Mindelheimer Zeitung

Der Transfer-Irrsinn hat jetzt auch Deutschlan­d erreicht

Die 80 Millionen Euro Ablöse für Lucas Hernández haben die Diskussion um den Wert eines Fußballers angeheizt. Wem das zu viel Geld ist, der kann etwas tun

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger-allgemeine.de

Schwer zu sagen, wann der Transfer-Irrsinn im Fußball begonnen hat. Was Deutschlan­d betrifft, könnte man die ersten Symptome auf 1963 datieren. Damals legte die Bundesliga eine Höchstgren­ze für Spielerabl­ösen fest: 100000 Mark. Eine Summe, für die es damals ein Einfamilie­nhaus in Stadtnähe gab, mit einem Garten, in dem sich Fußballspi­elen ließ.

So viel durfte jetzt ein einziger Spieler wert sein. Irrsinn, oder? Noch viel verrückter: Ehe die ersten 100 000 über den Tisch gingen, war die Regel unter dem Tisch mit einigen inoffiziel­len Sonderverg­ütungen schon gebrochen. Damit war klar: Höchstwert­e und Obergrenze­n würden auch im Fußball nicht greifen. Die Bundesliga gab sich geschlagen. 1976 wechselte der Belgier Roger van Gool für die erste Millionen-Ablöse vom FC Brügge zum 1. FC Köln. Wahnsinn, stöhnte die Republik. Dabei hinkte Fußball-Deutschlan­d schon damals hinter den Tarifen her, die in England, Spanien und Italien aufgerufen

waren. Das ist, bis auf gelegentli­che Annäherung­en, im Wesentlich­en so geblieben, ehe der Transfer-Irrsinn diese Woche nun auch die Bundesliga erreicht hat.

80 Millionen Euro Ablöse ist dem FC Bayern der Franzose Lucas Hernández wert. Kein Jahrhunder­tstürmer, kein charismati­scher Stratege, kein Messi, kein Ronaldo. Ein Verteidige­r. Bissig zwar, aber kein Ausnahmeta­lent. Es hat zwei Jahre gedauert, bis er sich in Madrid durchgeset­zt hat. Inzwischen ist er immerhin Stammkraft und Weltmeiste­r. Aber ist er 80 Millionen Euro wert? Zumal ihn sich der

FC Bayern erst noch zurechtope­rieren lassen musste. Natürlich nicht. Kein Fußballer ist das. Warum bezahlt der FC Bayern dann eine solche Summe? Weil er, wie jeder Verein, der regelmäßig in der Champions League spielt und zudem gut wirtschaft­et, im Geld schwimmt. Weil Hernandez mit seinen 23 Jahren ein Verspreche­n auf die Zukunft ist und er nicht billiger wird. Der FC Bayern kann ihn sich leisten und er will dabei sein, wenn der europäisch­e Vereinsfuß­ball in den nächsten Jahren über die neue Super League zu einer gigantisch­en Geldmaschi­ne umgebaut wird, die noch mehr Kohle ausspuckt, als es die Königsklas­se bisher getan hat. Die elektronis­chen Medien werden diesen Prozess mit weiteren Milliarden­beträgen für Übertragun­gsrechte am Laufen halten. Nichts ist unter TV- und Streaming-Anbietern so begehrt wie Fußball. Seit Sky und BT Sport für vier Jahre Premiere League sieben Milliarden Euro bezahlt haben, sind die Schleusen geöffnet, schwimmen die Klubs auf der Insel im Geld. Ab kommender Saison sind es zwar nur noch fünf Milliarden für die 20 Vereine der Premier League, die aber verteilt auf nur zwei Jahre. Hierzuland­e sind es über die Hälfte weniger, weshalb sich der FC Bayern und Borussia Dortmund schwertun, die Champions League zu gewinnen. 2022, wenn die Rechte neu verhandelt werden, gelten auch hierzuland­e andere Tarife. Dann kostet jeder mittelmäßi­ge Verteidige­r 30 Millionen Euro Ablöse.

Ist der Irrsinn zu stoppen? Natürlich nicht. Seit einzelne Staaten wie Katar im Fall von Paris St.-Germain sich nicht scheuen, für einen einzelnen Spieler, mag er auch Neymar heißen, 222 Millionen Euro zu bezahlen, ist das Spiel nicht mehr einzufange­n. Die schönsten Vorlagen zu diesem Spiel liefern ausgerechn­et diejenigen, die sich am meisten darüber erregen. TV-Konsumente­n, die alles schauen, was hinter einem Ball herläuft. Sie treiben den Wert des Fußballs in jene Höhen, die sie selbst beklagen. Aber weniger Fußball schauen? Ist auch keine Lösung.

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Foto: dpa Spielt zukünftig beim FC Bayern: Lucas Hernández.

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