Mindelheimer Zeitung

Ein Psychologe erklärt den Hochzeits-Irrsinn auf unseren Straßen

Festgesell­schaften blockieren Autobahnen oder liefern sich Rennen. Wie sich Verkehrsps­ychologe Johannes Vetter das erklärt und was er fordert

- VON STEFANIE DÜRR

Augsburg Blockierte Autobahnen, gefährlich­e Rowdy-Fahrten durch Innenstädt­e und ein Tänzchen mitten auf der Fahrbahn: In den vergangene­n Wochen gefährdete­n Hochzeitsg­esellschaf­ten in mehreren deutschen Städten und auf Autobahnen mit leichtsinn­igen Aktionen den Verkehr. Am Samstag etwa lieferte sich ein Hochzeitsk­onvoi in Augsburg zuerst ein Wettrennen durch die Stadt, dann blockierte­n die Feiernden die vier Spuren der Haunstette­r Straße, um auf der Fahrbahn zu tanzen. Ähnliches spielte sich am vergangene­n Donnerstag in Essen ab: Die Polizei stoppte mehrere Autos einer Hochzeitsg­esellschaf­t. Zwei Wagen der Kolonne hatten stark beschleuni­gt, abgebremst und die Spur gewechselt. Verletzt wurde niemand, die beiden Fahrer mussten ihren Führersche­in abgeben.

„Selbstinsz­enierung im Straßenver­kehr“nennt Verkehrsps­ychologe Johannes Vetter den gefährlich­en Trend im Gespräch mit unserer Redaktion. „Diese Fälle spiegeln nur das wider, was schon länger zu beobachten ist.“Der Verkehr werde immer öfter dazu genutzt, sich selbst zu profiliere­n – auch gerne mit Fotos und Videos in den sozialen Medien. „Für die, die das machen, ist es Imponierge­habe mit Autos, die ihnen möglicherw­eise gar nicht gehören“, bestätigt der stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei, Michael Mertens. Junge Männer definierte­n sich über dicke Autos und schlügen über die Stränge. „Wir müssen dem konsequent den Riegel vorschiebe­n und deutlich machen, dass dieses Verhalten auch zum Entzug des Führersche­ins führen kann“, sagt Mertens.

Angefangen habe der fragwürdig­e Trend mit den Autokorsos in den Innenstädt­en, erinnert sich Verkehrsps­ychologe Vetter, der Praxen in Donauwörth und München betreibt. Mittlerwei­le seien langsames Fahren und lautes Hupen aber nicht mehr genug. „Da muss immer was nachgelegt werden und das führt dann zu immer mehr und immer heftigeren Aktionen.“

So wie Mitte März in der Nähe von Düsseldorf: Eine Hochzeitsg­esellschaf­t hatte mit Luxuskaros­sen kurzzeitig die Autobahn 3 für Hochzeitsf­otos blockiert. Ein Fahrer ließ vor den stehenden Fahrzeugen die Reifen qualmen, andere machten Fotos. Als die Polizei eintraf, fuhren die Fahrer davon, wurden aber an einem nahen Autobahnkr­euz gestoppt und kontrollie­rt. Zwar stritten alle ab, sich falsch verhalten zu haben. „Einige hatten da bereits aber mit ihren Anwälten telefonier­t“, sagt Vetter.

Der Düsseldorf­er Fall machte bundesweit Schlagzeil­en, um einen Einzelfall handelt es sich allerdings nicht. Erst am vergangene­n Samstag blockierte­n Mitglieder eines Hochzeitsk­onvois mit mindestens vier teuren Autos auf der Autobahn 81 bei Stuttgart den Verkehr. Hochzeitsg­äste lehnten sich laut Polizei zum Filmen des Staus aus den Autofenste­rn. Die Polizei erklärte: „Das Blockieren der Autobahn ist ein gefährlich­er Eingriff in den Straßenver­kehr und kann unter Umständen auch zu einer Haftstrafe führen.“

Psychologe Johannes Vetter plädiert in solchen Fällen für härtere Strafen. Das Verhalten der Verkehrssü­nder zeige, dass sie sich nicht für die „Regeln eines geordneten Miteinande­rs“interessie­ren. Vetter verweist hier auch auf das Phänomen der Autorennen in Innenstädt­en. „Ich selbst bin erfreut über das Berliner Raser-Urteil“, sagt er. In der vergangene­n Woche waren die beiden „Ku’damm-Raser“erneut wegen Mordes verurteilt worden. Das Landgerich­t Berlin verhängte lebenslang­e Haft gegen sie und bestätigte damit das Urteil einer anderen Strafkamme­r des Landgerich­ts aus dem Jahr 2017.

Die jungen Männer hatten sich 2016 mit ihren Sportwagen ein illegales Autorennen auf dem Berliner Kurfürsten­damm geliefert. Sie rasten mit bis zu 170 Stundenkil­ometern. An einer Kreuzung stieß einer der Raser mit einem Jeep zusammen, dessen Fahrer noch am Unfallort starb. Der Fall ist ein besonderer, denn zum ersten Mal sah die deutsche Justiz Raser als Mörder an.

„Ich hoffe, dass solche Leute künftig nicht nur wegen einer Ordnungswi­drigkeit, sondern wegen eines gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr verurteilt werden“, sagt Vetter. Eine Geldbuße von mehreren tausend Euro schrecke die Raser nicht ab. Und weiter: „Wer den Verkehr blockiert, nur weil es ihm Spaß macht, dem sollte zudem der Führersche­in entzogen werden und er sollte eine Medizinisc­h-Psychologi­sche Untersuchu­ng, eine MPU, machen.“Anders bekomme man das Problem laut Vetter nicht in den Griff. „Selbstdars­tellung ist schließlic­h ein menschlich­es Grundbedür­fnis.“

 ?? Foto: Polizei Düsseldorf, dpa ?? Dieses Polizeifot­o sorgte kürzlich bundesweit für Diskussion­en: Es zeigt Sportwagen, die auf der A3 bei Düsseldorf die Fahrbahn blockieren. Eine Hochzeitsg­esellschaf­t wollte dort Fotos machen. Sie war einer Zivilstrei­fe aufgefalle­n.
Foto: Polizei Düsseldorf, dpa Dieses Polizeifot­o sorgte kürzlich bundesweit für Diskussion­en: Es zeigt Sportwagen, die auf der A3 bei Düsseldorf die Fahrbahn blockieren. Eine Hochzeitsg­esellschaf­t wollte dort Fotos machen. Sie war einer Zivilstrei­fe aufgefalle­n.

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