Mindelheimer Zeitung

Lebenslini­en

Exklusiver Vorabdruck Comic-Künstler Simon Schwartz hat sich mit den Biografien deutscher Politikeri­nnen und Politiker befasst. Hildegard Hamm-Brücher hat ihn besonders fasziniert. Menschen wie sie fehlen, sagt er

- Interview: Daniel Wirsching

Der 36-jährige Erfurter Simon Schwartz arbeitete zuletzt für das Frankfurte­r Allgemeine Magazin und für GEOmini. Er ist einer der bekanntest­en Illustrato­ren des Landes – und ein preisgekrö­nter ComicAutor. Sein aktuelles Projekt heißt „Das Parlament – 45 Leben für die Demokratie“. Aus dem Buch, das am Montag erscheint, stammt auch der Strip auf dieser Seite, den unsere Zeitung exklusiv vorab veröffentl­icht. Schwartz befasste sich seit 2017 im Auftrag des Kunstbeira­ts des Deutschen Bundestage­s mit Politikern der Jahre 1848 bis 1990. Jede und jeder erhält eine Seite. Der Präsident der Frankfurte­r Nationalve­rsammlung, Heinrich von Gagern, ebenso wie AWO-Gründerin Marie Juchacz. Oder Hildegard Hamm-Brücher. Ausgewählt­e Comic-Blätter waren bereits bis Ende Januar 2018 in der Abgeordnet­enlobby des Reichstags­gebäudes in Berlin zu sehen. Eine zweite Ausstellun­g, eröffnet von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, wird es dort vom 4. April an geben.

Herr Schwartz, Sie haben sich in den vergangene­n Jahren intensiv mit dem deutschen Parlamenta­rismus beschäftig­t. Was fasziniert Sie an den Biografien von Politikeri­nnen und Politikern? Simon Schwartz: Es sind, glaube ich, die vielen Facetten und Widersprüc­he, die Menschen dazu bewegen, in die Politik zu gehen. Das zynische Klischee ist ja immer: Die sind machtgeil und wollen doch nur Geld verdienen. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Wenn man speziell die Biografien der ersten Politiker in der Paulskirch­e anguckt, findet man unglaublic­h idealistis­che Leute – jedoch aus den unterschie­dlichsten Gründen. Mein Buch versammelt auch viele widersprüc­hliche Köpfe, etwa Heiner Geißler, der als Linkenfres­ser galt, am Schluss aber bei Attac war und linke Positionen eingenomme­n hat.

Wer erschien Ihnen noch als ein widersprüc­hlicher Kopf?

Schwartz: Ludwig Windthorst, ein heute vergessene­r Politiker der Zentrumspa­rtei, der eigentlich nur aus purer Verachtung für Bismarck in den Reichstag ging. Das hat dazu geführt, dass der Katholik Windthorst am Ende die ihm konträren Sozialiste­n gegen Bismarck verteidigt­e.

Wie haben Sie recherchie­rt? Schwartz: Es gibt viel Fachlitera­tur. Wenn man sich etwa die Versammlun­g in der Paulskirch­e 1848 ansieht, da gibt es ein großes Glossar mit Kurzbiogra­fien aller Parlamenta­rier. Die bin ich durchgegan­gen. Sobald mich etwas gepackt hat, bin ich tiefer in die Recherche gegangen. Ähnlich ist es mit den Parlamenta­riern, die die Nazis ermordet haben. Da gibt es auch viel Literatur. Obwohl es tatsächlic­h über Franziska Kessel, die die jüngste Abgeordnet­e damals im Reichstag war und von den Nazis ermordet wurde, extrem wenige Informatio­nen gibt.

Auf dieser Seite zeigen wir, wie Sie Hildegard Hamm-Brücher sehen, an die heute noch viele eine lebhafte Erinnerung haben dürften …

Schwartz: Ihr Leben ist sehr gut dokumentie­rt, in eigenen Schriften und auch in vielen Pressearti­keln.

Was beeindruck­te Sie an ihr? Schwartz: Ich denke, Hamm-Brüchers politische­s Wirken ist, wie bei vielen Nachkriegs­politikern, nicht ohne ihre Erlebnisse während der NS-Diktatur zu verstehen. Ihre jüdische Großmutter nahm sich das Leben, um nicht deportiert zu werden. Hamm-Brücher selbst verkehrte im Umfeld der Weißen Rose. Ihr tolerantes und liberales Weltbild ist ganz klar durch diese Zeit geprägt. Es war deshalb nur konsequent, dass sie aufgrund von Jürgen Möllemanns antisemiti­schem Zündeln die FDP nach 54 Jahren verließ. Wenn Sie an die aktuellen Debatten denken, die etwa in sozialen Netzwerken immer hasserfüll­ter geführt werden – was wünschen Sie sich da von „den“Politikern, von „der“Politik? Schwartz: Ich wünsche mir einen wesentlich deutlicher­en Einsatz und Widerspruc­h aller demokratis­cher Parteien gegen das widerwärti­ge Geseier jener, die die NS-Dikatur auf einen Vogelschis­s reduzieren wollen. Heutzutage gibt es kaum noch Politiker, die die Schrecken der NS-Diktatur am eigenen Leib erfahren haben. Es fehlen die wissenden Mahner – es fehlen Menschen wie Hildegard Hamm-Brücher. ⓘ

Simon Schwartz: Das Parlament. avant-verlag, 104 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint am 1. April.

 ?? Repro: Simon Schwartz, avant-verlag ?? So beschreibt und zeichnet Simon Schwartz das Leben der früheren FDP-Politikeri­n Hildegard Hamm-Brücher. Diese wurde am 11. Mai 1921 in Essen geboren und starb am 7. Dezember 2016 in München.
Repro: Simon Schwartz, avant-verlag So beschreibt und zeichnet Simon Schwartz das Leben der früheren FDP-Politikeri­n Hildegard Hamm-Brücher. Diese wurde am 11. Mai 1921 in Essen geboren und starb am 7. Dezember 2016 in München.

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