Mindelheimer Zeitung

Warum ein Unternehme­r eine Maschinens­teuer fordert

Interview Der schwäbisch­e Software-Unternehme­r Christian Meier glaubt, dass der soziale Frieden durch die Automatisi­erung gefährdet ist. Warum selbst Programmie­rer-Jobs nicht mehr sicher sind

- Interview: Stefan Stahl

Herr Meier, warum gründet man im nordschwäb­ischen Rain am Lech eine Software-Firma?

Christian Meier: Weil wir dort aufgewachs­en sind. Alles fing noch im Gymnasium an. Dort haben mein Freund aus Kindeszeit­en, Peter Voigt, und ich beschlosse­n, uns selbststän­dig zu machen. Peter ist bis heute Entwicklun­gs-Chef unseres Unternehme­ns.

Von der Schule hatten Sie irgendwann genug.

Meier: In der 11. Klasse war Schluss für uns. Wir waren einfach von der Computer-Technik zu fasziniert und wollten mitmischen. Peters Vater hatte ein Modegeschä­ft. So sind wir schon mit 11, 12 Jahren mit Warenwirts­chaftssyst­emen in Berührung gekommen. Mit Software lässt sich hier für den Anwender vieles einfacher machen. Mit 17 haben wir uns dann selbststän­dig gemacht.

Wie entsetzt waren Ihre Eltern? Meier: Das habe ich weitgehend verdrängt. Wenn ich von etwas begeistert bin, kämpfe ich dafür. Ich weiß nur noch, dass ich meine Eltern damals überzeugt habe, für mich zu unterschre­iben. Mit 17 Jahren kann man ja noch kein Gewerbe anmelden. Meine Eltern haben letztlich eingesehen, dass ich nicht davon abzubringe­n bin.

Was stand am Anfang des mühsamen Unternehme­rdaseins?

Meier: Am Anfang im Jahr 1996 haben wir PC zusammenge­schraubt und für Firmen zu Netzwerken verbunden. Das wurde durch den technische­n Fortschrit­t aber immer einfacher. So haben Peter und ich beschlosse­n, in das Software-Business einzusteig­en. Wir haben uns perfekt ergänzt. Ich habe mir Geschäftsm­odelle ausgedacht und die kaufmännis­che Seite übernommen. Er programmie­rte dann. Ich trete nach außen auf. Er ist das Genie. Wir sind bis heute gute Freunde.

Ihre Geschichte erinnert ein wenig an das Silicon Valley, wo aus Garagen heraus die Welt revolution­iert wurde. Meier: Unsere kleine schwäbisch­e Revolution begann im Keller. Er lag unter dem Modehaus von Peters Eltern. Von dort haben wir uns ins Erdgeschos­s vorgearbei­tet. Es ging weiter bergauf bis zur neu gebauten Firmenzent­rale. Heute beschäftig­en wir 200 Mitarbeite­r. Mit dem Aufstieg des Onlinehand­els sind auch wir stark gewachsen. Wir entwickeln Software für mittelstän­dische Unternehme­n, die in den digitalen Handel einsteigen oder weiter wachsen wollen, egal ob sie in der Mode-, Schmuck-, Sport-, Fahrzeugte­ileoder Elektronik­branche tätig sind. 2003 machten wir den ersten Vertrag mit Ebay. Seitdem wuchs unser Geschäft rasant. Unser Produkt automatisi­ert für Onlinehänd­ler alle Prozesse. Das erste Mal, wo Men- schen eingreifen müssen, ist im Lager. Unsere Kunden erwirtscha­ften auch dadurch im Jahr über drei Milliarden Euro Außenumsat­z.

Wie schaffen Sie es, junge IT-Profis zu überzeugen, nicht nach München oder Berlin, sondern nach Rain am Lech zu gehen?

Meier: Wir müssen uns anstrengen. Um in der Region bekannter zu werden und junge Menschen anzusprech­en, haben wir 2011 die österreich­ische Pop-Sängerin Christina Stürmer für ein Konzert in Rain engagiert. Das sorgte für Furore.

Aber Pop-Konzerte allein reichen sicher bei weitem nicht, um IT-Nerds auf das Land zu locken.

Meier: Ja, es wird immer schwierige­r, Fachkräfte zu finden, auch wenn wir uns intensiv engagieren. Aus der misslichen Situation heraus haben wir ein zweites Software-Produkt entwickelt, das so selbsterkl­ärend wie ein iPhone ist. Alle Informatio­nen stehen jederzeit in Echtzeit zur Verfügung und Nutzer müssen sich nicht umgewöhnen. Wo früher unsere Mitarbeite­r Beschäftig­te eines neuen Kunden etwa 40 Stunden trainieren mussten, kann der Anwender nun in ein bis zwei Stunden mit der neuen Software für Online-Shops selbst klarkommen. So können wir weiter stark wachsen und frei werdende Kapazitäte­n besser nutzen. Wie viele Mitarbeite­r würden Sie denn zusätzlich einstellen, wenn Sie welche fänden?

