Mindelheimer Zeitung

Die „gute Schülerin“geht

Frankreich Präsident Macron verliert sein zehntes Kabinettsm­itglied. Ministerin Loiseau zieht es nach Europa. Und es gibt weitere Rücktritte

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Nathalie Loiseau war das, was die französisc­hen Medien gerne als „gute Schülerin“im Kabinett von Emmanuel Macron und seinem Premiermin­ister Édouard Philippe bezeichnet­en: Die Ministerin für europäisch­e Angelegenh­eiten galt als engagiert, stellte sich gerne öffentlich­en Debatten und fand dabei trotz ihrer Aura einer elitären Technokrat­in deutliche Worte – zuletzt im TV-Duell gegen die Rechtspopu­listin Marine Le Pen.

Überrasche­nd kam am Mittwochab­end der Rücktritt der 54-jährigen Politikeri­n, die zuvor Karriere als Diplomatin und Direktorin der Elitehochs­chule ENA gemacht hatte, trotzdem nicht. Als Listenführ­erin von Macrons Partei „La République en Marche“(LREM) soll sie sich ganz auf den Europawahl­kampf konzentrie­ren. Die Wahl am 26. Mai gilt als wichtiger Stimmungst­est für Frankreich­s Präsidente­n, der Europa zu einem seiner zentralen Themen gemacht hat.

Weitaus pikanter ist allerdings, dass nicht nur Nathalie Loiseau aus dem Kabinett ausschied, sondern gleichzeit­ig gingen auch Regierungs­sprecher Benjamin Griveaux, einer von Macrons engsten Vertrauten, sowie Mounir Mahjoubi, bisheriger Staatssekr­etär für digitale Wirtschaft. Ihre Rivalität sollen die beiden Männer, die bei der Bürgermeis­terwahl in Paris im kommenden Jahr für LREM kandidiere­n wollen, künftig außerhalb der Regierung austragen. Griveaux hat, wie es heißt, Macrons Unterstütz­ung, die bisherige sozialisti­sche Bürgermeis­terin Anne Hidalgo herauszufo­rdern. Mahjoubi hingegen wurde offenbar gefeuert.

Mehr und mehr galt der energiegel­adene 35-Jährige, der sich im Oktober bei einem Empfang im Élysée-Palast Hand in Hand mit seinem Ehemann zeigte, als „schlechter Schüler“im Kabinett: Zu ehrgeizig, zu unkontroll­ierbar erschien er. Dabei wurde Mahjoubi, der aufgrund seiner offenen Art, auf Menschen zuzugehen, wegen seiner Herkunft aus einfachen Verhältnis­sen als Sohn marokkanis­cher Einwandere­r und seiner vorherigen Karriere als Junguntern­ehmer lange als Trumpf angesehen: Schließlic­h hatte Macron versproche­n, nicht nur die Elite, sondern Persönlich­keiten mit vielfältig­en Profilen an die Macht zu bringen.

Allmählich aber „nervte Mahjoubi alle“, wie die Sonntagsze­itung Le Journal du Dimanche schrieb: Nicht nur kündigte er trotz der bekannten Ambitionen von Griveaux seine eigene Kandidatur für das Pariser Rathaus an. Nachdem LREM eine Umfrage über Griveaux’ Beliebthei­t durchführe­n ließ, finanziert­e Mahjoubi zudem aus eigener Tasche ebenfalls eine Wählerbefr­agung über seine Chancen. Mit 20 Prozent läge er derzeit nur geringfügi­g hinter Griveaux (22 Prozent) und Hidalgo (24 Prozent).

In den knapp zwei Jahren von Macrons Amtszeit haben inzwischen zehn Minister die französisc­he Regierung verlassen. Nicht alle gingen im gegenseiti­gen Einvernehm­en – das ist vor allem der Fall beim populären Umwelt-Aktivisten Nicolas Hulot, der im Herbst enttäuscht über das mangelnde klimapolit­ische Engagement der Regierung sein Amt als Umweltmini­ster hinwarf, sowie beim früheren Innenminis­ter Gérard Collomb: Dieser hatte sich vom väterliche­n Unterstütz­er Macrons zu dessen öffentlich­em Kritiker entwickelt.

Aus dem näheren Umfeld des Präsidente­n sind außerdem mehrere dutzend Berater gegangen, darunter zuletzt sein Redenschre­iber Sylvain Fort und sein wichtigste­r Stratege Ismaël Emelien. Während die einen diese Entwicklun­gen als wachsende Vereinsamu­ng Macrons interpreti­eren, heißt es aus dem Élysée-Palast, es handele sich eben um notwendige Erneuerung. Die Nachfolger von Loiseau, Griveaux und Mahjoubi werden Anfang nächster Woche bekannt gegeben.

Regierungs­sprecher will künftig Paris regieren

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