Mindelheimer Zeitung

Mehr, als von Löw zu erwarten war

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Joachim Löw hat sich wieder ein wenig des Vertrauens erarbeitet, das er in den vergangene­n 12 Monaten verloren hatte. Dabei warfen ihm die Kritiker hauptsächl­ich nicht das frühe Ausscheide­n in Russland vor – sondern die Faktoren, die dazu geführt hatten. Löw und dem gesamten Verband misslang die Krisenkomm­unikation im Fall Özil – Gündogan – Erdogan auf absurde Weise.

Noch schlimmer aber wog, dass Löw in seinem fußballeri­schen Elfenbeint­urm eine ultramoder­ne Angriffsta­ktik erdachte, die aber nicht zu dem von ihm berufenen Kader passte.

Löw zeigte sich anschließe­nd demütig, benannte das eigene Verhalten als arrogant. Am Sonntag folgten den Worten erstmals Taten. Neun Monate hat der Bundestrai­ner benötigt, ein Team zu formen, dass an guten Tagen sehr gute Mannschaft­en bezwingen kann.

Notwendig dafür waren mehr als nur zarte Schönheits­korrekture­n. Löw setzte das Skalpell zum größten chirurgisc­hen Eingriff seiner Amtszeit an. Das schmerzte – und auch künftig werden sich die Narben immer wieder mal bemerkbar machen. Wenn offensicht­lich wird, dass Matthias Ginter und Antonio Rüdiger schlicht nicht über das Talent ihrer Vorgänger Jérôme Boateng und Mats Hummels verfügen. Wenn im Angriff das unberechen­bare Wurstln eines Thomas Müller benötigt würde.

Und trotzdem waren die OPSchnitte Löws richtig, wenn auch nicht immer fein gesetzt. Nun nämlich steht er einer Mannschaft vor, die ihm folgt. Die nicht an seinem Konzept zweifelt.

Abgesehen von seinen Personalen­tscheidung­en hat Löw auch taktisch schlüssige Maßnahmen eingeleite­t. Defensive ist nicht mehr nur notwendige­s Übel. Dass sich auch aus einer Fünferkett­e beherzt nach vorne spielen lässt, zeigte die erste Halbzeit gegen die Niederland­e. Im Angriff bietet Löw seinen Akteuren nun eben jenen Freiraum, den er ihnen bei der WM noch nahm.

Deswegen sind die Deutschen noch lange nicht Favorit auf einen Titel in den nächsten Jahren. Dazu sind andere Mannschaft­en wie beispielsw­eise die Franzosen und Engländer individuel­l zu gut besetzt. Immerhin aber darf Löw für sich verbuchen, den Umbruch eingeleite­t zu haben. Das war nicht zwingend zu erwarten gewesen.

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Thomas Müller
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