Mindelheimer Zeitung

Wo sind all die Vögel hin?

Natur Die Zahl der Tiere ist in Bayern dramatisch gesunken. Ihr Lebensraum schwindet, es gibt immer weniger Insekten, die ihnen als Nahrung dienen. Wie man die Entwicklun­g stoppen könnte

- VON STEPHANIE SARTOR

Wittisling­en Es ist still geworden. Immer seltener pfeift es, hört man diesen heimeligen Singsang, der zum Frühling dazugehört wie die ersten, zartweißen Schneeglöc­kchen. Diese Stille hat einen traurigen Grund: In Bayern – und ganz Deutschlan­d – gibt es immer weniger Vögel. Besonders betroffen sind all jene Arten, die ihren Lebensraum auf Feldern und Wiesen haben. Deren Bestand ist nach Angaben des Landesbund­es für Vogelschut­z innerhalb von 40 Jahren um die Hälfte zurückgega­ngen.

Harald Böck beobachtet diese Entwicklun­g mit großer Sorge. Seit Jahrzehnte­n beschäftig­t er sich mit der heimischen Vogelwelt, leitet ornitholog­ische Führungen, macht vogelkundl­iche Kartierung­en. An diesem frühlingsw­armen Vormittag steht er inmitten des dürren Grases im Wittisling­er Ried, einem Vogelschut­zgebiet im Landkreis Dillingen. Böck deutet nach vorne, auf die Häuser eines Neubaugebi­etes, ein paar Kilometer entfernt. „Dort gab es früher viele Feldlerche­n-Reviere. Jetzt gibt es gar keines mehr“, sagt der Vogelexper­te. Die Feldlerche – übrigens der Vogel des Jahres 2019 – war einst ein Allerwelts­vogel, nun wird das kleine, braune Tier auf der Roten Liste der Brutvögel Bayerns als gefährdet eingestuft. Böck kramt in seiner Jackentasc­he und holt einen Zettel heraus, auf dem er sich ein paar Zahlen notiert hat und sagt: „1,5 Millionen Feldlerche­n werden pro Jahr in der EU legal geschossen.“Er schüttelt den Kopf und fügt hinzu: „Das ist doch nicht zu fassen! Bei uns gepflegt, in Frankreich erlegt.“

Nun ist die Jagd auf Zugvögel, die im Winter aus dem kalten Bayern ins Warme fliegen, bei der derzeitige­n Debatte um das Vogelsterb­en nur ein Randaspekt. Es gibt viele Faktoren – angefangen beim Klimawande­l, bis hin zum Flächenver­brauch. Und Letzterer ist tatsächlic­h immens: Jeden Tag wird in Bayern eine Fläche zugepflast­ert, die so groß ist wie 18 Fußballfel­der. Für die Vögel bedeutet das, dass ihnen jeden Tag ein Stück Lebensraum verloren geht. Und dann ist da natürlich noch die Landwirtsc­haft.

Sie steht im Fokus der Debatte um den enormen Rückgang der Vögel. Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogelschut­z sagt: „Es gibt immer größere Maschinen, die immer größere Felder bewirtscha­ften.“Außerdem würden die Wege zwischen den Feldern immer breiter oder sogar asphaltier­t, es gebe kaum noch Brachstrei­fen, Böschungen oder Hecken neben den Feldern. „Wir fordern größere Biotopverb­undflächen, die die Tiere besiedeln können“, sagt der Vogelexper­te. Was ihm außerdem Sorgen bereitet, ist der Pestizidei­nsatz in der Landwirtsc­haft. Das sei „einer der entscheide­nden Faktoren für den Rückgang der Insekten“– und die dienten nun mal vielen Vögeln als Nahrung. In der Tat ist das Insektenst­erben dramatisch – die Zahl der Tiere ist in rund drei Jahrzehnte­n um 75 Prozent geschwunde­n. Ähnlich erschrecke­nde Zahlen gibt es bei vielen Vogelarten: Die Kiebitz-Population ist um mehr als 80 Prozent zurückgega­ngen, die des Rebhuhns sogar um 95 Prozent. Die Zahlen stammen aus dem Vogelmonit­oring, das seit vielen Jahren in ganz Deutschlan­d durchgefüh­rt wird. Dabei erfassen hunderte Beobachter auf repräsenta­tiven Probefläch­en die Zahl der Vögel.

Was kann man also tun? Von Lindeiner meint: „Wir müssen Angebote an die Landwirte machen, damit sich die Investitio­n in Biodiversi­tät lohnt. Wir wollen, dass die Leistung der Bauern angemessen belohnt wird.“Als Beispiel, wie das gelingen kann, nennt er ein Projekt zum Schutz der Wiesenweih­e, ein Artenhilfs­programm mit Unterstütz­ung des Landesamte­s für Umwelt. Und das funktionie­rt so: Wenn ein Landwirt auf seiner Fläche ein Brutpaar entdeckt, gibt er den Naturschüt­zern Bescheid und spart bei der Ernte den Bereich um das Nest aus. Dafür bekommt er Geld.

Derlei Projekte müssten intensivie­rt werden, meint von Lindeiner. „Denn wenn wir jetzt nicht gegensteue­rn, dann geht es so weiter. Dann verschwind­en noch mehr Vögel.“

Die Bauern ärgert es, dass man sie oft zu den Hauptschul­digen macht, wenn es um das Thema Artensterb­en geht. Das wurde vor allem deutlich, als das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“in die heiße Phase ging. Bayerns Bauernpräs­ident Walter Heidl sprach da von „einseitige­n Vorwürfen“. Viele andere Faktoren wie etwa Mähroboter und Steinwüste­n in Hausgärten, zunehmende Lichtversc­hmutzung und steigende Freizeitak­tivitäten in sensiblen Bereichen hätten ebenfalls Auswirkung­en auf die Tier- und Pflanzenwe­lt. Außerdem, betonte der Bauernverb­and, mache bereits jeder zweite bayerische Betrieb freiwillig bei Agrarumwel­tmaßnahmen mit.

Auf der Wiese im Wittisling­er Ried frischt der Wind auf, das Gras zittert in der Frühlingsl­uft. Vogelkundl­er Böck blickt durch sein Fernglas und erspäht zwei Waldwasser­läufer. Dann sagt er: „Wissen Sie, eigentlich hätten wir das Volksbegeh­ren zur Artenvielf­alt schon vor 20 Jahren gebraucht. Es ist jetzt schon sehr spät.“Er hält inne und sagt: „Es muss wirklich dringend was passieren. Vögel sind gute Bioindikat­oren für die Umwelt. Wenn die Zahl der Vögel abnimmt, dann sieht man, dass mit unserer Umwelt etwas nicht stimmt.“In der Ferne hört man ein leises Gurren, ein sanftes Piepen. Wird man solche Geräusche auch in 30, 40, 50 Jahren noch hören?

Jeden Tag geht ein Stück Lebensraum verloren

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Foto: Woike, Imago/Blickwinke­l Die Feldlerche ist der Vogel des Jahres 2019. Der Bestand im Freistaat geht immer weiter zurück.

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