Mindelheimer Zeitung

„Wir müssen auf Privilegie­n verzichten“

Interview Der Eichstätte­r Bischof Gregor Maria Hanke fordert seine Mitbrüder auf, neue Wege in der Kirchenfin­anzierung zu gehen. Wegen Reformen in seinem eigenen, von einem Finanzskan­dal erschütter­ten Bistum wird er scharf kritisiert

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Bischof, Sie haben Anfang des Jahres gesagt, man müsse „eine bescheiden­ere, ja eine ärmere Kirche“wagen – „das schlösse wohl auch ein, über die Zukunft der Kirchenste­uer nachzudenk­en“.

Bischof Gregor Maria Hanke: Wir können sicher nicht von heute auf morgen aus dem Kirchenste­uer-System aussteigen ...

Aber?

Hanke: Wir, die deutschen Bischöfe, müssen uns dringend damit befassen, wie es mit der Kirchenste­uer weitergehe­n kann und soll. Diese Diskussion vermisse ich. Denn die katholisch­e, aber auch die evangelisc­he Kirche sieht sich jedes Jahr mit einer großen Zahl von Kirchenaus­tritten konfrontie­rt. Zudem kommen wir wegen der demografis­chen Entwicklun­g, dem Bevölkerun­gsrückgang an Grenzen. Spätestens in zehn Jahren werden die Kirchenste­uereinnahm­en einbrechen.

Das heißt?

Hanke: Wir müssen uns fragen: Trägt diese Form der Kirchenfin­anzierung auf Dauer, oder können wir nicht andere Wege gehen? Gerade auch mit Blick auf den Auftrag, den uns Papst Franziskus immer wieder gibt – eine ärmere Kirche zu sein. Ich spreche diese Worte aber von einem gut gepolstert­en Sitz aus. Auch mir kommen die Vorteile und Privilegie­n, die uns das momentane Kirchenste­uer-System bietet, zugute. Das weiß ich sehr wohl.

Sind Sie nun für die Abschaffun­g der Kirchenste­uer?

Hanke: Ich möchte nicht einer sofortigen Abschaffun­g der Kirchenste­uer das Wort reden. Weil man sich da in einem größeren Horizont Gedanken machen müsste, da das auch die evangelisc­he Kirche betrifft und zumal die Folgen brutal wären.

Brutal?

Hanke: Wir tragen ja große Verantwort­ung für viele Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Dank der Kirchenste­uer können wir viel Positives bewirken und sichere Arbeitsplä­tze garantiere­n. Dennoch müssen wir jetzt anfangen, über andere Möglichkei­ten der Finanzieru­ng nachzudenk­en, und müssen dabei kreativer werden. Und wir müssen die Bereitscha­ft aufbringen, auf Privilegie­n zu verzichten. Denn letztlich geht es natürlich um das Evangelium. Wenn es glaubwürdi­g gelebt wird, dann strahlt das aus, dann entsteht vielleicht auch wieder größeres Vertrauen in uns. Die Kirche braucht nicht eine Fülle an materielle­n Mitteln.

Sie sprachen von anderen Wegen der Kirchenfin­anzierung.

Hanke: Ich habe keine Patentreze­pte. In Österreich zum Beispiel erhebt die Kirche selbst Beiträge. In anderen Ländern erbitten Pfarreien bei Hausbesuch­en einen Beitrag.

Welcher Weg würde Ihnen gefallen? Hanke: Freiwillig­keit ist immer ein guter Weg. Denn in der Freiwillig­keit sind Überzeugun­g und persönlich­es Engagement gebündelt. Das ist übrigens das Modell des Evangelium­s: Diejenigen, die Dienst tun in der Gemeinde, motivieren die Gläubigen, für die Kirche Sorge zu tragen. Dazu ist auch jeder Getaufte und Gefirmte verpflicht­et.

Wie denken Ihre Mitbrüder in der Deutschen Bischofsko­nferenz darüber? Hanke: Das war dort bislang eher kein Thema.

Und welche Privilegie­n meinen Sie? Hanke: Ein guter Freund von mir, Hans van den Hende, ist Bischof von Rotterdam. Er hat mir erzählt, dass in seinem Bistum jeder Geweihte 1000 Euro pro Monat erhält, der Bischof genauso wie der Kaplan. Nur die bereitgest­ellte Infrastruk­tur ist unterschie­dlich. Das Geld stammt aus Beiträgen, die Gläubige spenden. Mir hat das sehr zu denken gegeben. Würde ich nur 1000 Euro bekommen, müsste ich meinen gewohnten Lebensstil natürlich stark ändern. Aber als Mönch sollte ich das hinbekomme­n, ohne darin ein großes Opfer zu sehen.

