Ein Psychologe erklärt den Hochzeits-Irrsinn auf unseren Straßen
Festgesellschaften blockieren Autobahnen oder liefern sich Rennen. Wie sich Verkehrspsychologe Johannes Vetter das erklärt und was er fordert
Augsburg Blockierte Autobahnen, gefährliche Rowdy-Fahrten durch Innenstädte und ein Tänzchen mitten auf der Fahrbahn: In den vergangenen Wochen gefährdeten Hochzeitsgesellschaften in mehreren deutschen Städten und auf Autobahnen mit leichtsinnigen Aktionen den Verkehr. Am Samstag etwa lieferte sich ein Hochzeitskonvoi in Augsburg zuerst ein Wettrennen durch die Stadt, dann blockierten die Feiernden die vier Spuren der Haunstetter Straße, um auf der Fahrbahn zu tanzen. Ähnliches spielte sich am vergangenen Donnerstag in Essen ab: Die Polizei stoppte mehrere Autos einer Hochzeitsgesellschaft. Zwei Wagen der Kolonne hatten stark beschleunigt, abgebremst und die Spur gewechselt. Verletzt wurde niemand, die beiden Fahrer mussten ihren Führerschein abgeben.
„Selbstinszenierung im Straßenverkehr“nennt Verkehrspsychologe Johannes Vetter den gefährlichen Trend im Gespräch mit unserer Redaktion. „Diese Fälle spiegeln nur das wider, was schon länger zu beobachten ist.“Der Verkehr werde immer öfter dazu genutzt, sich selbst zu profilieren – auch gerne mit Fotos und Videos in den sozialen Medien. „Für die, die das machen, ist es Imponiergehabe mit Autos, die ihnen möglicherweise gar nicht gehören“, bestätigt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens. Junge Männer definierten sich über dicke Autos und schlügen über die Stränge. „Wir müssen dem konsequent den Riegel vorschieben und deutlich machen, dass dieses Verhalten auch zum Entzug des Führerscheins führen kann“, sagt Mertens.
Angefangen habe der fragwürdige Trend mit den Autokorsos in den Innenstädten, erinnert sich Verkehrspsychologe Vetter, der Praxen in Donauwörth und München betreibt. Mittlerweile seien langsames Fahren und lautes Hupen aber nicht mehr genug. „Da muss immer was nachgelegt werden und das führt dann zu immer mehr und immer heftigeren Aktionen.“
So wie Mitte März in der Nähe von Düsseldorf: Eine Hochzeitsgesellschaft hatte mit Luxuskarossen kurzzeitig die Autobahn 3 für Hochzeitsfotos blockiert. Ein Fahrer ließ vor den stehenden Fahrzeugen die Reifen qualmen, andere machten Fotos. Als die Polizei eintraf, fuhren die Fahrer davon, wurden aber an einem nahen Autobahnkreuz gestoppt und kontrolliert. Zwar stritten alle ab, sich falsch verhalten zu haben. „Einige hatten da bereits aber mit ihren Anwälten telefoniert“, sagt Vetter.
Der Düsseldorfer Fall machte bundesweit Schlagzeilen, um einen Einzelfall handelt es sich allerdings nicht. Erst am vergangenen Samstag blockierten Mitglieder eines Hochzeitskonvois mit mindestens vier teuren Autos auf der Autobahn 81 bei Stuttgart den Verkehr. Hochzeitsgäste lehnten sich laut Polizei zum Filmen des Staus aus den Autofenstern. Die Polizei erklärte: „Das Blockieren der Autobahn ist ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und kann unter Umständen auch zu einer Haftstrafe führen.“
Psychologe Johannes Vetter plädiert in solchen Fällen für härtere Strafen. Das Verhalten der Verkehrssünder zeige, dass sie sich nicht für die „Regeln eines geordneten Miteinanders“interessieren. Vetter verweist hier auch auf das Phänomen der Autorennen in Innenstädten. „Ich selbst bin erfreut über das Berliner Raser-Urteil“, sagt er. In der vergangenen Woche waren die beiden „Ku’damm-Raser“erneut wegen Mordes verurteilt worden. Das Landgericht Berlin verhängte lebenslange Haft gegen sie und bestätigte damit das Urteil einer anderen Strafkammer des Landgerichts aus dem Jahr 2017.
Die jungen Männer hatten sich 2016 mit ihren Sportwagen ein illegales Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm geliefert. Sie rasten mit bis zu 170 Stundenkilometern. An einer Kreuzung stieß einer der Raser mit einem Jeep zusammen, dessen Fahrer noch am Unfallort starb. Der Fall ist ein besonderer, denn zum ersten Mal sah die deutsche Justiz Raser als Mörder an.
„Ich hoffe, dass solche Leute künftig nicht nur wegen einer Ordnungswidrigkeit, sondern wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt werden“, sagt Vetter. Eine Geldbuße von mehreren tausend Euro schrecke die Raser nicht ab. Und weiter: „Wer den Verkehr blockiert, nur weil es ihm Spaß macht, dem sollte zudem der Führerschein entzogen werden und er sollte eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung, eine MPU, machen.“Anders bekomme man das Problem laut Vetter nicht in den Griff. „Selbstdarstellung ist schließlich ein menschliches Grundbedürfnis.“