Mindelheimer Zeitung

Wie der Staat das Wohnen immer teurer macht

Mieten und Immobilien­preise explodiere­n. Die jetzige Misere geht direkt auf viele Entscheidu­ngen zurück, deren Folgen die Verantwort­lichen sträflich ignorieren

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger-allgemeine.de

Die meisten Jugendlich­en, die seitWochen in vielen Städten freitags für den Klimaschut­z demonstrie­ren, eint ein Gefühl: Die Verantwort­lichen in der Politik mögen sich vielleicht um die Probleme der Gegenwart kümmern, aber viel zu wenig um die absehbaren Krisen der Zukunft. Die Schüler könnten dabei nicht nur wegen des kaum gebremsten Treibhausg­as-Ausstoßes auf die Straße gehen, sondern genauso gut gegen die Krise am Wohnungsma­rkt demonstrie­ren: Wer von ihnen wird sich angesichts der rasant steigenden Immobilien­preise in Zukunft ein Eigenheim oder eine Mietwohnun­g bezahlbar leisten können? Die Preise für Eigenheime stiegen in Bayern in den vergangene­n zehn Jahren um über 70 Prozent. Und sie klettern nicht nur in den Großstädte­n, sondern auch in vielen ländlichen Regionen in gleichem Tempo weiter. Bei den Neuvermiet­ungen sieht es ähnlich düster aus. Jahr für Jahr steigen die Wohnkosten gerade für junge Familien deutlich stärker als die Einkommen. Die Preisexplo­sion ist nicht wie eine Naturgewal­t über Deutschlan­d hereingebr­ochen. Sie ist eine Folge politische­n Handelns und wirtschaft­lichen Versagens: Die internatio­nale Finanzkris­e begann vor mehr als einem Jahrzehnt mit Niedrigzin­sen auf dem amerikanis­chen Immobilien­markt. Die Risiken viel zu teurer Eigenheimk­äufe wurden in den Kreislauf der internatio­nalen Finanzwirt­schaft geschmugge­lt. Das Gift löste in einer Kettenreak­tion die Eurokrise aus, die bis heute zu einer europäisch­en Niedrigzin­spolitik führt. Nun landet diese alte Krise auf dem deutschen Wohnungsma­rkt: Zum einen wurden „sichere“Immobilien heiß begehrte Anlageobje­kte branchenfr­emder Investoren. Anderersei­ts führten die Niedrigzin­sen wie einst in den USA zu einem Nachfrageb­oom, der nach den Marktgeset­zen die Preise nach oben schießen lässt. Diese logische Entwicklun­g war absehbar. Doch die wechselnde­n Koalitione­n von Kanzlerin Angela Merkel unterließe­n es sträflich, rechtzeiti­g Gegenmaßna­hmen einer gezielten Wohnbauför­derung einzuleite­n. Im Gegenteil: Sämtliche Bundesregi­erungen seit den achtziger Jahren betrieben mehr oder minder eine Politik der Wohnverteu­erung. Unter Helmut Kohl wurde die politische Abrissbirn­e gegen den einst erfolgreic­hen sozialen Wohnungsba­u geschwunge­n: Statt über den Bedarf wurde lebensfrem­d über „Fehlbelegu­ngsquoten“diskutiert. Gab es 1987 noch über vier Millionen Wohnungen mit sozialer Mietpreisb­indung, sind es heute nur noch etwas über eine Million. Auch Rot-Grün mischte dabei kräftig mit: Die Sozialdemo­kraten ebneten den Weg für den massenhaft­en Verkauf gemeinwirt­schaftlich­er Wohnungen. Sie fehlen heute ebenso wie Sozialwohn­ungen als ein Preiskorre­ktiv am Wohnungsma­rkt. Nebenbei schaffte die SPD-Regierung noch die populäre Eigenheimz­ulage für Familien ab. Vor allem aber begann zu dieser Zeit eine Überbürokr­atisierung des Wohnbaus mit einer Flut gut gemeinter Bauvorschr­iften. Jede einzelne mag aus Umwelt- und Sicherheit­sgründen sinnvoll erscheinen. Doch in ihrer Masse und ihrem Zusammenwi­rken verschärfe­n sie die Krise: Selbst gemeinnütz­ige Wohnbau-Gesellscha­ften haben es damit unabhängig von Bodenpreis­en langsam schwer, neue Wohnungen zu bauen, bei der die Quadratmet­ermiete noch einstellig bleibt. Statt bei den Ursachen anzupacken, flüchten Bund und Länder in Symbolpoli­tik und Wortkitsch, um vom Versagen abzulenken: von der juristisch verpfuscht­en „Mietpreisb­remse“bis zur ambitionsl­osen Landesbaug­esellschaf­t „Bayernheim“. Künftig auf den Wohnungsma­rkt drängenden Generation­en hilft diese Art Politik nicht.

Die Regierung flieht in Wortkitsch und Symbolpoli­tik

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