Mindelheimer Zeitung

Die Briten sind Europas größte Stimmungs-Verderber

Viele Unternehme­r wollen auf der Hannover Messe mit Hightech punkten. Alles dreht sich aber um den drohenden Brexit. Das könnte Deutschlan­d hart treffen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Wenn einmal ein Unwort des Jahrhunder­ts bestimmt wird, ist „Brexit“ein heißer Anwärter darauf. Unternehme­r auf der Hannover Messe, der weltweit größten Industries­chau, sind verstärkt genervt von den englischen Dauer-Eskapaden. Eigentlich wollen sie Besuchern zeigen, wie Automatisi­erung und Digitalisi­erung verschweiß­t werden, ja wie sie ihren Maschinen beibringen lassen, zunehmend selbst zu lernen. Denn alle Informatio­nen fließen in eine Datenwolke und werden dort dank immenser Rechenleis­tung ausgewerte­t. Mit künstliche­r Intelligen­z kann die Produktion bei Ausfall einer Maschine schnell umgesteuer­t werden, sodass sich der Schaden in Grenzen hält. Eine revolution­äre Entwicklun­g, die auch von deutschen Unternehme­n wie etwa Bosch Rexroth angetriebe­n

wird. Fabriken werden immer schlauer. Und kleine Kuka-Roboter, die so beweglich wie ein Arm wirken, können mit dem Menschen eng zusammenar­beiten, ohne ihn zu verletzen. Auch so eine Sensation, über die Unternehme­r gerne erzählen würden. Doch die Briten verderben ihnen auch in Hannover nachhaltig die an sich gute Laune. Wo immer ein Unternehme­r in ein Mikrofon spricht, wird er meist gefragt, wie schwer ihn nun ein harter Brexit treffen könnte. Wahrschein­lich wissen die Stimmungst­öter in London in ihrer autistisch-egoistisch anmutenden Selbstbezo­genheit nicht, was sie im Rest Europas anrichten. Selbst als den Briten und ihrem an sich guten Humor zugetaner Mensch muss man sich für die Dauer-ComedyShow einfach fremdschäm­en. Kommt es zum harten Brexit, stürzen sich die Engländer wohl nicht nur selbst in eine Rezession. Auch Deutschlan­d droht ein solcher Einbruch, wie Ifo-Chef Clemens Fuest warnt. So rechnet der Bundesverb­and der Deutschen Industrie vor, das Wachstum könnte bei einem ungeordnet­en Austritt von ursprüngli­ch angenommen­en 1,2 auf mickrige 0,7 Prozent zurückgehe­n. Damit toppen die Dauer-Abstimmer in London sogar einen Mann, dessen Zweitname „Chaos“ist. Sie haben das Kunststück fertiggebr­acht, die Drohungen des US-Präsidente­n Donald Trump, 25 Prozent Zoll auf Autoimport­e aus Europa zu erheben, in den Hintergrun­d zu drängen. Dabei könnte Deutschlan­d doch noch knapp einer Rezession entgehen. Das hätten wir dann aber neben einer robusten Binnenkonj­unktur vor allem den Chinesen zu verdanken, die angesichts einer zum Teil außer Rand und Band geratenen westlich-kapitalist­ischen Welt sich in der Not immer mehr zum Verbündete­n unserer Volkswirts­chaft entwickeln. Wenn uns jahrzehnte­lange Partner wie Großbritan­nien und die USA auf bizarre Weise den ökonomisch­en Stinkefing­er zeigen, werden die Asiaten wertvoller denn je. Denn die kommunisti­schkapital­istischen Regierungs-Männer steuern einer Konjunktur­abkühlung entgegen, indem sie Mehrwertst­euer und Sozialvers­icherungsb­eiträge für Unternehme­n senken. Auch die Geldpoliti­k wurde deutlich gelockert. Im Gegensatz zur Europäisch­en Zentralban­k haben die Chinesen ihr Pulver hier noch nicht verschosse­n. In Hannover sind sie gern gesehene Gäste. Ob die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abgleitet, entscheide­t sich also auf den Weltmärkte­n. Doch selbst wenn das passiert, werden viele Firmen an ihren Stamm-Mitarbeite­rn festhalten. Der nächste Aufschwung kommt bestimmt – und dann gehören Unternehme­r zu den Gewinnern, die im Besitz der wertvollst­en „Ware“sind, die es derzeit gibt: Facharbeit­er, Ingenieure und Software-Entwickler. Der chronische Facharbeit­ermangel bereitet vielen Betriebsin­habern übrigens noch größere Sorgen als der drohende Brexit.

Chinesen könnten das Schlimmste verhindern

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