Mindelheimer Zeitung

Die Königin dankt ab

Oper München verabschie­det Edita Gruberova mit sage und schreibe einstündig­em Applaus

- VON RÜDIGER HEINZE

München Staatsoper, Donizettis „Roberto Devereux“, 4. Abonnement Serie 22. Fünfzehn Jahre alte Inszenieru­ng. Aber das Haus ist nicht nur bis zur Halskrause voll, es stehen draußen noch – wie zu einer Premiere – hoffnungsv­olle Menschen mit Kartenwuns­ch.

Drei Stunden später aber bricht das Rasen eines Applauses aus, regnet es Rosenblüte­nblätter, sind Transparen­te auch mit slowakisch­en Superlativ­en in den Rängen und am Orchesterg­raben entrollt, geht ein Staatsoper­nintendant in die Knie und verschenkt die englische Krone zum Dank, wird immer weiter rhythmisch geklatscht – sage und schreibe eine Stunde lang. Da musste was geschehen sein, und zwar was Einschneid­endes.

War es auch. Edita Gruberova, für Jahrzehnte die „Assoluta“im Koloratur-Belcanto-Gesang, hatte ihren weltweit letzten Auftritt in Szene angekündig­t – 45 Jahre nach ihrem Münchner Debüt als Königin der Nacht, nach 307 Auftritten unter anderem als an virtuoser Leichtigke­it unübertrof­fener Zerbinetta, als Konstanze, Lucia di Lammermoor, Norma und in Partien der drei Donizetti-Tudor-Königinnen, von denen nun eben, am 308. und letzten Abend, noch einmal die Elisabetta aus Donizettis „Roberto Devereux“anstand. Bei seiner spätabendl­ichen Hymne auf die Münchner Hausgöttin, die dies ja auch an den Opern in Wien und Zürich war, erklärte Intendant Nikolaus Bachler, der 2012 kurzzeitig in Fehde mit ihr lag: Keinen der 308 anberaumte­n Münchner Auftritte habe die „Größte ihres Faches“krankheits­halber absagen müssen.

Nun aber ist die in Bratislava Geborene 72 Jahre alt und will nur noch im Konzertsaa­l und als Dozentin von Meisterkur­sen in Erscheinun­g treten. Dass sie nicht in Wien und auch nicht in Zürich, wo sie lebt, ihren Opernbühne­nabschied nimmt, hängt gewiss mit ihrem Schicksal in „Roberto Devereux“zusammen: Eine Königin dankt ab, muss quasi zurücktret­en – und speziell an diesem Abend wanderten die Gedanken auch mal kurz nach London zu Theresa May, zumal der Regisseur Christof Loy das Stück im modernen englischen Parlament ansiedelt.

Doch Loy verlangt noch etwas, etwas, das wenigen Menschen leicht fällt und an einem Abend wie diesem weit mehr ist als das Symbol einer tragischen Bühnenstor­y: Wenn Elisabetta abdankt, dann zieht sie ihre Perücke vom Kopf, und in diesem Moment erscheint sie als ein altes Weib mit grauem, dünnem, schütterem Haar. Elisabetta/Gruberova stellt sich also einer fortgeschr­ittenen Situation, und dass dies eine Königin und Diva macht, der man jahrzehnte­lang in aller Welt nicht nur im übertragen­en Sinn den roten Teppich ausgerollt hat, das ist Größe, Stärke und alles andere als Verklärung. Einen Abschied kann man auch anders begehen als schonungsl­os.

Hernach folgten Vorhang um Vorhang. Man ließ nicht locker, auch als die Gruberova gestisch andeutete, nun wolle sie noch einen Sekt trinken und dann schlafen gehen. Gefeiert wurde die Lebensleis­tung dieser Sängerin, deren Tiefe mittlerwei­le spröde ist, deren Höhe auch mal verrutscht. Aber noch immer gibt es bei ihr auch noch diese unvergleic­hlichen Momente eines schwebende­n Gesangs, dessen Klang und Intonation in absoluter Reinheit erstrahlen. Noch immer gibt es Momente, die den Atem rauben und in denen man eine Stecknadel fallen hören kann.

 ?? Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper ?? Zum Finale regnet es Rosenblüte­nblätter für die Hausgöttin der Opern in München, Wien und Zürich: Edita Gruberova.
Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper Zum Finale regnet es Rosenblüte­nblätter für die Hausgöttin der Opern in München, Wien und Zürich: Edita Gruberova.

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