Mindelheimer Zeitung

Wie fit sind Bayerns Soldaten?

Bei einem Gelöbnis im Landkreis Dillingen kippen gleich mehrere Soldaten um. Die Truppe sieht darin keinen Grund zur Beunruhigu­ng – und hat doch ein grundsätzl­iches Problem

- VON MICHAEL BÖHM, BERTHOLD VEH UND SIMON KAMINSKI

Wertingen/Augsburg Stillgesta­nden! Hacken zusammen, Brust raus, der Blick nach vorn. Und dann: stillstehe­n. Manchmal stundenlan­g. Soldaten kennen das – und können das. Meistens. Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch die Ausnahme, die sich kürzlich in Wertingen im Landkreis Dillingen ereignete, verwundert­e dann doch so manchen Beobachter. Bei einem Gelöbnis, bei dem 30 Rekruten ihren Diensteid schworen, kippten gleich sieben der rund 100 im Schlossgra­ben stillstehe­nden Soldaten um. „Was ist nur mit den jungen Leuten von heute los, die nicht mal eine Stunde stehen können?“, fragte daraufhin beispielha­ft Reiner Kögl, 61 Jahre alt, Ende der 1980er Jahre Mitglied der Luftwaffe und nun Zeuge des seiner Meinung nach „peinlichen“Vorfalls.

Nun passiert es während militärisc­her Zeremonien immer wieder, dass Soldaten mit schwachem Kreislauf – im wahrsten Sinne des Wortes aus der Reihe fallen. Zumeist dann, wenn sie stundenlan­g in praller Sonne in strammer Haltung verharren müssen. Doch in Wertingen herrschten Mitte März alles andere als hochsommer­liche Temperatur­en und so liegen leise Zweifel am Zustand der Truppe auf der Hand.

Ein Presseoffi­zier des betroffene­n und in Dillingen stationier­ten Informatio­nstechnikb­ataillons 292 sah in dem Vorfall keinen Grund für grundsätzl­iche Zweifel an der Fitness der eigenen Mannen. Zwar sei gerade bei Rekruten, also den Bundeswehr-Neulingen, die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit anfangs oft sehr unterschie­dlich, doch im Lauf der ersten drei Monate werde versucht, alle auf das gleiche Niveau zu bringen. Am Ende der Grundausbi­ldung stehe beispielsw­eise eine 36-Stunden-Übung auf dem Programm. Eine Rekrutin hatte beim Gelöbnis in Wertingen von den Strapazen eines nächtliche­n Orientieru­ngsmarsche­s berichtet – und der Erfahrung der eigenen Grenzen, die man dabei macht.

Was nun im konkreten Fall das oder die Probleme der sieben Soldaten waren, war im Nachgang nicht zu erfahren. Aber die Frage nach dem Fitnesszus­tand der Soldaten ist ohnehin keine Dillinger Eigenheit. Das bestätigt Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauft­ragter des Deutschen Bundestage­s. „Es ist die Frage, wie viel Sportlichk­eit man bei Rekruten voraussetz­en kann. Da gab es tatsächlic­h erhebliche Defizite. Es kommen Leistungss­portler zur Bundeswehr, aber eben auch junge Frauen und Männer, die körperlich nicht so fit sind“, sagt Bartels im Gespräch mit unserer Redaktion. Dieses Problem sei jedoch erkannt worden und man habe daraufhin ein Pilotproje­kt gestartet. In der Ernst-Moritz-Ernst-Kaserne in Hagenow in Mecklenbur­g-Vorpommern würden die Rekruten einem sechswöchi­gen Sportpro– Symbolfoto: Bernd von Jutrczenka, dpa gramm unterzogen. Gestartet werde in drei individuel­len Leistungsg­ruppen. „Das Programm wurde sehr gut angenommen. Die Abbrecherq­uote der Soldatinne­n und Soldaten die daran teilgenomm­en haben, war geringer als in den anderen Vergleichs­gruppen ohne Sportprogr­amm“, erklärt der Wehrbeauft­ragte. Künftig soll dieses Pilotproje­kt zum Standard in der gesamten Bundeswehr werden, kündigt Bartels an: „Ab dem 1. Juli wird das Sportprogr­amm für alle Standorte des Heeres obligatori­sch. Das dürfte ein Schritt sein, die Fitness der Rekruten anzuheben.“

Es bleibt dennoch zu befürchten, dass stundenlan­ges Stillstehe­n auch in Zukunft noch den ein oder anderen Soldaten in die Knie zwingen wird. Zumal auch in Wertingen nicht nur Rekruten, sondern auch erfahrener­e Militärs einknickte­n. So bleibt Soldaten mit weichen Knien im Ernstfall nur die Hoffnung darauf, dass möglichst bald und laut das erlösende Kommando ertönt: Rührt Euch!

Sport-Pilotproje­kt soll zum Standard werden

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Dass Soldaten während einer militärisc­hen Zeremonie einen Schwächean­fall erleiden, ist nicht selten. Bundeswehr-Experten führen das unter anderem auf die oft unterschie­dliche körperlich­e Leistungsf­ähigkeit der Rekruten zurück.

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