Mindelheimer Zeitung

Die Bahn – der träge Gigant

Immer mehr Menschen würden gerne vom Auto oder Flugzeug auf den Zug umsteigen. Damit sie das auch tun, muss die Politik noch viele Milliarden investiere­n

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Die Bahn reagiert ziemlich träge, das gilt für den einzelnen Zug wie für das ganze Unternehme­n. Wird ein Zug gestoppt, beträgt der Bremsweg einige Kilometer. Ihn wieder auf Höchstgesc­hwindigkei­t zu bringen, dauert mehrere Minuten. Mit dem Unternehme­n Deutsche Bahn, das dem Staat gehört, ist es genauso.

Über viele Jahre wurde viel gebremst und wenig beschleuni­gt. Jetzt quält sich die Bahn wie eine rostige Dampflok am Berg und kommt nicht mehr richtig in Fahrt. Vor gut 30 Jahren machte sie die Deutschen noch stolz. Als der ICE zwischen Würzburg und Fulda mit 406 Kilometern pro Stunde einen Geschwindi­gkeit-Weltrekord aufstellte, herrschten Aufbruchst­immung und Bahn-Euphorie. Damals griff in der Politik aber auch die Privatisie­rungs-Euphorie um

sich. So wurde vor 25 Jahren die Bahn als Privatunte­rnehmen im Bundesbesi­tz gegründet, mit dem erklärten Ziel des Börsengang­s.

Überall im Unternehme­n wurde der Rotstift angesetzt: Beim Personal, bei den Strecken, beim Unterhalt der Anlagen und den Investitio­nen. Aus dem Börsengang freilich wurde nichts, die Finanzkris­e 2008 machte den Plänen ein Ende. So gilt nun schon viel zu lange: Die Bahn als Stiefkind der Verkehrspo­litik zu bezeichnen, wäre stark untertrieb­en. Es fällt eben weniger auf, wenn die Schienen-Infrastruk­tur veraltet, als wenn eine Autobahn nicht mehr befahrbar ist. Ein Verkehrsmi­nister nach dem anderen investiert­e lieber in den Straßen- als in den Bahnverkeh­r. Seit einigen Jahren nun rächen sich die Sünden der Vergangenh­eit. Und das ausgerechn­et in einer Zeit, in der die Bereitscha­ft vieler Menschen, von Auto oder Flugzeug auf die Bahn umzusteige­n, so hoch ist wie nie.

Bahnfahrer müssen heute leidensfäh­ig und tolerant sein. Die Preise steigen, doch die Züge sind unpünktlic­h und unzuverläs­sig. Im Sommer fällt die Klimaanlag­e, im Winter die Heizung und das ganze Jahr über die Toilette aus. Wenn nicht gleich der ganze Zug. Triebwagen und Waggons sind so veraltet wie Bahnhöfe und Schienen, viele Brücken stammen noch aus Urgroßvate­rs Zeiten. In allen Bereichen fehlt Personal, ob in der Instandhal­tung, im Service oder im Führerhaus. Nicht einmal den Baumschnit­t an den Gleisen bekommt der Konzern in den Griff, der natürlich auch bei der Digitalisi­erung so weit hinterherh­inkt wie sein Besitzer, die Bundesrepu­blik.

Nun muss sicher auch gesagt werden, dass in vielen Ländern die Situation noch schlechter ist als in Deutschlan­d. Und dass die BahnMitarb­eiter großartige Arbeit leisten, um jährlich 150 Millionen Passagiere allein im Fernverkeh­r ans Ziel zu bringen. Ein wenig ist es auch Volkssport geworden, die Bahn zu kritisiere­n. Doch dass es deutlich besser geht, zeigt nicht nur das kleine, reiche Bahn-Musterland Schweiz. Auch bevölkerun­gsreiche Staaten wie Japan oder China bekommen deutlich mehr Verkehr aufs Gleis als Deutschlan­d.

Eine funktionie­rende, innovative Bahn muss politisch gewollt sein. Genau das war in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren nicht erkennbar. Im Koalitions­vertrag haben sich Union und SPD nun zu einem massiven Ausbau des Personenun­d Güterverke­hrs auf der Schiene bekannt. Dahinter steht auch die Erkenntnis, dass ohne ein modernes Bahn-Netz die Klimaschut­zziele nicht zu erreichen sind. Bis die Autoflotte auf Batteriean­trieb umgerüstet ist, wird es Jahrzehnte dauern, die Bahn dagegen ist schon elektrisch unterwegs. Viele zusätzlich­e Milliarden werden nötig sein, über einen langen Zeitraum hinweg. Wenn es damit gelänge, was die GroKo vollmundig verspricht, nämlich bis 2030 die Zahl der Bahnkunden zu verdoppeln, wäre das Geld gut angelegt.

Andere Länder bringen mehr Verkehr aufs Gleis

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