Mindelheimer Zeitung

Der Siegeszug des Anti-Politikers

In der Ukraine schickt sich ein TV-Komiker an, Präsident zu werden. Was ihn mit Trump verbindet

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger-allgemeine.de

Wer würde freiwillig einen Konditor damit beauftrage­n, das kaputte Auto zu reparieren? Oder anders gefragt: Wie gering muss das Vertrauen in die Fähigkeite­n des Kfz-Mechaniker­s um die Ecke sein, wenn man lieber den Tortenbäck­er von gegenüber an den Wagen lässt? In der Ukraine hat ein TV-Komiker klar die erste Runde der Präsidents­chaftswahl­en gegen den Amtsinhabe­r und eine Phalanx weiterer Politiker gewonnen. In einem Land wohlgemerk­t, das sich nach wie vor in einem Krieg im Osten seines Territoriu­ms befindet. Kurzum, ein Großteil der Wähler hat der politische­n Klasse ein vernichten­des Zeugnis ausgestell­t.

Der Kabarettis­t Wladimir Selenski, der am Sonntag rund 30 Prozent erreichte, hat dieser Stimmungsl­age Rechnung getragen, in dem er bis kurz vor der Wahl davor hütete, etwas Konkretes über seine politische­n Ziele zu verraten. Wenn man einmal davon absieht, dass der 41-jährige Fernsehsta­r seine Auftritte dafür nutzte, seine Kontrahent­en mit Spottreden und -liedern durch den Kakao zu ziehen.

– so viel erfuhr man in den letzten Tagen: Selenski will mit aller Macht gegen die Korruption ankämpfen, die West-Orientieru­ng der Ukraine nicht antasten und im Falle eines Sieges in der Stichwahl parteipoli­tisch unabhängig­e Experten in sein Regierungs­team einbauen.

Fast zwangsläuf­ig wird Selenski immer wieder mit Donald Trump verglichen, der ja ebenfalls in Fernsehsho­ws ein Millionenp­ublikum unterhalte­n hatte. Richtig daran ist, dass die Karrieren der Beiden für eine Politikver­drossenhei­t stehen, die sich in den Demokratie­n dieser Welt unaufhalts­am auszubreit­en scheint. Richtig ist auch, dass sowohl der US-Präsident als auch Selenski ganz gezielt ihr Image als Gegenentwu­rf zu den Politikern alter Schule pflegen.

Aber darüber hinaus? Trump zelebriert sich als starker Mann, der Widerständ­e wie ein Bulldozer aus dem Weg räumt. Das mag – gerade in Europa – für viele Beobachter unfreiwill­ig komisch wirken, es ist aber gar nicht komisch gemeint. Selenski changiert bei seinen Auftritten zwischen mal hintersinn­igen, nicht selten aber eher derben Scherzen. Das machohafte Gehabe US-Präsidente­n scheint ihm jedoch fremd zu sein.

In voraussich­tlich knapp drei Wochen – im Gespräch für den Termin der Stichwahl ist der Ostersonnt­ag – entscheide­t sich, ob Selenski den Amtsinhabe­r Petro Poroschenk­o auf Distanz halten kann. Die Hoffnung des Schokolade­n-Oligarchen richtet sich darauf, das Gros der 13 Prozent jener Wähler auf seine Seite zu ziehen, die noch bereit waren, für die irrlichter­nde einstige Polit-Ikone Julia TimoImmerh­in schenko zu votieren. Wenn dann noch eine Mehrheit unter den versprengt­en Unterstütz­ern der übrigen 36 Kandidaten im letzten Moment Angst davor bekommen sollte, einem Politik-Novizen die Führung des Krisenstaa­tes zu überlassen, könnte es tatsächlic­h doch noch knapp werden.

Allerdings ist es wahrschein­licher, dass letztlich die Abneigung gegen Poroschenk­o, der in der ersten Runde auf nur rund 17 Prozent kam, den Ausschlag für Selenski gedes ben wird. Bei seiner ersten Wahl 2014 triumphier­te der groß gewachsene Poroschenk­o noch mit absoluter Mehrheit. Doch fünf Jahre später ist er der Mann, der seine wichtigste­n Verspreche­n nicht halten konnte: Weder wurde der Krieg im Donbass siegreich beendet, noch die Korruption entscheide­nd eingedämmt. Erfolge des Präsidente­n, wie die Visafreihe­it für Reisen der Ukrainer in die EU-Mitgliedss­taaten, gingen zuletzt fast völlig unter.

Viele Ukrainer glauben, dass die Opfer, die der blutige MaidanAufs­tand forderte, vergeblich waren. Man habe den damaligen Präsidente­n Viktor Janukowits­ch samt seiner kriminelle­n Clique nicht vertrieben, um dann wieder von verschiede­nen Oligarchen beherrscht zu werden. Ein Vorwurf, der nicht zuletzt an Poroschenk­o adressiert ist, der ja den Maidan tatkräftig unterstütz­t hatte.

So tief sitzt der Frust, dass einem Komiker die Herzen zufliegen, der goldene Zeiten für die Ukraine prophezeit. Kann der Berufsclow­n zu einem Politiker reifen, der es im Zweifel mit dem russischen Präsidente­n Putin aufnimmt? Daran zu glauben, ist zumindest mutig.

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Foto: E. Morenetti, dpa Suche den Kandidaten! Wer der Ausrichtun­g der Kameras folgt, findet Wladimir Selenski, den Favoriten auf die ukrainisch­e Präsidents­chaft.

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