Abstruse Geschichte vor Gericht
Justiz Hat ein Mann einen beleidigenden Brief geschrieben oder war es ein anderer? Ist er überhaupt schuldfähig?
Unterallgäu Hat ein 64-Jähriger einen beleidigenden Brief an eine Gerichtsvollzieherin geschickt? In der Berufungsverhandlung am Memminger Landgericht wies der Mann diesen Vorwurf weit von sich und tischte eine Geschichte auf, die so unglaublich war, dass sie schon wieder wahr sein könnte. Wegen der Vorgeschichte des Angeklagten, der aus einer Justizvollzugsanstalt vorgeführt wurde, hat das Schöffengericht um Richter Klaus Mörrath das Verfahren unterbrochen.
Aber von vorn: Der Angeklagte, der in der Nähe von Mindelheim lebt, ist im vergangenen Herbst vom Amtsgericht Memmingen wegen Beleidigung und Betrug zu einer Frei- heitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Ihm wurde vorgeworfen, im Frühjahr vergangenen Jahres eine Mahnung einer Gerichtsvollzieherin mit eindeutigen beleidigenden Äußerungen ergänzt und dann zurückgeschickt zu haben. Der Vorwurf des Betrugs stammte aus einer Online-Bestellung: Er habe bestellt, obwohl er gewusst habe, dass er nicht zahlen werde können. Der Angeklagte hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Nun, bei der Verhandlung vor dem Landgericht, beteuerte er seine Unschuld. Er habe das Schreiben nie zu Gesicht bekommen, denn er sei zu der Zeit, als der Brief bei ihm eingegangen sein muss, im Krankenhaus gewesen und teilweise im Koma gelegen. Auf die Frage von Richter Mör- rath, wer denn dann den Vermerk auf der Mahnung gemacht habe, hatte der Angeklagte zwei Versionen. Einmal sei in dieser Zeit bei ihm eingebrochen worden, der Dieb hätte den Brief auch mitnehmen können. Zudem habe seine Betreuerin die Post erhalten und Zugang zu seiner Wohnung gehabt.
Zulasten des Angeklagten gingen seine Vorstrafen. Seit 2001 war er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, darunter wegen Trunkenheitsfahrten und Fahrten ohne Führerschein und nicht zugelassenen Fahrzeugen. Zudem hatte er mehrfach Polizisten beleidigt und mit fal- schen Vorwürfen bedacht, wobei die Unterstellung eines Diebstahls noch einer der harmlosen war.
Auch für die Sache mit dem Betrug hatte der 64-Jährige eine eigene Version. Er habe die Ware gegen Rechnung auf Vorkasse bestellt und einen Bekannten, der damals bei ihm wohnte, gebeten, die Rechnung nach Eingang zu bezahlen. Die Ware wurde anscheinend geliefert, ohne dass vorher die Rechnung bezahlt wurde. Auf Nachfrage des Richters konnte er keine Angaben über den Verbleib des damaligen Untermieters machen. Das Gericht stellte das Verfahren wegen Betrugs ein.
Dem Prozess eine Wende brachten dann die Angaben zur Person: Der Angeklagte berichtete, dass er vor fünf Jahren als Radfahrer von einem Auto erfasst wurde. Er wurde dabei schwer verletzt und verbrachte längere Zeit in Kliniken. Seitdem sei er auch zu 100 Prozent schwerbeschädigt. Unter anderem habe er mehrere Kopfoperationen über sich ergehen lassen müssen. Er werde von ständigem Kopfweh geplagt.
Das Gericht zog sich zur Beratung zurück. Richter Mörrath fragte den Angeklagten, ob er mit einer ärztlichen Fachuntersuchung einverstanden sei. Das Gericht sei der Meinung, dass man ein Gutachten über die Schuldfähigkeit des Angeklagten einholen müsse. Das Verfahren wurde bis dahin unterbrochen.