Die rührende Geschichte des JFK
Premiere David T. Little hat das Leben des US-Präsidenten John F. Kennedy zur Oper gemacht. Ein Stück mit Wirkkraft, aber auch viel Sentiment – zu erleben jetzt am Staatstheater Augsburg
Augsburg Wenn solch eine Hoffnungsfigur, wie John F. Kennedy sie Anfang der 1960er Jahre war, heute ermordet würde – haben wir überhaupt so eine noch, ob begründet oder nicht? –, dann würde das Info-Entertainment schnell zur pathetischen Leerformel greifen: „Nichts mehr ist so, wie es einmal war…“Man muss sich vergegenwärtigen, welche Erwartungen einst auf dem jungen, attraktiven US– Präsidenten in Zeiten von Kaltem Krieg, Kuba-Krise und DritterWeltkrieg-Angst lagen, um ermessen zu können, welche Erschütterungen sein gewaltsamer Tod an der Seite einer attraktiven, gebildeten First Lady auslösen mussten.
Ein Stoff fürs Musiktheater? Na klar – und wie! Genauso wie „Madama Butterfly“und „Evita“. Tragikund Verklärungspotenzial? Riesig! Das Schicksal hatte es schon vor seiner Ermordung nicht immer gut gemeint mit JFK. Und so schrieb der US-Komponist David T. Little genau für jene Stadt, in der Kennedy seine letzte Nacht verbrachte, nämlich für das texanische Fort Worth, ein bestelltes (Lokalkolorit-)Stück namens „JFK“. Es bündelt „31 Momente“aus den letzten Stunden des durchaus charismatischen Präsidenten, wirft sich dabei aber doch auch zu richtig großer Oper auf – mit dem Vorteil von dramatischer Wirkkraft einerseits und dem Nachteil von herbeikomponiertem Herzschmerz andererseits.
Was aber kriegt das Publikum zu sehen in diesen 31 Momenten einer europäischen Erstaufführung des Staatstheaters Augsburg? Reale, surreale, (alb)traumhafte Szenen aus dem Leben von Jack und Jackie. Ausgangspunkt ist das Hotelzimmer in Fort Worth, in dem JFK wieder mal von seiner Frau eine Morphiumspritze gegen seine chronischen Rückenschmerzen erhält – was dann eben erst einmal zu allerlei lastenden oder schönen Erinnerungen und Hirngespinsten im Schlaf führt. JFK mit seiner geistig zurückgebliebenen Schwester, JFK mit Chruschtschow, JFK mit texanischen Macho-Politikern, JFK und Jackie, als sie sich kennenlernten.
Auf einer zweiten Ebene des Stücks assistieren dem Präsidentenpaar zwei Figuren aus der US-Geschichte, die schon beim Mord von Abraham Lincoln dabei waren, Henry und Clara Rathbone. In der Augsburger Inszenierung nehmen sie die Funktion eines Filmregisseurs und seiner Assistentin an – und dazu den Part von zwei raunenden Schicksals-Nornen. Jedenfalls wird unter dem Strich beschleunigt demonstriert, welche Leidensfiguren JFK und Jackie bei all ihrer guten Absicht waren.
Und das spielt die Musik, die aus manchem schöpft, voll von Mitleiden auch aus. Der zweieinhalbstündige Abend im Augsburger Martinipark wird, je weiter er fortschreitet, getragen von einem pathetischen, schmerzverstärkenden LamentoTon. Das ist so funktionstüchtig wie berechnend, wie durchschaubar – und vergleichbar mit manchem sen- timentbeladenen Musical. Die „moderne“Dissonanz ist im Grunde nur pikantes Gewürzmittel, gerne kehrt David T. Little, der die Minimal Music kennt und die Streicher eher weniger als mehr fordert, zur selig eingetrübten, Rührung freisetzenden (Moll-)Harmonie zurück. Seine Partitur hat deutliche Züge einer Hagiografie. Immerhin hat sie mehr kompositorische Substanz als „Primadonna“2018 in Augsburg – aber weniger als Fujikuras „Solaris“.
Und so, wie Little in Teilen strickmusterhaft komponierte, so inszeniert Roman Hovenbitzer in Teilen auch diese 31 Momente – bei guter Maske und viel eingeblendetem und aufgesplittertem DokuFilmmaterial. Man kann und mag sich nicht der theatralischen Wirkkraft entziehen – und sieht gleichzeitig doch immer wieder, dass klugen Anspielungen auf die Biografie von JFK (sportbegeisterte Familie, Ausruf des US-Weltraumprogramms) zu viele Klischees zur Seite gestellt sind. Ein Bär musste (für Russland) unbedingt auf die Bühne und ein Bison (für den Wilden Westen). Dazu Indianerhäuptling, Weißkopfseeadler und Stars und Stripes die Menge. Vor allem in den Massenszenen ist diese Produktion auch eine Show, ein Spektakel, eine Sause.
Viel haben dazu der Opern- und der Extrachor sowie eine Schar von Augsburger Domsingknaben beizutragen, und sie tun dies auch mit Verve und Eindringlichkeit unter der musikalischen Gesamtleitung von Lancelot Fuhry, der sich am Theater Augsburg unerwartet zum Spezialisten zwar moderner, aber nicht zeitgenössischer amerikanischer Musik entwickelt hat. Er holt mit den Philharmonikern emotional raus, was rauszuholen ist – und rausgeholt werden soll. Der Sound hat erst anzugreifen und dann zu überwältigen. Sogar ein innehaltendes Frauen-Terzett à la „Rosenkavalier“ist enthalten, das in Augsburg allerdings etwas angestrengt dargeboten wird.
Alejandro Marco-Buhrmester als JFK zeigt sowohl autoritativen wie anrührend-leidenden BaritonKern; Jackie Kennedy wird von Kate Allen durchschlagskräftig, aber auch etwas zu flackernd-vibratoreich gegeben. Wolfgang Schwaninger muss als Rathbone an seine tenoralen Grenzen gehen, während Sally du Randt als Clara gewohnt souverän über ihren Sopran gebietet. Und noch zwei weitere Solistinnen erweisen sich als präsente, tragende Stimmdarsteller: Olena Sloia als tragisch umnachtete Rosemary Kennedy und Natalya Boeva als eine Zukunftsvision von Jackie Kennedy. Ihre Bühnenrolle: Jackie Onassis. Starker Applaus im Augsburger Martinipark, wo sich David T. Little die europäische Erstaufführung von „JFK“selbst anschaute. ⓘ
Nächste Aufführungen 28. März, 9., 14. und 27. April
Ohne Bär und Bison geht es nicht