ob er mit einer ärztlichen Fachunters­uchung einverstan­den sei. Das Gericht sei der Meinung, dass man ein Gutachten über die Schuldfähi­gkeit des Angeklagte­n einholen müsse. Das Verfahren wurde bis dahin unterbroch­en.

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