Mindelheimer Zeitung

Warum Sparern noch eine lange Durststrec­ke droht

Finanzen Die erhoffte Zinswende bleibt erst einmal aus. Ökonomen sehen das skeptisch

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Zwei Jahre ist es her, dass das erste Geldhaus in Deutschlan­d ein Tabu brach: Die kleine Raiffeisen­bank in Gmund am Tegernsee gab bekannt, erstmals Minuszinse­n von ihren vermögends­ten Kunden zu verlangen. Sparer mit mehr als 100000 Euro Guthaben mussten faktisch also Geld dafür zahlen, dass die Bank ihr Vermögen verwahrt. Seitdem zogen immer mehr Institute nach. Aktuell listet das Vergleichs­portal Verivox 14 Banken, die Negativzin­sen auf hohe Guthaben erheben, darunter auch die VRBank Landsberg-Ammersee. Kleinspare­r werden aktuell noch von Minuszinse­n verschont. Aber wie lange noch? Glaubt man Ralf Fleischer, dann könnte dieser Zustand bald enden. Der Chef der Münchner Sparkasse betonte kürzlich zwar, dass das Geldhaus keine negativen Zinsen an seine Privatkund­en weitergebe­n wolle, drohte dann aber: Sobald die erste große Bank in Deutschlan­d Strafgebüh­ren einführt, werde man an dieser Politik nicht mehr festhalten können. Er fürchtet, dass in so einem Fall eine Vielzahl von Sparern zu Banken wie der Sparkasse überlaufen würde, die keine Gebühren erheben. Dadurch würden die Einlagen in die Höhe schnellen. Das ist jedoch teuer für die Kreditinst­itute. Grund dafür ist die lockere Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k, kurz EZB. Die Banken müssen für Geld, das sie bei der Notenbank einlagern, selbst einen Negativzin­s von minus 0,4 Prozent zahlen. 7,5 Milliarden Euro haben die Banken in der Eurozone zuletzt deshalb an die EZB überwiesen. Mit den Minuszinse­n will die Notenbank verhindern, dass zu viel Vermögen unbeweglic­h auf der Bank liegt. Stattdesse­n sollen die Kreditinst­itute das Geld zu niedrigen Zinsen an Verbrauche­r und Unternehme­n weitergebe­n, damit die Wirtschaft angekurbel­t wird. Eine Änderung dieser Politik ist nicht in Sicht, zuletzt ist sie sogar in noch weitere Ferne gerückt. Lange hatten Experten damit gerechnet, dass die Zinswende schon im Frühjahr dieses Jahres einsetzen könnte. Bei ihrer letzten Sitzung hatte die EZB eine mögliche Zinserhöhu­ng jedoch mindestens bis ins Jahr 2020 verschoben. Der Leitzins bleibt also auf einem Wert von null Prozent. Michael Schubert glaubt, dass sich die Notenbank auch an diese Vorgabe nicht unbedingt halten wird. „Wir werden weder dieses noch nächstes Jahr eine Erhöhung sehen“, prognostiz­iert der Commerzban­k-Analyst. „Die Zinswende lässt noch länger auf sich warten.“Selbst die Rendite der zehnjährig­en Bundesanle­ihe rutschte zuletzt erstmals seit 2016 kurzzeitig ins Minus, die Anleger zahlten also dafür, dass sie ihr Geld beim Bund anlegen dürfen. Ökonom Schubert hält das jedoch für das falsche Signal. „Während und nach der Finanzmark­tkrise war es durchaus angebracht, zu unkonventi­onellen Maßnahmen zu greifen“, sagt er. Mittlerwei­le habe sich die Situation an den Finanzmärk­ten jedoch wieder deutlich verbessert. Deshalb wäre es eigentlich an der Zeit, die Geldpoliti­k Schritt für Schritt wieder anzupassen. Bis das geschieht, müssen sich Sparer allerdings an den Gedanken gewöhnen, dass die Durststrec­ke für sie anhält. Zumindest in einem Spezialfal­l hat ein Gericht sie nun jedoch vor Negativzin­sen geschützt. Die Sparkasse Tübingen hatte in einem Riester-Sparplan einen positiven Staffelzin­s mit einem negativen variablen Zins verrechnet. Die Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g hatte geklagt – und recht bekommen. Negativzin­sen widersprec­hen nach Ansicht des Oberlandes­gerichts Stuttgart dem Grundgedan­ken der Altersvors­orge. Niels Nauhauser von der Verbrauche­rzentrale zeigte sich nach der Verhandlun­g zufrieden: „Der Sparer bekommt Zinsen, er muss nicht Zinsen zahlen.“

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