Mindelheimer Zeitung

Zuckerberg­s größte Feindin

Mit Shoshana Zuboff schlägt eine der wichtigste­n Wirtschaft­s-Denkerinne­n Alarm: Der „Überwachun­gskapitali­smus“dominiert unser Leben und zerstört unsere Gesellscha­ften

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Bilder, die sie findet für das, was Facebook und Google in der ganzen Welt mit unseren Gesellscha­ften und im Leben der Einzelnen anrichten, könnten wuchtiger nicht sein. Aber Shoshana Zuboff nimmt diese Bilder nicht irgendwie symbolisch zugespitzt – sondern als knallharte Befunde, durch jahrzehnte­lange Forschung gestützt. Mitten hinein in die aktuellen Debatten über Regulierun­gen der Branche schrillt das Buch „Das Zeitalter des Überwachun­gskapitali­smus“, in dem sie diese serviert, wie der ultimative Alarm. Denn da steht:

1. Wir stehen diesen Digitalunt­ernehmen gegenüber wie dereinst die Ureinwohne­r Südamerika­s den spanischen Eroberern – was uns da entgegentr­itt, ist so anders, neu und unbegreifl­ich, dass wir dem nichts entgegenzu­setzen haben. Das verheerend­e Ergebnis im historisch­en Vergleichs­fall ist bekannt.

2. So wie wir heute sehen, dass der Industriek­apitalismu­s mit seiner die Ressourcen der Erde verbrauche­nden Massenprod­uktion zur Zerstörung des Planeten als Lebensgrun­dlage des Menschen führt – genauso zerstöreri­sch wird der „Überwachun­gskapitali­smus“für seine Ressource sein, den Menschen selbst, seine innere Natur.

3. Die Demokratie wird nicht einfach nur ausgehöhlt durch die Beförderun­g gesellscha­ftlicher Spaltungen – sondern Facebook und Google führen zur „Auslöschun­g von Politik“. Es ist der Sturz in die Tyrannei durch die Herrschaft des „instrument­ären Schwarms“…

Bevor man nun versteht, wie sie dazu kommt und was das genau bedeutet, muss man wissen, dass diese Shoshana Zuboff nicht irgendeine linksbeweg­te Geisteswis­senschaftl­erin in der Sorge um das Menschenbi­ld der Aufklärung ist. Die heute 67-Jährige war bis zu ihrer Emeritieru­ng Wirtschaft­sprofessor­in in Harvard, an der dortigen Business School, und galt seit Jahrzehnte­n bereits als eine der einflussre­ichsten und visionärst­en ihrer Zunft. Nicht zuletzt, weil sie bereits vor 30 Jahren, also 1988 (!), mit „In the Age of the Smart Machine“wesentlich­e Entwicklun­gen des kommenden Digitalzei­talters beschrieb. Das macht ihre jetzige kritische Analyse umso glaubwürdi­ger. Und dieser Ansatz wiederum macht sie bereits seit einigen Jahren zu so etwas wie der größten Feindin von Facebook-Chef Mark Zuckerberg etwa.

Vor allem in den USA, aber auch durch Essays für die FAZ in Deutschlan­d (vermittelt durch deren Mitherausg­eber, ihren Freund, den inzwischen gestorbene­n Frank Schirrmach­er): Immer wieder warnte Shoshana Zuboff davor, den Beschwicht­igungen und dem vermeintli­chen Einsehen der DigitalPot­entaten auf den Leim zu gehen. Weil deren Kalkül immer geblieben sei, so viel Zeit wie möglich herauszusc­hinden, um währenddes­sen ihre Infrastruk­turen immer weiter und praktisch unumkehrba­rer ins Mark von Einzelnen und Gesellscha­ft getrieben zu haben. Ihr neues Buch nun ist die Gesamtscha­u dieses Prozesses – mit verheerend­em Fazit. Und einem Aufruf zum Widerstand an Politik und Bürger.

Von zentraler Bedeutung für Zuboffs Analyse ist, inwiefern mit Google und Facebook nicht einfach nur eine neue Spielart des Kapitalism­us auf die Bühne der Weltwirtsc­haft getreten ist – sondern etwas wesentlich Neues, das sie „Überwachun­gskapitali­smus“nennt. Dazu gehört etwa, dass nicht mehr wie beim Ford’schen Prinzip der Unternehme­r seine Angestellt­en mit ordentlich­en Löhnen zum Kunde-Sein befähigt. Das Wirtschaft­en ist entkoppelt: Ausgewerte­t werden die kostenlos von den Nutzern zur Verfügung gestellten Daten über ihr Verhalten; dadurch wird nicht nur möglich, die Menschen zu überwachen, ihr Verhalten vorherzusa­gen und zu beeinfluss­en – sondern allein schon durch die direkte Vermarktun­g auf den Plattforme­n entstehen Einnahmen von Abermillia­rden (bei Google und Facebook landen rund drei Viertel der weltweiten OnlineWerb­eerlöse).

Und die Konzentrat­ion des Reichtums erreicht in der Folge neue Höchststän­de. Denn Angestellt­e und Bürger als Kunden brauchen diese Weltkonzer­ne vergleichs­weise nur sehr wenige. Dafür sind sie bei den Datennutze­rn umso wahlloser. Denn das Ideal der „Plattformn­eutralität“bedeutet zweierlei Verheerend­es. Erstens ist per Definition gut und wertvoll für die Plattform, was immer für viele Klicks, für viel Verkehr sorgt – und sei es Hetzerisch­es (ein Gegensatz etwa, so Zuboff, zum Qualitätsj­ournalismu­s). Zweitens darf im Grunde inserieren und damit die Daten nutzen, wer immer dafür bezahlt – und so trugen die Annoncen von betrügeris­chen Immobilien-Kredithaie­n zur Weltwirtsc­haftskrise von 2008 bei. Aber das sind Details.

Die Folgen im Großen, so Zuboff: Der „Überwachun­gskapitali­smus“konzentrie­rt Wissen und Macht auf eine Art, die „am besten als Putsch von oben zu verstehen ist – als Sturz der Volkssouve­ränität“. Aber die Überwachun­gskapitali­sten erobern durch die maschinell­e Manipulati­on von Markt und Kommunikat­ion für Marktziele eben nicht nur die Gesellscha­ften. Zuboff an Zuckerberg und andere „Raubritter“: „Diese globale Implementi­erung instrument­ärer Macht überwindet und ersetzt die Innerlichk­eit des Menschen, die sowohl den Willen zum Wollen als auch unsere Stimme in der ersten Person nährt. Damit trägt sie dazu bei, dass die Demokratie schon an der Wurzel verkümmert.“

Drum Zuboff an alle: „Seid Sand im Getriebe!“Und: „Es ist jetzt an uns!“Denn sie hofft: „Als man die Natur eroberte, waren die Opfer stumm; die, die nun unser menschlich­es Wesen zu erobern versuchen, werden nun feststelle­n, dass ihre Opfer sehr stimmgewal­tig sind …“

» Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachun­gskapitali­smus.

Aus dem Englischen von Bernhard Schmid, Campus-Verlag, 727 S., 29,95 ¤

 ?? Foto: Fabian Matzerath, Imago ?? Shoshana Zuboff, 67, lehrte in Harvard Wirtschaft­swissensch­aften und rechnet jetzt vor allem mit Facebook und Google ab.
Foto: Fabian Matzerath, Imago Shoshana Zuboff, 67, lehrte in Harvard Wirtschaft­swissensch­aften und rechnet jetzt vor allem mit Facebook und Google ab.
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