Mindelheimer Zeitung

Eine Allianz für Organspend­en

Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) und andere wollen sie parteiüber­greifend zur Normalität machen. Aber Widerspruc­h ist möglich. Was für und was gegen die Pläne spricht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Mit einer „doppelten Widerspruc­hslösung“will Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) für mehr Organspend­en in Deutschlan­d sorgen. Doch der Gesetzentw­urf, den Spahn am Montag zusammen mit den Gesundheit­sexperten Karl Lauterbach (SPD), Georg Nüßlein (CSU) und Petra Sitte (Linke) in Berlin vorstellte, stößt auf heftige Kritik. Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick:

Warum soll die Organspend­e überhaupt neu geregelt werden?

Seit Jahren herrscht in Deutschlan­d ein gravierend­er Mangel an Spenderorg­anen. Rund 10 000 Menschen in Deutschlan­d warten auf eine Organtrans­plantation. Doch pro Jahr gibt es weniger als 1000 Spender. Alle acht Stunden stirbt ein Mensch auf der Warteliste, weil kein passendes Spenderorg­an gefunden wird.

Woran liegt die geringe Zahl an Organspend­en?

Offenbar nicht an einer mangelnden Bereitscha­ft der Menschen. Nach Umfragen stehen rund 84 Prozent der Deutschen einer Organ- und Gewebespen­de positiv gegenüber. Doch nur 36 Prozent besitzen einen Organspend­eausweis. Und in der Praxis ist der Organspend­eausweis oft nicht auffindbar, sagt der SPDGesundh­eitsexpert­e und Arzt Karl Lauterbach. Wie ist die Organspend­e geregelt? Seit 2012 gilt in Deutschlan­d die sogenannte Entscheidu­ngslösung. Das heißt: Vor einer Organspend­e muss die ausdrückli­che Zustimmung des Spenders vorliegen, die durch einen Organspend­eausweis dokumentie­rt wird. Alternativ müssen die Angehörige­n nach dem Tod ausdrückli­ch einer Organentna­hme zustimmen. Gesundheit­sminister Jens Spahn sagt, er habe die Entscheidu­ngslösung damals mitgetrage­n. Doch heute müsse er zugeben: „Es hat nicht gefruchtet.“Die Zahl der Spender sei weit hinter den Erwartunge­n zurückgebl­ieben.

Welchen Weg will der Gesundheit­sminister künftig einschlage­n?

Die doppelte Widerspruc­hslösung, Kern des Gesetzentw­urfs, den Jens Spahn und andere am Montag vorstellte­n, kehrt das bisherige Prinzip um. Grundsätzl­ich würde demnach jeder als Organspend­er gelten, der dem nicht ausdrückli­ch widersproc­hen hat. Nach dem Tod könnten aber zudem Angehörige eine Organentna­hme ablehnen, wenn ihnen bekannt ist, dass der Verstorben­e Bedenken gegen eine Organspend­e hatte. Auch eine „Erklärung im Portemonna­ie, dass eine Spende abgelehnt wird“, soll künftig gültig bleiben, sagt Spahn.

Bedeutet das letztlich eine Pflicht zur Organspend­e?

Genau das befürchten etwa der Ethikrat und die Stiftung Patientens­chutz. Georg Nüßlein (CSU, NeuUlm), für Gesundheit zuständige­r stellvertr­etender Unions-Fraktionsv­orsitzende­r, weist die Bedenken zurück. „Der Gesetzentw­urf bedeutet keinen Zwang zur Organspend­e. Aber die Menschen werden angehalten, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen“, sagt er. Jeder Betroffene hoffe auf ein Spenderorg­an, so Nüßlein, der Normalfall solle also die Spendenber­eitschaft sein, „als Akt der Barmherzig­keit“.

Wie soll die doppelte Widerspruc­hslösung in die Praxis umgesetzt werden?

Jeder meldepflic­htige Bürger über 16 Jahre soll insgesamt drei Mal über die neue Regelung informiert werden. Wer einer Spende zustimmt, ihr nicht widerspric­ht – oder gar nicht reagiert – gilt als Spender. Künftig soll es ein Register geben, in dem der Wille des Bürgers dokumentie­rt wird. Der Eintrag könnte jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen oder geändert werden.

Was sagen Fachleute zu dem Gesetzentw­urf?

Das Bündnis für Organspend­en „Leben spenden“, dem zahlreiche Mediziner angehören, begrüßt den SpahnPlan. Die doppelte Widerspruc­hslösung sei „der beste Weg, die Organspend­e fester in unserer Gesellscha­ft zu verankern“. Der Mediziner Kevin Schulte von der Kieler Uniklinik dagegen hält sie für den falschen Weg. Er hat das Phänomen sinkender Organspend­ezahlen untersucht. Und kommt zu dem Schluss, dass sie weniger an mangelnder Spendebere­itschaft liegen, als vielmehr an Erkennungs-, Melde- und Organisati­onsdefizit­en in den Kliniken. Laut Jens Spahn wird die Situation in den Kliniken aber durch das just am Montag in Kraft getretene Gesetz zu den Strukturen der Organspend­e deutlich verbessert.

Wie nimmt der Bundestag Spahn-Pläne auf?

Es gibt erhebliche­n Widerstand. Eine Gruppe Abgeordnet­er um die Grünen-Vorsitzend­e Annalena Baerbock will demnächst einen eigenen Entwurf einbringen. Er sieht vor, dass Bürger jeweils beim Abholen eines neuen Personalau­sweises verbindlic­h nach ihrer Bereitscha­ft zur Organspend­e gefragt werden.

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Wie geht es in der Sache nun weiter? Der Bundestag wird das Thema nun diskutiere­n und soll dann ohne Fraktionsz­wang entscheide­n. Die Allianzen für die jeweiligen Vorschläge gehen über die Parteigren­zen hinweg. So unterstütz­t die Linke Petra Sitte den Plan von Spahn und Lauterbach. Der Arzt und CSU-Abgeordnet­e Stephan Pilsinger lehnt ihn dagegen als „fachlich und ethisch bedenklich“ab. Auch FDPChef Christian Lindner ist gegen eine Widerspruc­hslösung.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Wenn es nach Jens Spahn (links) und Karl Lauterbach geht, hat der Organspend­eausweis bald ausgedient.

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