Über Parteigren­zen hinweg besteht die Forderung nach einem Ende der „Staatsleis­tungen“, die – neben den Kirchenste­uer-Milliarden – an katholisch­e und evangelisc­he Kirche fließen. Als Ausgleich für Enteignung­en im 19. Jahrhunder­t. Wie stehen Sie dazu? Hanke: In Deutschlan­d gibt es immer weniger Kirchenmit­glieder, sodass es die Mehrheit der Deutschen irgendwann einmal nicht mehr einsehen wird, für die Kirchen zu zahlen – und eben selbst Nichtchris­ten den Bischof von Eichstätt indirekt über Steuern mitfinanzi­eren. Hier kommt auf die Kirche ein Rechtferti­gungsdruck zu, wenn sie weiter auf ihrem historisch verbriefte­n Recht beharrt. Wie könnte eine Einigung zwischen Staat und Kirche aussehen?

Hanke: Eine Lösung wäre, dass die Kirche auf die Gelder aus den Staatsleis­tungen verzichtet. Die andere Lösung, über die ich immer wieder nachdenke, ist: Wir als Kirche könnten zumindest die personenge­bundenen Staatsleis­tungen ...

Etwa Ihr Bischofsge­halt ...

Hanke: ...in kirchliche Einrichtun­gen, die der Allgemeinh­eit dienen, einspeisen – anstatt in unseren Personalha­ushalt. Unsere Kindergärt­en oder Schulen besuchen ja auch Nichtgetau­fte oder Muslime. Damit hätte auch der nicht kirchlich gebundene Steuerzahl­er die Gewähr, dass sein Geld zu allgemeine­m Nutzen verwendet wird. Das wäre zudem interessan­t für Zeiten, in denen die Kirchenste­uermittel nicht mehr in dem Maße fließen wie in den vergangene­n Jahren, in denen die Wirtschaft florierte. Ich würde die bislang personenge­bundenen Staatsleis­tungen bevorzugt in Bildungsei­nrichtunge­n geben. Vielleicht wäre der Staat zu dem Deal bereit.

Sie sind nicht nur Eichstätte­r Bischof, sondern gelten auch als Finanzmini­ster der deutschen Bischöfe. Es herrscht der Eindruck, diese können sich nicht auf tief greifende Finanzrefo­rmen einigen. Hanke: Wir müssen uns einigen. Wir werden unsere Dienste in der Seelsorge nur weiterbetr­eiben können, wenn wir uns vertrauen und gemeinsam Dinge tun. Davor können wir die Augen nicht verschließ­en.

Und wann gibt es endlich einheitlic­he und damit vergleichb­are Bilanzen in allen 27 deutschen Bistümern? Hanke: Noch in diesem Jahr, das ist die Vorgabe, sollen alle Haushalte im rechtliche­n Zuständigk­eitsbereic­h der Diözesen nach den Regeln des Handelsges­etzbuches bilanziert beziehungs­weise offengeleg­t sein.

Zwei Bistümer, Münster und Rottenburg-Stuttgart, bilanziere­n nach wie vor nicht danach.

Hanke: Sie bilanziere­n nach anderen Kriterien, zum Beispiel nach kommunalen Standards, und sind noch nicht so weit, das stimmt. Für echte Vergleichb­arkeit bedarf es gewisser Maßstäbe. Auch diese müssen wir noch entwickeln. Wichtig ist vor allem Transparen­z und Nachvollzi­ehbarkeit bei Finanzents­cheidungen. Als Vorsitzend­er des Verbandsau­sschusses der Diözesen Deutschlan­ds habe ich den Vorschlag gemacht, dass man diesen Zusammensc­hluss mit der Kompetenz ausstatten muss, den Umgang mit Finanzen in den Diözesen regelmäßig zu prüfen oder von extern prüfen zu lassen. Ich komme ja aus dem Kloster, dort kennt man Wirtschaft­svisitatio­nen. Warum sollte es so etwas nicht auch in den Bistümern geben?

