Ein Idealist auf den Spuren von Johann Simon Mayr
Musik Die erfolgreichste deutsche Band im Ausland zeigt sich in ihrem Comeback-Video als jüdische KZ-Häftlinge am Galgen. Und löst damit die wohl beabsichtigte heftige Kritik aus
Berlin Provokation gehört bei Rammstein zum Programm. Mit einem 35 Sekunden kurzen Ausschnitt aus dem neuen Musikvideo hat die Band die deutsche Öffentlichkeit am Donnerstag in Aufruhr versetzt. Zu sehen sind darin vier Band-Mitglieder, deren Kleidung an die von KZGefangenen erinnert, an einem Galgen. Einer von ihnen wird mit einem gelben Stern inszeniert – wie einst Juden im Nationalsozialismus. Am Ende des Videos erscheint in frakturähnlicher Schrift das Wort „Deutschland“, in lateinischen Ziffern das Datum 28.03.2019.
Das schockierende Video war das Finale mehrerer kryptischer Ankündigungen, die Rammstein in den sozialen Netzwerken veröffentlicht hatte. Noch am Donnerstagabend stellte die Band schließlich ihr neues Musikvideo in voller Länge auf Youtube. Fast 80 000 Zuschauer warteten schon Minuten vor dem Start der Premiere um 18 Uhr auf den neuen Song „Deutschland“– und sahen mehr als Holocaust-Anspielungen.
Von den alten Germanen bis in die Gegenwart vollzieht die Band in rund sieben Minuten einen wilden Ritt durch verschiedene Kapitel deutscher Geschichte. Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg spielen genauso eine Rolle wie die innerdeutsche Teilung. Die Szene aus dem umstrittenen Trailer ist erst im Abspann zu sehen. Das Musikvideo in voller Länge zeigt aber auch, wie sich Häftlinge an ihren Peinigern in NS-ähnlichen Uniformen rächen. In der ersten Single des neuen Albums singt Rammstein-Frontmann Till Lindemann: „Deutschland, du hast viel geweint – im Geist getrennt, im Herz vereint. Deutschland will ich lieben und verdammen.“Und am Ende heißt es: „Deutschland, deine Liebe ist Fluch und Segen. Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben.“Der von Lindemann mit rollendem R gesungene Schlussvers lässt sich unmissverständlich als klare Distanzierung von Nationalismus und Nationalstolz begreifen.
Wie Rammstein mitteilte, soll das neue Album am 17. Mai erscheinen. Die erfolgreichste deutsche Band im Ausland hat seit ihrer Gründung 1994 mehr als 20 Millionen Alben verkauft. Zuletzt mussten Fans lange auf neue Musik warten. Die letzte Platte „Liebe ist für alle da“ist vor fast zehn Jahren erschienen. Im November kündigte die Rockband eine Europatour für Sommer 2019 an. Beim Vorverkaufsstart im November sollen Tickets für deutsche Konzerte nach vier Stunden ausverkauft gewesen sein. Der Server des Ticketanbieters brach kurz zusammen.
Das kurze Trailer-Video mit den KZ-ähnlichen Szenen hat Empörung ausgelöst. Politiker und Verbände verurteilten die Andeutungen. Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, warf der Band „Instrumentalisierung und Verharmlosung des Holocaust“vor. Der sagte sie, die Band habe eine Grenze überschritten. „Wie Rammstein das Leid und die Ermordung von Millionen zu Entertainment-Zwecken missbraucht, ist frivol und abstoßend.“
Als Reaktion auf das Video hat der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, die sechs Bandmitglieder von Rammstein in die KZ-Gedenkstätte Dachau eingeladen. Ein abschließendes Urteil wollte Freller am Donnerstag zwar noch nicht fällen. Eindeutig sei aber: „Das Leid und die Unmenschlichkeit des Holocaust verbieten sich für Werbezwecke oder Effekthascherei zur Bekanntmachung von Produkten ganz gleich welcher Art.“