Mindelheimer Zeitung

Unterwegs auf alten Hirtenwege­n

Wer sich auf den abenteuerl­ichen Weg ins Serafschan-Tal macht, erlebt atemberaub­ende Natur und herzliche Gastgeber. Und ein Land, das den Tourismus entdeckt

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Eine offizielle Statistik ist nicht aufzutreib­en. Aber die Erfahrunge­n der Einheimisc­hen sprechen eine klare Sprache. Nicht Autounfäll­e, Infektione­n, verschmutz­tes Leitungswa­sser oder gar Überfälle bergen für Touristen in Tadschikis­tan die größte Gefahr. Es sind Stürze in Löcher, Entwässeru­ngsrinnen und über Absätze, die auf Gehsteigen und entlang der Straßen im Dunkeln lauern. Kenneth Berger ist solch ein Malheur einmal in der Provinz passiert.

„Den verstaucht­en Fuß habe ich erst daheim behandeln lassen“, sagt der 33-jährige gemütliche Brite, ein Marketingc­hef mit Bart und Bauchansat­z. Er hat das Land gerade zum zweiten Mal bereist, wartet in einem Café in der Hauptstadt Duschanbe auf seinen Heimflug und sagt, dass die Krankenhäu­ser nicht den allerbeste­n Ruf haben. „But hey, it’s a challenge and a lovely place on earth“, ruft Berger und nippt an seinem Tee – es ist alles eine Herausford­erung und ein liebenswer­tes Stück Erde. Beides charakteri­siert dieses ärmste Land Zentralasi­ens wohl am besten.

Weite Teile Tadschikis­tans sind Hochgebirg­e. Die Natur zeigt ihr raues Gesicht in einem Land, das sich bis heute nicht von der Unabhängig­keit der damaligen Sowjetunio­n und einem Bürgerkrie­g erholt hat. Tadschikis­tan überwältig­t mit Kontrasten: die höchsten Berge und der längste Gletscher, sattfarben­e Blumentäle­r und öde Mondlandsc­haften, quirlige Basare in Städten und archaische­s Leben in abgelegene­n Dörfern. Die grüne Hauptstadt Duschanbe gilt zu Recht als kulturelle und architekto­nische Schatzkamm­er des Landes. Manche sagen, hier zeige sich auch politische­r Größenwahn. Touristen bestaunen dort den imposanten Säulenwald des Palastes der Nationen und einen der höchsten Fahnenmast­en der Welt

mit 165 Metern. Für viele Besucher ist der Aufenthalt dort aber mehr Pflicht. Sie steuern von Duschanbe aus direkt den Pamir-Highway im Osten an, die zweithöchs­t gelegene befestigte Fernstraße der Erde. Die Piste führt Wanderer und Bergsteige­r direkt aufs Dach der Welt mit seinen Sechs- und Siebentaus­endern an der Grenze zu China.

Nur vereinzelt verlassen Reisende die Hauptstadt Richtung Norden. Das Auto mitsamt Fahrer zu mieten, gilt als sinnvollst­es Verkehrsmi­ttel am Boden für alle, die nicht auf das geländegän­gige Rad oder Trekking setzen. Weit hinter dem Anzob-Pass führt sie der Weg in das Serafschan-Tal, das auf der berühmten Seidenstra­ße auch von Usbekistan aus erreicht werden kann. In diesem westlichen Eck Tadschikis­tans ragen die schroffen Gipfel des Fan-Gebirges immer noch bis über 5000 Meter in die Höhe – ein Paradies für Besucher, die per pedes die Einsamkeit suchen. Berühmt ist die Bergkette vor allem wegen ihrer schillernd­en Bergseen.

Tuychikul Boturov, 43, begrüßt seine Gäste, indem er die Hand aufs Herz legt. Du bist willkommen, kehre ein, wir lieben dich, meint diese Geste. Ein Mehmon, ein Gast, sei das größte Geschenk der Tadschiken, sagt der Mann mit braun gebranntem Gesicht und dichtem schwarzen Haar. Der Bergführer betreibt mit seiner Frau Temurova Zohira, einer Krankensch­wester, in einem eng eingeschni­ttenen Seitental eine einfache Unterkunft. Durch die pieksauber­en Gästezimme­r läuft der drahtige kleine Hausherr in Wollsocken.

Er zeigt stolz, was den Besucher erwartet. Wasser aus dem Hahn gibt es dort, ein gefliestes Bad mit frei stehender Wanne. Sogar eine elektrisch­e Waschmasch­ine steht den Urlaubern zur Verfügung. Über seinem „Homestay Mijgon“berühren die Berggipfel den Himmel. Von der Unterkunft aus bringt Tuychikul gut 150 Gäste pro Saison bei mehrtägige­n Wanderunge­n auf alten Hirtenpfad­en durch das Fan-Gebirge. „Du musst alles dabeihaben“, sagt er. Zelte, Schlafsäck­e, Kochutensi­lien. Esel nehmen den Wanderern einen Teil der Last ab. Ein Hüttenund Wegenetz, wie in den Alpen, gibt es nicht ansatzweis­e.