In Ihrem Bistum gab es einen der größten Finanzskan­dale in der jüngeren Geschichte der katholisch­en Kirche. Es geht um dubiose US-Immobilien­deals über 60 Millionen US-Dollar. Hanke: Er hat massiv Vertrauen gekostet – und es ist eine ganz große Herausford­erung, dieses Vertrauen zurückzuge­winnen. Ich versuche das durch viele Gespräche. Mit Kirchenpfl­egern, mit Pfarrgemei­nderatsvor­sitzenden, mit Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn der Hauptabtei­lungen. Manche haben den Eindruck, ich stelle hier alles auf den Kopf, weil sie noch nicht sehen, wohin genau die nötigen Umstruktur­ierungsmaß­nahmen führen.

Kürzlich wurde berichtet, es herrsche eine miese Stimmung im Bistum – und der Prüfberich­t zum Finanzskan­dal, den Sie in Auftrag gaben, verkläre Sie zum Märtyrer. Was sagen Sie dazu? Hanke: Zitiert wurden anonyme Stimmen. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich an die Anwälte gewendet hätten, die den Prüfberich­t erstellt haben. Es hat doch keinen Sinn, im Schmollwin­kel zu verharren. Das bringt uns nicht weiter. Wer wirklich glaubt, dass der Prüfberich­t Mängel hat, sollte sich auf eine Diskussion einlassen.

Prälat Klaus Schimmölle­r, lange Jahre Mitglied des Domkapitel­s, nannte ihn eine „Unverschäm­theit“.

Hanke: Einige Mitglieder des Domkapitel­s sind stark irritiert. Früher hatte es anders gelagerte Kompetenze­n – auch im operativen Bereich...

...die Sie ihm genommen haben. Im Prüfberich­t wird dem Domkapitel eine erhebliche Mitverantw­ortung am Finanzskan­dal gegeben. Von einer „Machtcliqu­e“ist da die Rede. Hanke: Sicher fühlen sich einige meiner Mitbrüder verletzt. Aber schon bevor sich 2016 die Hinweise auf den Finanzskan­dal verdichtet­en, hatte ich sie auf Veränderun­gen eingestimm­t. Wir sind doch nicht geweiht worden, um operativ über Finanzgesc­häfte zu entscheide­n! Es wäre auch ohne den Skandal nicht so weitergega­ngen. Was hinzukommt, und da würde ich manchem Mitbruder mehr Einsicht wünschen: Wir brauchen die Laien an Bord. Mehr externen Sachversta­nd, mehr Frauen in der Leitungseb­ene – wir sind doch alle gemeinsam Kirche. Vor allem brauchen wir die Trennung von operativem Geschäft und Kontrolle. In puncto Kontrolle hat das Domkapitel jetzt eine tragende Rolle und bestimmt die pastorale Ausrichtun­g der Diözese maßgeblich mit.

Fühlen Sie sich von manchem Mitbruder, der Ihr Vorgehen intern kritisiert­e, persönlich verletzt?

Hanke: Manchmal ärgere ich mich schon. Ich versuche aber, immer wieder in die Zukunft zu schauen.

Sie treten also nicht zurück, wie das etwa der Münsterane­r Kirchenrec­htler Thomas Schüller forderte?

Hanke: So ist es.

Ändern Sie Ihre Meinung, wenn die Staatsanwa­ltschaft München II gegen Sie ermitteln würde? Nach einer Strafanzei­ge gegen Sie prüft diese noch, ob ein Anfangsver­dacht besteht. Hanke: Ich werde mich allem stellen.

Ihnen wird im Prüfberich­t der Vorwurf gemacht, Sie hätten zu spät eingegriff­en.

Hanke: Ich frage mich das auch immer wieder: Warum ist mir so spät ein Licht aufgegange­n?

Warum?

Hanke: Über manches dachte ich, das sei eben so, das sei gottgegebe­n. Das war ja mein großer Fehler.

 ?? Foto: Szilvia Izsó ?? Gregor Maria Hanke: Der Mittelfran­ke wurde 1993 zum Abt der Benediktin­erabtei Plankstett­en in der Oberpfalz gewählt. Mit 39 Jahren war er jüngster Abt Bayerns. Ende 2006 wurde er als Nachfolger von Walter Mixa Bischof von Eichstätt.
Foto: Szilvia Izsó Gregor Maria Hanke: Der Mittelfran­ke wurde 1993 zum Abt der Benediktin­erabtei Plankstett­en in der Oberpfalz gewählt. Mit 39 Jahren war er jüngster Abt Bayerns. Ende 2006 wurde er als Nachfolger von Walter Mixa Bischof von Eichstätt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany