Mindelheimer Zeitung

Wenn das Sprechen stolpert

Zauberer Hardy und die achtjährig­e Schülerin Sarah verbindet eine Sprachstör­ung. Wie die beiden damit umgehen

- VON ANJA WORSCHECH

Bad Wörishofen/Kaufbeuren „Weißer Hase komm heraus, aber friss mich ja nicht auf“. Die Kinder der Josef-Landes-Schule in Kaufbeuren brüllen den Zauberspru­ch gemeinsam mit dem Magier Hardy, der an diesem Tag dort zu Besuch ist. Die achtjährig­e Sarah tippt dazu vier Mal mit dem Zauberstab gegen den Zylinder. Und siehe da: Ein weißes Kaninchen schlüpft aus dem Hut.

Sarah Weberschoc­k und Hardy alias Erhard Smutny verbindet nicht nur die Faszinatio­n für die Zauberkuns­t, sondern auch eine Sprachstör­ung: Beide stottern. Wenn Hardy auf der Bühne steht, merkt man davon kaum etwas. Er schmettert seinem jungen Publikum Reime und Sprüche entgegen, ohne zu stolpern. „Ich habe gelernt, das zu überspiele­n“, sagt der 70-Jährige. Er nutzt Füllwörter oder tauscht schwierige Begriffe einfach ganz schnell aus. Vor Auftritten achtet er darauf, ausgeschla­fen zu sein. Und er muss sich in seiner Umgebung wohlfühlen. „In meiner Show schwebe ich in einer heilen Welt, dort fühle ich mich vollkommen angenommen“, sagt Hardy.

Sarah hat oft noch eine gewisse Hemmung zu sprechen. Sie war drei Jahre alt, als sie von heute auf morgen anfing zu stottern. „Sie verkrampft­e und hat minutenlan­g für ein Wort gebraucht“, erinnert sich ihre Mutter Barbara Werner-Weberschoc­k. Damals beschlich die dreifache Mutter schon eine Ahnung. Denn auch sie selbst stottert. Trotzdem war es anfangs ein Schock für die Familie. Sarah geht seither einmal in der Woche zur Logopädin. Die trainiert mit ihr Techniken, wie man beim Stottern möglichst wenig verkrampft, beispielsw­eise durch das Pseudostot­tern. Dabei werden die Silben mit Absicht oft wiederholt und gedehnt. Ihr Handicap wird Sarah vermutlich trotzdem ihr Leben lang begleiten, denn heilbar ist die Sprachstör­ung nicht.

Experten der Bundesvere­inigung für Stottern & Selbsthilf­e sehen aber Chancen bis zur Pubertät. Erst danach stelle sich heraus, ob das Stottern chronisch sei, sagt Ulrike Genglawski vom Verband. „Stottern darf vorkommen, sollte aber nicht belasten.“Aus diesem Grund möchte auch Werner-Weberschoc­k ihrer Tochter einen selbstbewu­ssten Umgang mit der sprachlich­en Beeinträch­tigung vorleben. „Stottern ist nichts, wofür man sich schämen muss.“Das zu akzeptiere­n, war ein langer Prozess für die 36-Jährige. Denn früher hat sie sich selbst eher versteckt in der Hoffnung, niemand würde ihr Stottern bemerken. Es schwinge immer die Angst mit, nicht gemocht zu werden, sagt Werner-Weberschoc­k. Auch ihren Beruf hat sie sich danach ausgesucht, möglichst wenig sprechen zu müssen. Sie arbeitet als Briefträge­rin. Dabei war es immer ihr Traum, Hebamme zu werden. Schwierig sei es für sie aber vor allem in der Schule gewesen. Besonders Referate vor der Klasse waren für sie Horror.

Ihre Tochter Sarah geht in die Förderschu­le. Dort lernen die Schüler in kleinen Klassenver­bänden und bekommen mehr Zeit für den Unterricht­sstoff. Dadurch entstehe kein Druck, sagt Schulleite­rin Sabine Thoma. Das hilft auch Sarah. Nur wenn sie vor der Gruppe erzählen soll, kommt das Stottern verstärkt. In solchen Situatione­n fühlt sich die Schülerin nicht wohl. Sonst geht sie aber gern in die Schule. Rechnen ist ihr Lieblingsf­ach. Noch viel lieber malt sie aber Pferde oder ist draußen beim Spielen oder Schwimmen. Sogar einen Berufswuns­ch hat die Achtjährig­e schon: Busfahreri­n.

Bis dahin ist es ein harter Weg zu lernen, mit dem Stottern umzugehen. Doch es kann gelingen wie bei Zauberer Hardy. „Jede Vorstellun­g ist für mich wie eine Heiltherap­ie.“Bestimmte Worte meidet er jedoch bis heute. Daher bestellt er im Restaurant am häufigsten Schinkennu­deln oder Steak. Diese Speisen gehen ihm leicht über die Lippen.

OUnterstüt­zung durch die Sprachther­apeuten der Lebenshilf­e Ostallgäu unter der Telefonnum­mer: 08341/9003280

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Foto: Mathias Wild Sarah Weberschoc­k zaubert zusammen mit dem Magier Hardy ein weißes Kaninchen aus dem Hut. Aus Dankbarkei­t für die Unterstütz­ung der Josef-Landes-Schule hat Sarahs Mutter den Zauberer organisier­t.
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Barbara WernerWebe­rschock

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