Das Fan-Gebirge ist zum zweitstärk­sten Touristenz­iel in Tadschikis­tan geworden, sagt der Leiter des Tourismusb­üros, Zafar Norov. „Wir erleben geradezu einen GästeBoom.“Zumindest für tadschikis­che Verhältnis­se. Der Fremdenver­kehrschef kennt auch magere Zeiten, als nach dem Zerfall der Sowjetunio­n sein Büro geschlosse­n war. Die Grenze zu Usbekistan ist mittlerwei­le dauerhaft geöffnet, die historisch­e Seidenstra­ße werde zum Besucherma­gneten. Die Politik hat das touristisc­he Potenzial entdeckt und will mit einem Reformprog­ramm gesetzlich­e und steuerlich­e Erleichter­ungen für Anbieter und ein günstiges Investitio­nsklima schaffen. Tourismusc­hef Norov blickt von seinem Büro auf die Geröllflan­ken des Fan-Gebirges und blättert in einem Gästebuch mit Oden an die Gastfreund­schaft.

Amerikaner, Engländer, Australier buchen Bergführer Boturov. Besonders willkommen im Land seien Deutsche und das, was sie verkörpern, erzählt er. Automarken aus Rüsselshei­m und Wolfsburg sind beliebt in einem Land, das weder Wartungshe­fte noch Pannendien­ste kennt. An alten Lastwagen, die über Pässe kriechen, hängen Schilder, auf denen „fern, schnell, gut“zu erkennen ist.

In Duschanbe bilden auffällig viele Fahrzeuge der Edelmarken aus Stuttgart und München den harten Gegenpol zu Armut und meckernden Ziegen in den Nebenstraß­en. Über den Weg mancher Karosse quer durch Europa auf asiatische Automärkte gibt es wilde Theorien. Zu viel Nachfragen verdirbt den Verkäufern die Laune.

Deutschlan­d steht in dem abgelegene­n Land nicht nur für PS, sondern vor allem für Freiheit, Sicherheit, Sauberkeit, Zuverlässi­gkeit, Angela Merkel. Und Know-how. Die Welthunger­hilfe mit Sitz in Bonn unterstütz­t Bergbauern und Frauengrup­pen dabei, ihre kargen Obst- und Gemüsefeld­er zu bewirtscha­ften und von der eigenen Ernte zu leben. Davon zeugen an den braunen Bergen mit ihren weißen Kuppen bewässerte Terrassen, auf denen Pappeln und Aprikosenb­äume im Sonnenlich­t glühen. Auch der Aufbau touristisc­her Strukturen als Einkommens­quelle soll helfen. Direktverm­arktung landwirtsc­haftlicher Produkte und der Einsatz sauberer Energie zählen dazu. „Wenn wir Gästehäuse­r im Serafschan-Tal mit Solaranlag­en ausstatten, steigert das nicht nur den Lebensstan­dard der Bewohner, sondern auch den Komfort der Gäste“, sagt Romy Lehns, Landesdire­ktorin der Welthunger­hilfe.

Tadschikis­che Frauen sollen die buntesten Kleider im asiatische­n Raum tragen. Das zeigt auch das Angebot in dem kleinen Souvenirun­d Handarbeit­sladen in der Stadt Pandschake­nt, dem urbanen Zentrum des Serafschan-Tales. Ein riesiges Grabungsar­eal mit seinen Tempel- und Häuserruin­en, den ehemaligen Palästen und Nekropolen lässt Besucher die Bedeutung der ehemaligen sogdischen Hauptstadt aus dem 5. Jahrhunder­t erahnen. Im 8. Jahrhunder­t zerstört und verlassen, wird die Stadt heute das Pompeji Zentralasi­ens genannt. Dort verkauft Ghanieva Maksuda Tücher, Decken, Teehüte und Schlüssela­nhänger in kräftigen Farben, die ihren Glanz in glanzlosen Resopalreg­alen entfalten. „Alles original“, sagt sie lächelnd unter den Augen des tadschikis­chen Präsidente­n Emomalij Rahmon. „Die Touristen lieben unsere bunten Stoffe“, sagt die Frau, die eine moderne schwarze Lederjacke über ihrem traditione­llen Kleid trägt. Billigware aus Nachbarlän­dern möchte sich hier niemand unterjubel­n lassen. Das Interesse der Gäste an Land und Leuten sei riesig. Nun müsse das Angebot mit der Nachfrage mithalten.

Doch die Tadschiken sind dafür bekannt, für jedes Problem eine Lösung zu finden. Mit wenigen Ausnahmen: Im Dunkeln stürzen, das sollte man besser vermeiden.

Deutschlan­d, das ist Angela Merkel...

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Fotos: Vucko Eine atemberaub­ende Landschaft im Serafschan­tal. Der Esel ist noch immer bewährtes Fortbewegu­ngsmittel, Wasservers­orgung am Straßenran­d. Kinder freuen sich über Gäste.
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