„Der Wolf ist kein Kuscheltier“
Muss das geschützte Tier geschossen werden? Bayerns Jägerpräsident Jürgen Vocke erklärt die Probleme. Sorge bereitet ihm aber auch der schwindende Lebensraum anderer Wildtiere
Herr Vocke, der Bayerische Jagdverband wird heuer 70 Jahre alt. Wie steht es denn um die Akzeptanz der Jagd in der Gesellschaft?
Jürgen Vocke: Erfreulich positiv. Selbstverständlich gibt es noch Klischees, die bisweilen auch von den Jägern selbst gepflegt werden. Aber insgesamt ist die Akzeptanz in der Bevölkerung doch sehr gut. Das sehen wir auch an der wachsenden Nachfrage nach heimischem Wildbret, das bei den Verbrauchern immer beliebter wird.
Am Wochenende findet in Passau der Landesjägertag statt. Welche Botschaft haben Sie an die Mitglieder? Vocke: Das Bild der Jagd wird draußen in den Revieren gemacht. Ich fordere unsere Mitglieder auf, auf die Bevölkerung zuzugehen. In einer immer stärker industrialisierten Land- und Forstwirtschaft wird auch der Artenschutz immer wichtiger. Dafür stehen wir und das müssen wir in der Öffentlichkeit kommunizieren. Nicht die Trophäen stehen heute im Vordergrund, sondern das Naturerlebnis.
Was heißt das konkret?
Vocke: Der Jagdverband betreut rund 20 000 Hektar an Biotopen und das mit steigender Freude. Wir erleben derzeit einen enormen Artenschwund nicht nur bei Rebhuhn, Fasan und Hase, sondern auch beim Kiebitz oder der Feldlerche. Da hilft Jammern alleine nicht, wir müssen etwas dagegen tun. Ich habe nichts gegen die Flurbereinigung, aber Tatsache ist auch, dass wir in kleingegliederten Regionen sofort eine größere Artenvielfalt haben.
Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen?
Vocke: Die Bevölkerung wird immer urbaner und entfernt sich mehr und mehr von der Natur. Gleichwohl wird der Freizeitdruck durch Spaziergänger, Radler oder Jogger immer größer. In der Landwirtschaft wiederum werden riesige Maschinen Tag und Nacht eingesetzt und in kürzester Zeit große Flächen abgeerntet. Kurz gesagt: Den Wildtieren bleibt keine Ruhe mehr und ihnen wird innerhalb weniger Stunden der Lebensraum genommen.
Es heißt, der Bayerische Jagdverband wird immer jünger und weiblicher. Ist das mit Zahlen belegt?
Vocke: Ja, ganz klar. Wir können jedes Jahr rund 2400 neue Mitglieder begrüßen. Von den knapp 50000 Mitgliedern in Bayern sind inzwischen zehn Prozent Frauen. Und auch in den Jungjägerkursen sind heute schon ein Drittel oder gar die Hälfte Frauen. Sie schätzen die gute Ausbildung und die Zusammenhänge in der Natur werden mit anderen Augen gesehen.
Nun gehört zur Jagd auch das Töten von Tieren. Vor allem die wachsende Schwarzwild-Population bereitet große Probleme. Der Bauernverband hat erst jüngst wieder gefordert, die Jäger müssten mehr Wildschweine schießen. Vocke: Vor 20 Jahren wurden in Bayern im Schnitt jährlich 6000 bis 7000 Sauen erlegt. Jetzt sind es 95000 Wildschweine im Jahr. Die Steigerungsrate ist gewaltig und ohne enorme Anstrengungen der Jägerinnen und Jäger gar nicht denkbar. Wobei es in den einzelnen bayerischen Regionen durchaus Unterschiede gibt.
Und dennoch reichen die hohen Abschusszahlen scheinbar nicht aus. Vocke: Das Problem sind die riesigen Raps- und Maisfelder, die bei bayernweit rund drei Millionen Hektar Grünland mittlerweile eine Fläche von 540 000 Hektar ausmachen. Für die Sauen ist das ein Schlaraffenland. Sie finden in den Raps- und Maisschlägen bei der Nahrungssuche ausreichend Deckung. Du hörst sie in der Nacht schmatzen, aber man sieht sie nicht. Die Revierpächter müssen dann für die Schäden aufkommen. Wir Jäger versuchen, das in den Griff zu bekommen. Aber wir brauchen auch die Unterstützung der Landwirte.
Sie haben in jüngster Zeit scharfe Kritik an der Regierung von Oberbayern geübt, die die Schonzeit in sogenannten Schutzwald-Sanierungsgebieten in den Alpen aufgehoben hat.
Vocke: Besonders betroffen ist hiervon die Gams. In vielen oberbayerischen Bergregionen dürfen Gämsen das ganze Jahr über schonungslos verfolgt werden – also auch im tiefsten Winter und bei sehr hohen Schneelagen. Der Jagdverband fürchtet um den Bestand dieser heimischen Wildart. Ich frage mich schon: Wo bleibt da der Tierschutz? Und ich wundere mich, dass nicht schon längst ein Volksbegehren zur Rettung der Gams begonnen wurde.
Sie hatten mit dem Staatsforst lange heftige Auseinandersetzungen, was die Abschusszahlen beim Rehwild betrifft. Hat sich etwas geändert?
Vocke: Das ist von Forstbetrieb zu Forstbetrieb sehr unterschiedlich. Leider werden Reh, Gams und Rotwild von manchen Förstern, übrigens nicht von allen, immer noch als Waldschädlinge gesehen, die scharf bejagt werden müssen. Wir fordern jedoch eine Jagd mit Augenmaß. Ein permanenter Jagddruck und das Fehlen von Äsungsflächen führen zwangsläufig zu höheren Verbissschäden im Wald.
Die Rückkehr des Wolfes wird derzeit kontrovers diskutiert. Halten Sie einen Abschuss des streng geschützten Tieres für richtig?
Vocke: Wir leben in einer der dicht besiedelten Regionen Europas. Und der Wolf ist kein Kuscheltier, sondern ein Großräuber, der pro Tag fünf Kilogramm Fleisch benötigt. Wenn man ihn schon willkommen heißt, muss man ihm auch etwas zu fressen geben. Wenn ein Wolf vor unseren Augen etwa ein Schaf oder Reh reißt, müssen wir Jäger tatenlos zuschauen. Wir dürfen nicht schießen.
Sollte der Wolf also ins Jagdrecht aufgenommen werden?
Vocke: Das ist äußerst umstritten. Denn wenn der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen würde, hätten wir auch eine Hegepflicht. Und wenn er jagdbares Wild ist, sind wir Jäger auch für alle Schäden verantwortlich, die der Wolf anrichtet. Viele denken das leider nicht zu Ende. Für einen Abschuss müsste es deshalb einen staatlichen Auftrag geben.
Hat die Jagd überhaupt eine Zukunft? Vocke: Die Jagd hat nur dann eine Zukunft, wenn wir Jäger uns in der Mitte der Gesellschaft bewegen. Wenn wir aber nur waffentragende Exoten sind, mache ich mir um das Waidwerk große Sorgen.
Interview: Jörg Sigmund
Prof. Jürgen Vocke, 75, ist seit 1994 Präsident des Bayerischen Jagdverbandes. Der Jurist wohnt in Ebersberg.