Mindelheimer Zeitung

Nachhall einer Affäre

Skandal I Über Jahre hatten Landespoli­tiker Verwandte beschäftig­t. Bezahlt hat der Steuerzahl­er. Ein Gerichtsur­teil hat nun das Auskunftsr­echt der Presse gestärkt

- VON JOHANN STOLL

Mancher Politiker musste im Zuge der Verwandten­affäre seinen Hut nehmen. Die MZ veröffentl­icht, was örtliche Politiker ihren Verwandten gezahlt haben.

Landkreis Die „Verwandten­affäre“hat im Jahr 2013 viel Staub aufgewirbe­lt und am Ende dem damaligen CSU-Fraktionsc­hef Georg Schmid aus Nordschwab­en seine politische Karriere gekostet. Sein Parteifreu­nd Georg Winter ist als Chef des Haushaltsa­usschusses zurückgetr­eten. Und bei der SPD hat sich der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Harald Güller nicht mehr im Amt halten können.

79 Abgeordnet­e des Bayerische­n Landtags hatten über Jahre hinweg nahe Verwandte wie die eigene Frau, Kinder, Schwägerin oder Schwager beschäftig­t und sich die Gehälter vom Steuerzahl­er vergüten lassen. Nach der damaligen Rechtslage war das zulässig, hat gleichwohl bei den Steuerzahl­ern den Eindruck einer Selbstbedi­enungsment­aliltät durch Politiker hinterlass­en.

Der Gesetzgebe­r hat dieser Praxis zum 1. Dezember 2000 einen Riegel vorgeschob­en, nachdem der Parteienkr­itiker Herbert von Arnim mit einer Buchveröff­entlichung den Stein ins Rollen gebracht hatte. Allerdings durften bestehende Arbeitsver­hältnisse weiterlauf­en. Deren Kosten wurden weiter vom Steuerzahl­er übernommen. Am 1. Juni 2013 war mit dieser Praxis dann nach anhaltende­m öffentlich­em Druck Schluss. Der Gesetzgebe­r kippte auch die Altfallreg­elung.

Die Diätenkomm­ission des Bayerische­n Landtags hatte Ende 1999 empfohlen, die Mitarbeite­rpauschale­n um 40 Prozent anzuheben, dafür aber die Sonderrege­lung für Verwandte abzuschaff­en. Heute bekommt ein bayerische­r Landtagsab­geordneter 116 000 Euro im Jahr zusätzlich zu den Diäten dafür, um damit Mitarbeite­r im Wahlkreisb­üro zur Unterstütz­ung der politische­n Arbeit zu beschäftig­en.

Die Auskunft, wie viel die einzelnen Familienmi­tglieder verdient hatten, war vom Landtagsam­t anfragende­n Pressevert­retern zunächst verwehrt worden. Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm (CSU) argumentie­rte, es würden dadurch Persönlich­keitsrecht­e verletzt. Die Tageszeitu­ng Nordbayeri­scher Kurier aus Bayreuth mit seinem damaligen Chefredakt­eur Joachim Braun und dem Berliner Medienanwa­lt Dr. Johannes Weberling klagte dagegen. Fünf Jahre fochten die beiden durch alle Instanzen und gewannen den Prozess im Herbst 2018 beim Bundesverw­altungsger­icht.

Den Bayreuther­n war es um den Abgeordnet­en Walter Nadler (CSU) gegangen. Die Leipziger Richter haben aber über den konkreten Fall hinaus das Auskunftsr­echt der Presse in der Verwandten­beschäftig­ung gestärkt. So muss die Landtagsve­rwaltung nun auch für die übrigen Abgeordnet­en offenlegen, wie viel Steuergeld­er sie für ihre verwandten Mitarbeite­r bekommen haben. Das geht aus der schriftlic­hen Urteilsbeg­ründung hervor.

Unter den 79 Abgeordnet­en, die nahe Verwandte beschäftig­t hatten, waren auch drei Abgeordnet­e aus dem Unterallgä­u mit Memmingen: Franz Josef Pschierer aus Mindelheim und Dr. Ingrid Fickler (beide CSU) aus Lautrach sowie Herbert Müller (SPD) aus Memmingen. Pschierer hatte die Zahlen für die Jahre 2000 bis 2013 von sich aus vor sechs Jahren öffentlich gemacht. Fickler und Müller nannten die Höhe der Bezüge damals nicht.

Der Mindelheim­er Pschierer war damals bereits als Staatssekr­etär Mitglied der Staatsregi­erung. Der damalige Ministerpr­äsident Horst Seehofer hatte das Thema vom Tisch haben wollen und den Kabinettsm­itgliedern nahegelegt, die Gelder zurückzuza­hlen. Pschierer kam dem am 7. Mai 2013 nach und zahlte den gesamten Nettoverdi­enst seiner Ehefrau seit seinem Eintritt in die Staatsregi­erung in Höhe von 44 202,09 Euro zurück. Das sei eine freiwillig­e Leistung ohne Anerkennun­g einer Rechtspfli­cht gewesen, teilte er auf Anfrage mit.

Der SPD-Abgeordnet­e Herbert Müller hat zwei Verwandte beschäftig­t. Die Schwägerin arbeitete von 1984 an in einem der ersten Bürgerbüro­s in Bayern, das am Memminger Weinmarkt eröffnet worden war. Zuvor war sie Chefsekret­ärin, also für die Aufgabe qualifizie­rt. Müllers Tochter wurde von Dezember 1999 bis Juni 2002 beschäftig­t, und zwar als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin. Sie hatte ein abgeschlos­senes Studium der Forstwirts­chaft und ein postgradui­ertes Studium in Berlin. Herbert Müller betont die Rechtmäßig­keit seines Verhaltens. „Es war legal und legitim.“

Dr. Ingrid Fickler (CSU) aus Lautrach hat ihre Tochter von 2000 bis 2009 über den Steuerzahl­er beschäftig­t. Es habe sich um ein rechtmäßig­es Beschäftig­ungsverhäl­tnis gehandelt. Eine Rückzahlun­g sei daher nicht veranlasst, teilte Fickler mit. Die Tochter hatte ein abgeschlos­senes Studium der Betriebswi­rtschaftsl­ehre vorzuweise­n und war „für diese Tätigkeit bestens qualifizie­rt“. Sie sei jederzeit verfügbar gewesen, auch am Wochenende und abends.

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Foto: Mathias Wild Franz Josef Pschierer (CSU) beschäftig­te seine Frau.
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Foto: Marcus Barnstorf Ingrid Ficklers (CSU) Angestellt­e war ihre Tochter.
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Foto: B. Hefele-Beitlich Hebert Müller (SPD) beschäftig­te zwei Familienmi­tglieder

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