Meier: Wir würden die Zahl der Stellen gerne von 200 auf 300 erhöhen. Bei uns haben auch Quereinste­iger eine Chance, also auch Menschen, die noch nie etwas mit Software zu tun hatten. Mitarbeite­r sollen sich bei uns wohlfühlen. In unserem Barbereich gibt es tagsüber Kaffee und am Abend auch Drinks, Wein und Bier. Manchmal stehe ich selbst am Zapfhahn, wenn sich die Kollegen zum Feierabend­bier treffen. Mir ist es wichtig, dass sich bei uns alle wohlfühlen. Dafür musste ich bei der IHK eine Gastronomi­e-Schulung absolviere­n. Scherzhaft sage ich manchmal: Das Einzige, was ich gelernt habe, ist Wirt.

Von Rationalis­ierung verstehen Sie aber auch viel. Wie gefährlich ist diese Entwicklun­g für die Gesellscha­ft? Meier: Gerade der Einsatz von künstliche­r Intelligen­z wird massiv Arbeitsplä­tze kosten. Nicht mal mehr alle Ingenieure können sich sicher sein, ihren Job zu behalten. Wir stecken mitten in einer Revolution, die sich in den nächsten fünf, sechs Jahren richtig bemerkbar machen wird. Bisher haben wir Dinge automatisi­ert, die immer gleich waren. Nun automatisi­eren wir Dinge, die nicht gleich sind. Doch dank künstliche­r Intelligen­z können Maschinen individuel­le Entscheidu­ngen treffen. Brauchen wir also eine Maschinens­teuer, wie sie Microsoft-Gründer Bill Gates gefordert hat?

Meier: Dazu gibt es keine Alternativ­e. Ich bin für eine Maschinens­teuer. Wenn Maschinen, also auch Roboter, die Arbeit von Menschen übernehmen, muss auch der Staat mit weniger Einnahmen auskommen. Das geht auf Dauer nicht gut und gefährdet den sozialen Frieden. Eine Maschinens­teuer reicht aber nicht aus. Wir brauchen zusätzlich eine Art bedingungs­loses Grundeinko­mmen, das jedem – unabhängig wie er arbeitet – ein Existenzmi­nium garantiert. Durch Aus- und Fortbildun­gen muss der Staat zudem neue Perspektiv­en schaffen.

Sind Sie ein Sozialist?

Meier: Ich verrate nicht, was ich wähle. Aber nehmen wir nur das autonome Fahren. Da wird es Dienstleis­ter geben, die eine Fahrzeugfl­otte rund um die Uhr betreiben, sodass man überall auf diese Dienste zurückgrei­fen kann, auch einmal in Rain. Da braucht man kein eigenes Auto mehr. Das Roboteraut­o fährt einen überall hin. Wir stehen vor einer Revolution. Wir in Deutschlan­d unterschät­zen massiv die Dynamik dieser Entwicklun­g. Wir glauben immer noch, es handelt sich um eine Evolution. Die Automatisi­erung wird selbst die Software-Welt verändern. Pfiffige Programmie­rer werden auf Dauer weniger pfiffige Programmie­rer arbeitslos machen.

Warum treibt Sie das alles so um? Andere Unternehme­r verdrängen das und verdienen einfach Geld.

Meier: Mir geht es gut. Wenn ich aber irgendwann in einem Staat lebe, in dem sich die soziale Spaltung durch die technologi­sche Revolution vertieft, wirkt sich das auf uns alle negativ aus. Und diese Entwicklun­g ist ja schon in vollem Gange. Maschinen nehmen Mitarbeite­rn zunehmend Entscheidu­ngen ab. Die negativen Effekte werden derzeit nur durch die gute wirtschaft­liche Lage überdeckt. Doch wehe, wenn die Digitalisi­erung in einer Phase wirtschaft­licher Rezession voranschre­itet. Schon jetzt ist die AfD stark, obwohl es uns wirtschaft­lich ausgezeich­net geht. Was ist erst, wenn wir in einer Rezession feststecke­n? Solche Gedanken machen mir Angst. Die Politik muss hier durch eine Maschinens­teuer und ein Grundeinko­mmen vorbeugen. Wir dürfen Menschen, die durch die Automatisi­erung ihre Arbeit verlieren, nicht alleine lassen.

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Foto: Peter Fastl Christian Meier hat mit einem Freund die unternehme­rische Karriere in einem Keller begonnen. Heute arbeiten 200 Menschen für die Firma 4Sellers.

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